Die finanzielle Lage vieler deutscher Lebensversicherer ist schlechter als gemeinhin gedacht. Davon ist Reiner Will überzeugt, Geschäftsführer der Kölner Ratingagentur Assekurata. Die Eigenkapitaldecke vieler Anbieter sei in den vergangenen vier Monaten immer dünner geworden, sagte er in einem Interview mit dem "Handelsblatt". Der Anlass des Gesprächs waren die Daten zur Eigenkapitalausstattung der deutschen Versicherungsunternehmen nach der europäischen Solvency-II-Richtlinie – die Finanzaufsicht Bafin hatte die entsprechenden Daten vor einigen Tagen veröffentlicht (FONDS professionell ONLINE berichtete).

Die Bonner Behörde kommt hierbei, basierend auf Zahlen für das erste Quartal 2016, zu dem Schluss, dass sich die Kapitaldecke der Versicherer zwar im Durchschnitt seit Jahresbeginn spürbar verschlechtert hatte. Insgesamt würden die Gesellschaften aber die von der Solvency-II-Richtlinie vorgeschriebene Mindestkapitalausstattung stemmen – wenngleich zwei auch nur wegen einer Sonderregelung.

Zinsumfeld verschlechterte sich
Will betont dagegen in dem Gespräch mit der Zeitung, dass der Bafin-Report nicht das aktuelle Bild zeigt: "Die Lage der Versicherer ist eigentlich noch schwieriger, als es der Bafin-Bericht ausdrückt. Denn die Behörde hat lediglich den Zeitpunkt von Ende 2015 mit dem 31. März 2016 verglichen." Seitdem sei das Zinsniveau noch weiter abgerutscht. Die Situation für viele Versicherer habe sich also noch weiter verschärft.

Der Grund dafür seien die Zinsentwicklung und die Anforderungen durch die Zinszusatzreserve. Um die Forderungen älterer, vergleichsweise hochverzinster Lebenspolicen erfüllen zu können, müssen die Gesellschaften die sogenannte Zinszusatzreserve aufbauen. Die Aufwendungen für diesen Topf drücken aber – vereinfacht ausgedrückt – die Bilanz und damit auch die Kapitaldecke der Anbieter.

Misere hält an
"Die Lebensversicherer kämpfen mit einem systemischen Risiko, da es ihnen immer schwerer fällt, die einst garantierten Zinsen am Markt noch zu erwirtschaften. Wenn mir also das Bild erlaubt ist: Manche Unfallversicherer sind erkältet, aber viele Lebensversicherer haben eine schwere Grippe", sagte Will dem "Handelsblatt". Er fügte aber direkt an, dass Kunden ihre Policen nicht panisch kündigen sollten. Die Bafin habe die Problemfälle eng im Blick.

Allerdings sei eine schnelle Verbesserung der Lage auch nicht in Sicht. Die Versicherungsgesellschaften haben laut Will zwei Möglichkeiten, um sich aus der Misere zu befreien: Entweder sie würden sich neues Kapital besorgen, was derzeit am Markt schwierig sei. "Oder sie reduzieren das Risiko, indem sie zum Beispiel neue Produkte ohne Garantiezins auflegen, was jedoch länger dauert, bis es wirkt. Eine einfache Kur gibt es daher leider nicht", zitiert ihn die Zeitung. (jb)