In Deutschland scheint fast alles normiert zu sein – von der Höhe der Treppenstufen über die Beleuchtung am Arbeitsplatz bis hin zur Frage, wie die Anschrift auf einem Briefbogen aussehen soll. Das mag spießig klingen, ist aber sinnvoll, wie jeder bestätigen kann, der bei einer Burgbesichtigung schon mal den Wehrturm hochgestolpert ist. Hätte es das 1917 gegründete Deutsche Institut für Normung schon im Mittelalter gegeben, wäre das nicht passiert.

Ein anderer – durchaus relevanter – Teil des täglichen Lebens blieb bislang von einer DIN-Norm verschont: die Finanzberatung. Doch das wird sich bald ändern, denn noch in diesem Jahr dürfte die DIN 77230 "Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte" in Kraft treten (FONDS professionell ONLINE erläutert hier die Details). Der Entwurf liegt seit einigen Wochen vor, nun brütet das DIN-Institut über den Änderungswünschen, die Branche und Bürger eingereicht haben.


Ihre Meinung ist gefragt!
Was halten Sie als Anlageberater oder Versicherungsvermittler von der Norm? Werden Sie sich künftig an den neuen Vorgaben orientieren?

 

 


Vier Gründe für eine schnelle Verbreitung
Die Anwendung der Norm ist nicht verpflichtend, und doch sprechen gleich vier Gründe dafür, dass sie sich schnell durchsetzen wird. Erstens basiert sie auf einem breiten Konsens: Branchenvertreter, Wissenschaftler und Verbraucherschützer waren sich tatsächlich einig – ein eher seltenes Phänomen. Zweitens helfen die drei Buchstaben bei der Vermarktung, denn der DIN-Stempel schafft Vertrauen in einer Welt, der die meisten Verbraucher eher skeptisch gegenüber stehen.

Drittens dürfte sich die Norm durchsetzen, weil sie so strukturiert ist, dass sie sich recht leicht über eine Software abbilden lässt. In einigen Jahren werden zahlreiche Banken, Maklerpools und Vertriebe die Norm in ihre Beratungsprogramme integriert haben. Und viertens wird es eines Tages schlicht ein Risiko sein, sich nicht an die DIN-Vorgaben zu halten: Ein Makler, der wegen einer Falschberatung vor Gericht steht, wird in arge Argumentationsnöte kommen, sollte er die Norm ignoriert haben.

Ein echter Standard statt großem Interpretationsspielraum
Kritiker wenden gerne ein, die Norm sei eigentlich überflüssig. Es stimmt schon: Wer heute Finanzberatung anbietet, muss seine Sachkunde nachgewiesen haben und sich an die einschlägigen Gesetze und Verordnungen halten. Darum ist das Risiko einer Falschberatung inzwischen deutlich kleiner als noch vor zehn Jahren. Richtig ist auch, dass seriöse Berater schon längst alle Punkte beachten, die die Norm künftig vorschreiben wird.

Dennoch ist es gut, dass die Norm bald Realität wird. Denn noch immer gibt es Vermittler, die vor allem auf den schnellen Euro schielen und dafür die eigentlichen Bedürfnisse ihrer Kunden ignorieren. Basiert die Beratung künftig auf einer normierten Analyse der finanziellen Situation, ist das kaum noch möglich.

Die Gesetze und Verordnungen, an die sich die Berater halten müssen, bieten an vielen Stellen Interpretationsspielraum. Die Norm ist da viel rigoroser. Sie setzt einen echten Standard. Im übertragenen Sinne gibt das Gesetz lediglich vor, dass die Treppe ein bequemes, stolperfreies Gehen ermöglich soll, während die Norm die Zentimeter vorschreibt.

Standardisierte Analyse, individuelle Beratung
Das Totschlagargument gegen den DIN-Vorstoß lautet, dass sich die Finanzberatung nicht normieren lasse, schließlich sei jeder Mensch individuell. Das ist absolut richtig. Dennoch zieht das Argument nicht. Denn die Norm standardisiert nur die Analyse, nicht aber die Beratung.

Die Köpfe hinter der Norm haben ein passendes Beispiel gefunden: Ein Bluttest sollte stets zum gleichen Ergebnis kommen – unabhängig davon, in welcher Praxis der Patient sein Blut gelassen hat. Welche Therapie der Arzt dann empfiehlt, ist eine ganz andere Frage, die immer vom konkreten Patienten abhängt. Es steht zu hoffen, dass die Finanzbranche daraus lernt: Die Analyse darf standardisiert sein, ohne dass die Individualität der Beratung leidet.