Der Frankfurter Vermögensverwalter Tungsten Capital Management gehört zu den Vorreitern, wenn um den Einsatz einer Künstlichen Intelligenz im Portfoliomanagement geht. Der marktneutrale Tungsten Trycon AI Global Markets gilt als ältester und mit gut 120 Millionen Euro auch größter hierzulande zugelassene KI-Publikumsfonds. Ein Blick auf die Performance zeigt, dass die KI offensichtlich auch als Portfoliomanager taugt – selbst im schwierigen Jahr 2022, in dem es sowohl am Aktien- als auch am Rentenmarkt bergab ging, stand unter dem Strich ein Plus. Allerdings gab es in der Vergangenheit auch schwächere Phasen, 2018 mussten Anleger beispielsweise einen Verlust im zweistelligen Prozentbereich verschmerzen. Michael Günther und Pablo Hess, die beiden Köpfe hinter der Strategie, erläutern im Interview mit FONDS professionell ONLINE die Hintergründe.


Herr Günther, Herr Hess, Sie lassen Ihren Fonds, den Tungsten Trycon AI Global Markets, schon seit zehn Jahren von einer Künstlichen Intelligenz managen. Damals war das Thema noch lange nicht in der Breite angekommen, so wie das heute dank ChatGPT und Co. der Fall ist. Wie kamen Sie seinerzeit auf die Idee?

Michael Günther: Wir haben tatsächlich schon im Jahr 2000 damit begonnen, uns mit den Möglichkeiten der KI zu beschäftigen. Wir managten damals eine systematische Trendfolgestrategie und hatten das Gefühl, dass solche Investmentansätze nicht das volle Potenzial ausschöpfen, wenn es um die Analyse und Interpretation von Daten geht. Mit KI, so unsere Idee, sollte eine tieferschürfende Auswertung möglich sein.

Warum kann das nicht auch ein Algorithmus leisten, also ein vorgegebener Ablauf, wie mit den Daten zu verfahren ist?

Günther: Ab einer gewissen Komplexität wird ein Algorithmus zu unübersichtlich. Das Charmante an einer KI ist außerdem, dass sie, anders als ein Algorithmus, keine Hypothese braucht. Sie sucht sich gewissermaßen selbst ihren Weg zum Ziel. Als wir anfingen, mit KI zu experimentieren, gab es aber natürlich keine Plug-and-Play-Lösungen, wir mussten alles selbst entwickeln. Wir haben also viel geforscht und ausprobiert. 2013 fühlten wir uns dann sicher genug, unseren Fonds von einem Trendfolgemodell auf eine KI-Steuerung umzustellen.

Pablo Hess: Wichtig ist, dass wir uns nicht auf eine einzelne KI verlassen. Wir hatten von Anfang an zwei Modellfamilien im Einsatz, im Januar 2019 kam eine dritte hinzu. Deren Empfehlungen sind zum einen untereinander sehr gering korreliert, zum anderen liegt ihre Korrelation zu den wichtigen Assetklassen nahe Null. Das sorgt dafür, dass unser Fonds ein Portfolio wirklich sinnvoll diversifizieren kann.

Für einen Laien erklärt: Was tut Ihre KI?

Günther: Unsere Modelle werten täglich eine siebenstellige Zahl von Preisdaten aus. Daraus berechnen sie die Wahrscheinlichkeit von Marktbewegungen – verbunden mit einer Information darüber, wie sicher sich die KI mit ihrer Einschätzung ist. Als Ergebnis erhalten wir dynamische Handelssignale, also die Empfehlung, bestimmte Portfoliopositionen in einem bestimmten Umfang auf- oder abzubauen. Wenn Sie so wollen, bekommen wir also jeden Tag drei unabhängige Expertenmeinungen zu verschiedenen Assetklassen auf den Tisch. Die KI agiert marktneutral, sie kann einen Teilmarkt also auch shorten. So war es uns beispielsweise auch möglich, im vergangenen Jahr von den fallenden Rentenmärkten zu profitieren.

Sie setzen die Empfehlungen der KI mit Terminkontrakten um. Warum?

Hess: Sie bieten ein Höchstmaß an Liquidität und ermöglichen es, sehr kosteneffizient zu investieren. Wir konzentrieren uns auf vier große Assetklassen: Aktienindizes, Staatsanleihen, Währungen und Volatilitäten. Diese brechen wir runter auf 60 unterschiedliche Teilmärkte, also beispielsweise den S&P 500, den Bund-Future oder den australischen Dollar. In die entsprechenden Terminkontrakte investieren wir dann.

Wenn Ihre KI Ihnen empfiehlt, den Austral-Dollar zu shorten: Wissen Sie dann, weshalb Sie zu diesem Ratschlag kam? Oder ist das eine Black-Box?

Günther: Uns ist klar, mit welchen Daten die KI arbeitet, wir kennen die wesentlichen Einflussfaktoren und die grundsätzlichen Prinzipien der Entscheidungsfindung – wir haben die Modelle schließlich selbst programmiert und eingehend geprüft. Daher sprechen wir lieber von einer "Grey-Box".

Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die KI mal Blödsinn empfiehlt?

Günther: Nein. Wir arbeiten seit zehn Jahren mit unserer KI und blicken mittlerweile auf mehr als 50.000 Transaktionen zurück. Das gibt uns die Sicherheit, dass unsere Modelle solide Entscheidungen treffen.

Entschuldigen Sie die Frage, aber wenn das System so gut funktioniert – wozu braucht es Sie dann noch?

Hess (lacht): Keine Sorge, es gibt immer noch genug zu tun für uns! Wir forschen weiter, beispielsweise zur Frage, welche weiteren Datensätze wir der KI füttern könnten, um zu noch robusteren Ergebnissen zu kommen. Unsere Modelle haben zwar bereits einen hohen Entwicklungsstand erreicht, das heißt aber nicht, dass sie sich nicht weiter verbessern ließen. Auch im Tagesgeschäft sind wir noch gefragt. Wir verifizieren und plausibilisieren die Vorschläge der KI, bevor wir sie umsetzen.

Sie würden ohne Empfehlung Ihrer KI aber keine Position aufbauen, beispielsweise weil Sie persönlich von einer bestimmten Wette überzeugt sind?

Hess: Nein, das würden wir nicht tun. Wir hinterfragen nicht das ökonomische Kalkül hinter einem Handelssignal, bringen also keine eigene Marktmeinung ein.

In den vergangenen Jahren konnte die Performance des Fonds überzeugen. 2018 stand unter dem Strich aber ein zweistelliges Minus. Kommen in solchen Situationen Zweifel an der Leistungsfähigkeit der KI auf?

Günther: Damals war die Trefferquote ein halbes Jahr lang tatsächlich untypisch niedrig. Aber es wäre falsch, das System in solchen Situationen einfach auszustöpseln. Derartige Phasen wird es immer wieder mal geben. Neu aufsetzen würden wir ein Modell nur, wenn es einen klar ersichtlichen Grund dafür gibt. Den gab es aber nicht. Geholfen hat, dass wir unsere Strategie 2019 wie erwähnt mit einer dritten Modellfamilie ergänzt haben. Das war aber keine überstürzte Entscheidung, sondern diese KI hatten wir drei Jahre lang entwickelt. Mittlerweile arbeiten übrigens alle drei Modellfamilien wieder profitabel.

In jüngster Vergangenheit gab es einige echte Umbrüche an den Finanzmärkten, etwa die hochschnellende Inflation und die Zinswende. Wie geht die KI mit solchen Phasen um, die sie mutmaßlich ja noch nicht kennt?

Hess: Die KI muss sowohl mit steigenden als auch mit fallenden Märkten zurechtkommen, entsprechend trainieren wir sie auch. Unsere gute Performance im Rentencrash im vergangenen Jahr zeigt, dass das funktioniert hat. Wir achten sehr darauf, der KI nur wirklich solide Daten zu füttern. Irgendwelche Social-Media-Posts kämen als Inputfaktoren beispielsweise nicht in Frage, schon weil es dort noch keine jahrzehntelange Historie gibt.

Wo liegen die Grenzen der KI?

Hess: Das eben genannte Beispiel illustriert das gut: Ohne ausreichende Datengrundlage ergibt es keinen Sinn, auf eine KI zu setzen.

Günther: Ein anderes Beispiel ist das Risikomanagement. Unsere KI hat zwar ein Risikobewusstsein, sie versorgt uns schließlich mit Informationen darüber, wie sicher sie sich bei einer Entscheidung fühlt. Dennoch geben ausschließlich wir das Risikokorsett vor. Bei unserem Risikomanagement hat die KI nichts mitzureden. Das ist uns wichtig.

Ihre Investmentstrategie ist schon deshalb komplex, weil die wenigsten Investoren KI-Experten sind. Ist das ein Vertriebshemmnis?

Günther: Anfangs war es natürlich eine Herausforderung, zu erläutern, wie unser Fonds funktioniert. Sehr hilfreich ist da natürlich unser langjähriger Trackrecord, mit dem wir zeigen können, dass unser Ansatz tatsächlich aufgeht. Ab November 2022 wurde der Vertrieb unseres Fonds dann schlagartig einfacher.

Weil damals ChatGPT frei zugänglich auf den Markt kam?

Günther: Genau. Seither ist vielen bewusst geworden, welche Rolle KI im Alltag schon spielen kann, Das hat die Hürden, sich auf entsprechende Investmentkonzepte einzulassen, deutlich gesenkt. Ich bekam jüngst sogar einen Anruf eines Interessenten, der meinte, seine Kunden hätten nach einem KI-Fonds gefragt – ob ich ihm unser Produkt mal vorstellen könnte. So etwas wäre vor ChatGPT wahrscheinlich nicht passiert.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)