Die erstaunlichen Ergebnisse von ChatGPT und ähnlichen Programmen haben einen regelrechten Hype rund um die künstliche Intelligenz (KI) entfacht. Auch in der Asset-Management-Industrie wird immer aufgeregter darüber diskutiert, welche Umbrüche diese Technologie für die eigene Branche bedeuten könnte. Im Büro des Frankfurter Vermögensverwalters Acatis traf FONDS professionell ONLINE zwei ausgewiesene Experten zum Gespräch. Der Mathematiker Kevin Endler, seit 2013 im Unternehmen und Leiter des quantitativen Portfoliomanagements, forscht zu KI-Themen und entwickelt entsprechende Tools. Sein Kollege Eric Endress, promovierter Physiker und Leiter des quantitativen Research, verantwortet den Bereich Künstliche Intelligenz bei Acatis.


Herr Endler, Herr Endress, Ihr Unternehmen legte schon lange vor dem aktuellen Hype um die künstliche Intelligenz einen KI-gesteuerten Fonds auf, den Acatis AI Global Equities. Die Performance enttäuschte anfangs jedoch, im Sommer 2019 musste die Anlagestrategie überarbeitet werden. Warum?

Kevin Endler: Der Fonds startete im Juni 2017, und anfangs gelang es tatsächlich nicht, eine Outperformance zu erreichen. Darum haben wir das Modell verschlankt: Die Aufgabe der KI ist es nur noch, in den einzelnen Sektoren weltweit nach den besten Aktien zu suchen. In allen anderen Punkten verhalten wir uns so gut es geht neutral zum Vergleichsindex MSCI World, etwa was die Allokation nach Sektoren oder Regionen anbelangt.

Anfangs entschied die KI auch, in welchen Sektoren und Regionen investiert wird?

Endler: Genau, und das ging nicht auf. Es kam zu einem Übergewicht in Sektoren, die zwar günstig aussahen, für dessen niedrige Kurse es aber gute Gründe gab. Mittlerweile funktioniert unser Modell sehr gut. Seit der Umstellung summiert sich die Outperformance zum MSCI World auf 17 Prozentpunkte, was unserer Meinung nach ein beachtlicher Wert ist. Noch wichtiger ist, dass das Alpha recht stetig generiert wird – und dass es tatsächlich fast ausschließlich aus der Aktienselektion kommt, also nicht auf die Sektorallokation, Währungseffekte oder andere Faktoren zurückzuführen ist.

Wie geht die KI konkret vor?

Eric Endress: Vereinfacht gesagt lässt sie alle Unternehmen eines Sektors wie in einem Wettbewerb gegeneinander antreten. Die entscheidende Frage lautet, wer auf Basis der Firmenkennzahlen über die kommenden Monate die beste Performance abliefern wird. Unser globales Universum umfasst insgesamt rund 4000 Aktien aus 21 Sektoren. Nur diejenigen mit einer ausreichenden Datenqualität kommen in Frage. Am Ende werden die vielversprechendsten 50 Titel ins Portfolio aufgenommen.

Um welche Firmenkennzahlen geht es da?

Endler: Meist sind das klassische Geschäftszahlen wie Umsatz, Gewinnrendite, operativer Cashflow und Verschuldung. Hinzu kommt beispielsweise die Auswertung von Analysten-Calls. Die KI erfasst anhand der Äußerungen der Firmenvertreter und der Fragen der Analysten, ob die Finanzmarktprofis dem Unternehmen aktuell eher wohlgesonnen sind oder nicht. Wichtig ist, dass wir der KI nur Informationen zu den Firmen füttern, keine Markt- oder Makrodaten wie das Wirtschaftswachstum oder das Zinsniveau. Das ist auch der Grund, warum wir zwei Sektoren ausblenden: die Banken und die Immobilienkonzerne. Beide sind sehr zinssensitiv. Mit deren Bilanzen hat eine KI, die auf Unternehmen aus der Realwirtschaft trainiert wurde, ihre Probleme.

Der Kurs einer Aktie zählt ja aber auch zu den Marktdaten, und den wird Ihre KI wohl berücksichtigen.

