Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Rechte der Kunden von Lebensversicherungen gestärkt. Wie das oberste deutsche Gericht am 7. Mai verkündete (AZ: IV ZR 76/11), können Versicherungsnehmer ihre Renten- und Lebensversicherungen noch nach Jahren widerrufen, wenn sie bei Vertragsschluss nicht umfassend über ihre Rechte aufgeklärt worden sind. Dem Urteil des BGH war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vorangegangen, nach der eine deutsche Regelung für Widerruf bei Versicherungen gegen europäisches Recht verstößt.

Die Entscheidung betrifft nur zwischen 1994 und Ende 2007 abgeschlossene Altverträge. In den damals abgeschlossenen Verträgen nach dem sogenannten "Policenmodell" erlosch das Kündigungs- und Widerspruchsrecht des Kunden spätestens ein Jahr nach der ersten Prämienzahlung, auch dann, wenn er von diesem Recht gar nichts gewusst hatte. Seit 2008 müssen die Kunden die Vertragsbestimmungen und die Geschäftsbedingungen vor ihrer Unterschrift ausgehändigt bekommen.

AGB nicht rechtzeitg erhalten
Zum konkreten Hintergrund: Der Kläger hatte 1998 bei der Allianz eine Rentenversicherung abgeschlossen. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation erhielt er laut BGH mit Übersendung des Versicherungsscheins. Dabei wurde er nicht ausreichend über sein Widerspruchsrecht belehrt. Von Dezember 1998 bis Dezember 2002 zahlte der Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 51.129,15 Euro. Nachdem er den Vertrag im Juni 2007 gekündigt hatte, zahlte ihm die Allianz im September 2007 einen Rückkaufswert von 52.705,94  Euro aus. 2008 legte der Kläger Widerspruch ein und berief sich dabei auf Paragraf 5a Absatz 1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetztes (VVG) a.F. und forderte die Allianz zur Rückzahlung aller Beiträge nebst Zinsen auf.

Der BGH hatte den Fall zunächst  an den EuGH verwiesen. Die Frage der Karlsruher Richter an ihre in Luxemburg sitzenden Kollegen war,  ob Artikel 15 Absatz 1 Satz 1 der Zweiten europäischen Richtlinie für Lebensversicherung so zu verstehen ist, dass er einer Regelung wie in Paragraf 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a.F. entgegensteht. Nach dieser erlischt ein Rücktritts- oder Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie, selbst wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt oder Widerspruch belehrt worden ist. Die Richter des EuGH haben dies am 19. Dezember 2013 bejaht. Damit verstößt die deutsche Regelung gegen europäisches Recht.

Prämien ohne Rechtsgrundlage gezahlt
Daher kann der Versicherungskunde die Rückzahlung der Prämien verlangen, weil er diese laut BGH rechtsgrundlos geleistet hat. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag sei auf der Grundlage des Paragraf 5a VVG a.F. nicht wirksam zustande gekommen, weil der Kläger rechtzeitig den Widerspruch erklärt habe. Denn die 14-tägige Widerspruchsfrist gemäß Paragraf 5a Absatz 1 Satz 1 VVG a.F. galt nicht, weil er nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts mit Übersendung des Versicherungsscheins nicht in drucktechnisch deutlicher Form über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde. Wie viel Geld er jetzt genau von der Versicherung zurück erhält, muss allerdings noch das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart klären.

GDV: "Kein ewiges Widerrufrecht"
Das Urteil hat nach Einschätzung von Anwälten und Verbraucherschützern Signalwirkung für Tausende Fälle, in denen bereits Verfahren vor den Gerichten anhängig sind, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Der Bundesverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) dagegen warnte in einer Pressemitteilung davor, dass diese Entscheidung  zu einer Art "ewigem Widerrufsrecht für Millionen alter Lebensversicherungsverträge" führe. Dies sei nicht der Fall, weil dass Urteil nicht automatisch alle nach dem "Policenmodell" abgeschlossenen Versicherungsverträge betreffe, sondern allenfalls nur solche Fälle, bei denen der Kunde in der Lebensversicherung nicht im gebotenen Maße über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten habe. (jb)