Spätestens, wenn ein Anleihenstratege dazu rät, Aktien zu kaufen und Bonds abzustoßen, ist man geneigt, Unheil zu vermuten. Geschehen ist das dieser Tage, in Gestalt eines Marktausblicks von Bank of Americas Credit-Stratege Ioannis Angelakis, der in einem Vergleich zwischen Investment-Grade-Bonds und Aktien meint: "Aktien bringen einen attraktiveren Ertrag als Anleihen." Die Frage stellt sich, ob der Vorschlag auch vom Timing her Sinn macht.

Treiber für den gewöhnungsbedürftigen Aktienoptimismus der Bank of America (BofA) ist die Europäische Zentralbank. Ihr Kaufprogramm öffentlicher Schulden hat zu einem echten Kuriosum geführt: Die Renditen europäischer Aktien haben laut Daten der Bank of America ML zum ersten Mal in diesem Jahrtausend die von europäischen High Yield Bonds übertroffen. Dass dieser Umstand einem Anleihen-Strategen auffällt, liegt unter anderem daran, dass er die relative Stärke des Aktiensegments in Europa mit dem Anleihenmarkt argumentiert.

Im High Yield Bereich befinden sich die Renditen seit Jahren im Sinkflug. Der BoA/ML Euro High Yield Index ist inzwischen unter drei Prozent gefallen, wies Ende Mai eine Rendite von rund 2,8 Prozent aus und notiert somit auf einem Rekordtief. Inflationsbereinigt rentieren Hochrisiko-Anleihen somit nur noch bei 0,89 Prozent. Bemerkenswerterweise hat diese Entwicklung aber nicht nur mit den niedrigen Zinsen zu tun. "Die Qualität unseres High Yield Index hat sich verbessert", schreibt Angelakis. Und: Die "BB-Ratings machen nun ungefähr 75 Prozent des gesamten High Yield-Universums aus."

Bessere Bonitäten begünstigen Börsenbewertungen
Abgesehen davon, dass die fallenden Renditen am Anleihenmarkt tendenziell dazu motivieren, dieses Segment zu meiden und in Aktien quasi hineinzurotieren, hat die höhere Qualität an Schulden dazu geführt, dass auch die entsprechenden Aktien profitiert haben. Gute Unternehmensschulden steigern den Wert des Unternehmens und somit auch den der Aktie, so die Ratio. Aus Sicht von Angelakis sind Aktien also das neue High Yield und dem Bond-Markt deshalb vorzuziehen, weil Aktienmärkte "eine attraktivere Dividendenrendite ausweisen". 

Dass europäische Aktien vor diesem Hintergrund Potenzial haben, leitet Angelakis nicht zuletzt aus den USA ab. Die erfolgte Argumentation habe dort dazu geführt, dass Aktienrenditen seit der Jahrtausendwende periodisch die Renditen von Anleihen deutlich outperformen. Gerade jetzt befinden sich die US-Märkte in einer solchen Phase. Geht man nun davon aus, dass sich diese Sichtweise aufgrund der immer stärkeren Verzahnung der Märkte auch in Europa herumspricht, hätten europäische Aktien deutliches Potenzial.

Wann schwenkt Draghi um?
So lange also die EZB als Käufer im Markt und die Qualität von High Yields hoch bleibt, spricht eher mehr als wenig für Aktien. Problematisch ist jedoch einmal mehr das Timing – und zwar bezüglich der Frage, wann die EZB sukzessive aus genau diesem Markt aussteigt.

Was gegenwärtig eine gute Nachricht für den Aktienmarkt darstellt, kann sich also sehr schnell ins Gegenteil verkehren – dann nämlich, wenn die gesamtwirtschatlichen Daten im allgemeinen und die Inflationsstatisiken im besonderen aus Sicht von EZB-Chef Mario Draghi gut genug sind, um ein Ende der Markteingriffe einzuleiten. (hw)