Endress: Aber erst im letzten Schritt, wenn es darum geht, ein Kursziel zu formulieren und zu entscheiden, welche Firma den höchsten Zugewinn verspricht. Vorher steht die Geschäftsentwicklung im Fokus – unabhängig von der Börse.

Zu welchen Titeln rät die KI denn bevorzugt?

Endler: Sie wählt gerne eher kleine Unternehmen aus. Die Aktie mit der größten Marktkapitalisierung in unserem Portfolio, Danone, ist im MSCI World erst auf Platz 300 zu finden. Es gibt außerdem einen Hang zu Value-Titeln von Unternehmen mit qualitativ hochwertigen Geschäftsmodellen. Das ist auch wenig erstaunlich, schließlich haben wir versucht, der KI die Value-Prinzipien von Acatis beizubringen.

Wie oft schichten Sie das Portfolio um?

Endler: Nur jedes halbe Jahr – vorausgesetzt natürlich, die KI hat Aktien gefunden, die noch vielversprechender sind als die, die ohnehin schon im Fonds sind.

Wenn Sie sich auf eine überschaubare Zahl an Datensätzen beschränken und zudem mit Informationen arbeiten, die sich irgendwie quantifizieren lassen, bräuchten Sie doch eigentlich keine KI, oder? Ein "normaler" Algorithmus, der einem festgelegten Schema folgt, müsste doch reichen.

Endress: Der Unterschied von der KI zum Algorithmus ist, dass sie sich gewissermaßen selbst den Weg zum Ziel sucht. Wir geben ihn nicht vor. Und offensichtlich gelingt es ihr gut, ans Ziel zu gelangen.

Jetzt, wo die KI offensichtlich verstanden hat, was sie tun soll – sind Sie da Ihren Job los?

Endler (lacht): Nein, wir haben noch genug zu tun! Wir forschen natürlich weiter und versuchen, das Modell zu verbessern. Wir prüfen beispielsweise, welche zusätzlichen Datenquellen wir der KI sinnvollerweise füttern sollten. Das macht einen großen Teil der Entwicklungsarbeit aus. Wenn man Blödsinn vorne reinsteckt, ist klar, was hinten rauskommt.

Setzt Acatis die KI nur für diesen Fonds ein oder auch für andere?

Endress: Das Modell für den Acatis AI Global Equities haben wir gemeinsam mit Nnaisense aus der Schweiz entwickelt und nutzen es nur für diesen Fonds. Wir verfügen allerdings auch über ein firmeneigenes KI-System, das Firmen paarweise vergleicht. Es dient als Ideengenerator für unsere aktiv gemanagten Fonds, unterstützt also die Portfoliomanager bei ihrer Arbeit. In einigen Fonds kommt auch ein Filter zum Einsatz: In die engere Wahl kommen nur Aktien von Firmen, die einen gewissen Score in unserem KI-Modell erreichen. Wir verwalten zudem Mandate, für die die KI beispielsweise drei Aktien vorschlägt, aus denen der Portfoliomanager dann eine auswählt. So lassen sich auch Makrofaktoren abfangen, die von der KI unberücksichtigt blieben.

Wo stößt die KI an ihre Grenzen?

Endler: Die KI braucht valide Daten für die Unternehmen. Für die Industrieländer liegen diese Informationen vor, in den Schwellenländern ist das schwieriger. Chinesische Aktien würden wir beispielsweise noch nicht von einer KI auswählen lassen. Auch bei Börsengängen braucht es noch einen Menschen, denn nur er kann die Intuition und Erfahrung mitbringen, um den potenziellen Geschäftserfolg eines jungen Unternehmens abschätzen zu können. Unserer KI wird es wahrscheinlich auch nie gelingen, den absoluten Top-Performer zu finden, der alle anderen Titel hinter sich lässt. Aber das ist auch nicht der Anspruch. Sie soll in der Breite ein gutes Portfolio zusammenstellen, was ihr ja gelingt. Ein guter Fondsmanager muss sich daher keine Sorgen um seinen Job machen.

Und ein mittelmäßiger?

Endler: Der vielleicht schon.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)