Osteuropa-Experte Anders Åslund ist ehemaliger Wirtschaftsberater der russischen Regierung unter Boris Jelzin sowie des ukrainischen Ex-Präsidenten Leonid Kuschma. Der schwedische Wirtschaftswissenschaftler sitzt im Beirat des Center for Social and Economic Research (CASE) und ist Senior Fellow des Atlantic Council in Washington. Lesen Sie im Anschluss seinen Original-Kommentar.


Im Juli veröffentlichte das Unabhängige Evaluierungsbüro (IEO) des Internationalen Währungsfonds einen umfassenden Bericht darüber, wie der Fonds seit 2010 mit der Eurokrise umgegangen ist. Sein Verhalten wird dort sehr kritisch bewertet, aber ebenso wie in früheren Selbsteinschätzungen des IWF fallen viele grundlegende Themen unter den Tisch.

Insbesondere argumentiert das IEO, der Fonds sei Gefangener der europäischen Interessen gewesen – was angesichts dessen, dass ein Drittel seines Vorstands aus Europäern besteht, kein Wunder ist. Auch mit seinen Annahmen, "Europa ist anders" und "plötzliche Stopps können in der Eurozone nicht auftreten", lang der IWF falsch.

In einer Finanzkrise müssen die Behörden schnell die zugrunde liegenden Probleme lösen und das Vertrauen wiederherstellen. Genau dies hat die Regierung der Vereinigten Staaten im Herbst 2008 getan, während die europäischen Politikern zauderten – ein Punkt, den das IEO nicht erwähnt.

Auch die Effektivität der IWF-Programme werden im Bericht nicht überprüft. Nehmen wir Griechenland, wo die Maßnahmen des Fonds offensichtlich nicht ausgereicht haben. 2009 betrug das griechische Haushaltsdefizit 15 Prozent des BIP. 2010, mit einem IWF-Programm, ging es dann zurück, aber nur auf elf Prozent des BIP. Unterdessen führten die drei baltischen Staaten – Estland, Lettland und Litauen – im Jahr 2009 Haushaltsstraffungen in Höhe von neun Prozent des BIP durch.

Der IWF und die Europäische Union haben die exzessiven Belastungen der Haushalte vieler EU-Länder lange ignoriert. Gegenüber Griechenland war der Fonds nachsichtig, da das Land Mitglied der Eurozone ist, aber diese Bevorzugung war nicht gerechtfertigt und letztlich sehr teuer. Die öffentlichen Ausgaben Griechenlands schwanken seit 2010 zwischen 50 und 59 Prozent des BIP, was zu einem enormen Schuldenüberhang führte und das Wachstum behinderte. Deutschland und Großbritannien hingegen konnten ihre öffentlichen Ausgaben bei vernünftigen 44 Prozent des BIP halten.

Der IEO-Bericht ignoriert dies und konzentriert sich statt dessen auf die Notwendigkeit einer Umstrukturierung öffentlicher Schulden, um sie nachhaltig zu machen. Aber auf Griechenland traf dies im Jahr 2009 bei einem hohen Schuldenstand von 127 Prozent des BIP nicht notwendigerweise zu, da die Schulden nicht unhaltbar waren. Erst unter dem Einfluss des IWF-Finanzierungsplans vom Mai 2010 gingen die griechischen Schulden wirklich durch die Decke und wurden unüberwindbar. Verglichen damit lagen die Schulden Italiens Ende 2015 bei 133 Prozent des BIP und die portugiesischen bei 129 Prozent. Sollten nun auch Italien und Portugal gezwungen werden, ihre Schulden umzustrukturieren?

Die europäische Wirtschaft wächst nur langsam, da sie überreguliert ist und die Steuern zu hoch sind. Statt ihre Schulden umzustrukturieren, sollten die europäischen Länder ihre Arbeits-, Produkt- und Dienstleistungsmärkte deregulieren, und südliche Staaten wie Italien, Griechenland, Spanien oder Portugal sollten aufgefordert werden, ihr weiterführendes Schulsystem und die Berufsausbildungen zu verbessern. Wie das baltische Beispiel zeigt, können durch schnellere Haushaltsanpassungen strukturelle Änderungen gefördert werden.

Statt dessen sehen, wie der IEO-Bericht zeigt, die Politiker den Wald vor lauter Bäumen nicht. Jede Bestandsaufnahme der europäischen Wirtschaft der letzten Jahre sollte sich mit der Frage beschäftigen, warum die Griechenlandkrise im Frühling 2010 ausbrach, fast zwei Jahre nach der globalen Finanzkrise. Die Antwort ist, dass die Regierungen, als die Europäische Zentralbank die Länder der Eurozone mit billiger Liquidität überflutete, keine ernsthaften Reformen durchführten, sondern statt dessen verschwenderisch wurden.

Einer der Gründe dafür war, dass sich die G20 und der IWF im Herbst 2008 verzweifelt für schuldenfinanzierte Haushaltsstimuli eingesetzt haben. Viele europäische Länder folgten diesem Aufruf, aber anstatt das Wirtschaftswachstum zu stimulieren, wurde die finanzielle Stabilität einiger Länder durch die Vergrößerung der Defizite untergraben. Bevor alles vorbei war, benötigten mindestens acht der 27 EU-Mitgliedstaaten Finanzierungs- und Umstrukturierungsprogramme des IWF.

Die Lehre daraus hätte natürlich sein müssen, dass reine Expansion der Haushalte ohne finanzielle Stabilität nicht zu stärkerem Wirtschaftswachstum führt. Aber der IWF mit seinen keynesianisch orthodoxen Scheuklappen weigert sich immer noch, diese Tatsache anzuerkennen.

Viele EU-Länder waren verletzlich, da sie während der Boomjahre vor der Krise ihre Haushaltsdefizite nicht abgebaut, sondern übermäßige und unnötige öffentliche Schulden angehäuft hatten. Ende 2007 betrug die durchschnittliche Schuldenquote in der Eurozone 65 Prozent des BIP – fünf Prozentpunkte über der Obergrenze des Maastricht-Vertrages für Länder, die sich um Mitgliedschaft in der Eurozone bemühen. Dies spiegelte zum Teil die Entscheidung Frankreichs, Deutschlands und Italiens von 2003 wider, die Maastricht-Regeln zu verletzen und später zu "reformieren" oder vielmehr für null und nichtig zu erklären.

Gegen die Missachtung der Staatsschuldenregeln durch diese Länder hat der IWF keine Einwände erhoben. Und wenn man die Positionen des Fonds mit denjenigen seiner internen Überwachungsstelle vergleicht, stellen sie sich als erstaunlich ähnlich heraus, was Zweifel an der Unabhängigkeit des IEO und seines Berichtes weckt.

Sowohl der IWF als auch das IEO ignorieren die zentralen Probleme der bisherigen offiziellen Reaktionen auf die Eurokrise. Einer Finanzkrise müssen schnelle Taten folgen, und Haushaltsdefizite sollten sofort beseitigt werden, hauptsächlich durch Ausgabenkürzungen. Schnelle Haushaltsanpassungen sind die Grundlage für Strukturreformen, die wiederum zu höherem Wirtschaftswachstum führen.

IMF, die englische Abkürzung für den IWF, wurde früher oft mit "It’s Mostly Fiscal" ("Meist sind es die Haushalte") gleichgesetzt. Nach seiner inadäquaten Antwort auf die Eurokrise sollte der Fonds erkennen, dass es Zeit ist, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. (mb)

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