Der Fall ist beinahe skurril: Ein Allianz-Kunde beschwerte sich, dass der Versicherer einen zusätzlichen, niedrigen Schwellenwert eingeführt hat, um Beitragsanpassungen vornehmen zu können. Normalerweise ist es umgekehrt: Kunden beschweren sich, weil hohe Beitragsanpassungen erst nach Erreichen hoher Schwellenwerte erlaubt sind.

Hintergrund: In der PKV muss erst einer von zwei Schwellenwerten überschritten werden, ehe die Beiträge erhöht werden dürfen. Die Leistungsausgaben steigen mehr als zehn Prozent gegenüber der Kalkulation, oder die statistische Sterblichkeit sinkt über fünf Prozent gegenüber der verwendeten Sterbetafel. Beide Faktoren lösen Beitragssprünge aus und heißen deswegen auch "auslösende Faktoren". Solange diese Faktoren nicht anschlagen, bleibt der Beitrag stabil – oft über Jahre. Ist der Grenzwert erreicht, werden mit der neuen Beitragskalkulation auch Anpassungen aus den Vorjahren nachgeholt.

Über fünf Prozent kann man erhöhen, muss aber nicht
Die konkrete Klausel der Allianz besagte, dass der Versicherer die Prämien anpassen kann, aber nicht muss, wenn die tatsächlichen Leistungen von der Kalkulation um mehr als fünf, aber weniger als zehn Prozent ansteigen. Von dieser Klausel hatte der Versicherer auch mehrfach Gebrauch gemacht und die Beiträge von 2012 bis 2018 insgesamt fünf Mal erhöht.

Durch diese Klausel sah sich ein Kunde einseitig benachteiligt. Seine Argumentation: Der Versicherer behalte sich das Recht vor, die Beiträge nach oben anzupassen, habe aber keine Verpflichtung, bei einer Reduzierung der Kosten den Beitrag zu senken. Das Oberlandesgericht (OLG) Rostock gab ihm recht und stellte die Rückzahlung von über 4.000 Euro in Aussicht (Az.: 4 U 132/21).

BGH: Keine Benachteiligung für Kunden
Der Bundesgerichtshof (BGH) sah das anders und entschied Mitte Juli: Eine Prämienanpassungsklausel in der PKV, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, weicht nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers ab und benachteiligt diesen auch nicht unangemessen (Az.: IV ZR 347/22 – externer Link).

Die Allianz-Klausel zur Anpassung bei veränderten Kalkulationsgrundlagen lautet sinngemäß: Der Versicherer vergleicht zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen. Ergibt sich für eine Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als zehn Prozent, werden alle Beiträge überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als fünf Prozent können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden.

Klausel für Kunden eher hilfreich
Versicherern ist es laut BGH grundsätzlich erlaubt, neben der gesetzlichen Zehn-Prozent-Schwelle einen zusätzlichen Schwellenwert in den Bedingungen zu verankern, "bei dessen Überschreitung durch den Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen der Versicherer zu einer Prämienanpassung berechtigt, aber noch nicht verpflichtet wird".

Der Kunde werde dadurch nicht benachteiligt. Im Gegenteil: Mit der Berechtigung zur Prämienanpassung verfolge der Versicherer keine eigenen Interessen. Stattdessen helfe die Berechtigung zu Prämienanpassungen unterhalb der gesetzlichen Schwelle dabei, Beitragsanpassungen zu verstetigen und Beitragssprünge zu vermeiden. Die Klausel und damit auch die Beitragsanpassungen waren demnach nicht zu beanstanden.

Versicherer müssen Anpassungen weiter genau begründen
Umgekehrt kann es für Kunden weiter sinnvoll sein, gegen Ankündigungen zur PKV-Beitragserhöhung vorzugehen. Die müssen nämlich mehr als nur den bloßen Hinweis auf einen allgemeinen Anstieg der medizinischen Kosten enthalten. Ansonsten sind sie unwirksam. So muss der Kunde die Beitragsanpassung nachvollziehen können, sagt der BGH in einem Urteil vom 16. Dezember 2020 und hat entschieden, wann die Begründung einer Beitragserhöhung formal falsch und damit unwirksam ist (Az.: IV ZR 314/19 – externer Link).

Grundsätzlich gilt, dass Versicherer Beitragserhöhungen plausibel und ausführlich begründen müssen, entschied der BGH mit Urteil vom 21. Juli 2021 (Az.: IV ZR 191/20 – externer Link) und vom 23. Juni 2021 (Az.: IV ZR 250/20 – externer Link). Die Voraussetzungen für Begründungsschreiben zur Beitragserhöhung sind gesetzlich geregelt (Paragraf 203 VVG; externer Link). (dpo)