Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Lebensversicherungsgesellschaften ihren Vertragsnehmern die Beteiligung an den firmeneigenen Bewertungsreserven kürzen dürfen. Das gilt auch für Kunden, denen bereits eine höhere Überschussbeteiligung in Aussicht gestellt wurde. Allerdings muss der Versicherer darlegen, dass er ohne die Kürzung die zugesagten Garantiezinsen für ältere Lebensversicherungsverträge nicht sicherstellen kann – und diese Begründung müsse auch für den Kunden plausibel sein.

Damit hat das oberste deutsche Gericht klar gestellt (Az. IV ZR 201/17), dass die entsprechenden Vorschriften des 2014 erlassenen Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG), das zum neuen Paragraf 153 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) führte, nicht verfassungswidrig sind. Diese Auffassung hatte der Bund der Versicherten (BdV) vertreten, der den Prozess initiiert hatte. Das Urteil war zunächst chon für den 12.Juni erwartet worden, der BGH hatte die Verkündigung aber verschoben. 

Victoria Versicherung kürzte die Auszahlungen
Zum Hintergrund: Lebensversicherungen legen das Geld ihrer Kunden bekanntermaßen besonders konservativ am Kapitalmarkt an, also vor allem in festverzinslichen Anleihen. Bewertungsreserven entstehen dann, wenn diese Schuldtitel mehr wert sind, als sie ursprünglich gekostet haben. Angesichts der seiit Jahren anhaltend niedrigen Zinsen könnten so nun die alten festverzinslichen Wertpapiere mit noch hoher Verzinsung zu einem Preis über ihrem Buchwert verkauft werden.

Seit 2008 und bis zur Einführung des LVRG im Jahr 2014 mussten die Versicherer zum Ende des Vertrags ihre Kunden zur Hälfte an diesen derart auflaufenden stillen Reserven beteiligen. Seit 2014 sind sie dazu nicht mehr verpflichtet, wenn bei noch bestehenden Verträgen die Auszahlung garantierter Leistungen dadurch gefährdet ist.

Im vorliegenden Fall hatte die zur Ergo gehörende Victoria Versicherung einem Kunden zunächst die Auszahlung von knapp 50.300 Euro in Aussicht gestellt. In diesem Betrag waren Bewertungsreserven in Höhe von mehr als 2.800 Euro enthalten. Die endgültige Auszahlung belief sich aber nur auf 47.600 Euro, weil die Gesellschaft die stillen Reserven nur noch mit knapp 150 Euro veranschlagte. Ihre Begründung: Die Auszahlungen an andere Versicherungsnehmer sollten nicht gefährden werden – das LVRG erlaubt das.

BGH: Gesetzgeber sorgte für Interessensausgleich
Der für Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH führt in einer Pressemitteilung nun aus, dass Paragraf 153 VVG besage, "dass ein Versicherer Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherungsunternehmen gehaltenen festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften bei der Beteiligung der Versicherungsnehmer an Bewertungsreserven nur insoweit berücksichtigen darf, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Verträgen mit Zinsgarantie überschreiten." Grund für diese Neuregelung sei gewesen, dass nach Auffassung des Gesetzgebers ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld mittel- bis langfristig die Fähigkeit der Versicherer bedrohen würde, die zugesagten Zinsgarantien zu erbringen.

Laut BGH habe der Gesetzgeber ferner verschiedene Maßnahmen getroffen, die sowohl die Interessen der ausscheidenden Versicherungsnehmer als auch derjenigen, die ihre Verträge noch in der Zukunft fortführen, sowie diejenigen der Anteilseigner berücksichtigen sollen. Unter anderem habe er Änderungen der Mindestzuführungsverordnung vorgenommen, die zu einer höheren Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoüberschüssen führen. Ferner hat er den Höchstsatz für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten herabgesetzt, der die Vertriebskosten senken soll.

Der BGH hat den Fall jetzt an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Das muss jetzt entscheiden, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs bestanden hatten. (jb)