Daniel Pehle, Salary Partner der globalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Mazars in München, unterstützt Asset Manager, Banken, Versicherer und Immobilienkonzerne zu Fragen rund um ESG, Digitalisierung und Wachstum. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE erläutert der promovierte Wirtschaftswissenschaftler, was mit der Green Claims Directive aus Brüssel auf die Branche zukommt.


Herr Pehle, die Finanzbranche stöhnt gerne über die ESG-Regulierung aus Brüssel. Neben der CSRD-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung geht es dabei meist um die Offenlegungsverordnung. Seit einigen Monaten ist ein weiteres Regelwerk in Arbeit, die Green Claims Directive. Wie relevant wird diese Richtlinie für die Branche sein?

Daniel Pehle: Die Green Claims Directive wird eine sehr große Bedeutung für die Branche haben, sie wird meiner aktuellen Wahrnehmung nach noch völlig unterschätzt. Die EU-Kommission möchte Verbraucher und Unternehmen vor unzulässigen umweltbezogenen Angaben schützen, damit sie sich bewusst an der Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem beteiligen können. Im Ergebnis wird Greenwashing zur neuen Risikoklasse, die jedes Unternehmen in sein Compliance- und Risikomanagement aufnehmen sollte, um entsprechende Rechts-, Reputations- und letztlich finanzielle Risiken frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.

Worum geht es im Kern?

Pehle: Künftig sollen umweltbezogene Aussagen nur noch dann zulässig sein, wenn sie erstens nachweisbar und zweitens für das jeweilige Unternehmen oder Produkt erheblich sind. Wenn beispielsweise auf einem Produkt "klimaneutral" draufsteht, muss der Hersteller das belegen können, und zwar mit einem wissenschaftlich validen Verfahren. Für Anbieter und Vermittler von nachhaltigen Finanzprodukten gemäß Artikel 8 oder 9 der Offenlegungsverordnung ist das von besonderer Bedeutung, da mit diesen Produkten ja immer Umweltaussagen getroffen und damit auch beworben werden.

Sind die geplanten Auflagen für die Fondsbranche denn problematisch? Immerhin verpflichtet die Offenlegungsverordnung die Anbieter bereits zur Transparenz mit Blick auf die Nachhaltigkeit ihrer Finanzprodukte.

Pehle: Die Schwierigkeit ist die Substantiierung der Aussagen. Bislang gibt es niemanden, der die Angaben, die ein Fondsanbieter aufgrund der Offenlegungsverordnung tätigt, inhaltlich wirklich prüft oder prüfen kann. Die Aufsichtsbehörden prüfen nur formal, ob die Anforderungen der Verordnung eingehalten werden. Für einen Immobilienfondsanbieter ist es beispielsweise ein Leichtes, in den Verkaufsprospekt zu schreiben, dass die Kohlenstoffemissionen der Fondsobjekte um einen gewissen Prozentsatz sinken sollen. Doch wie wird das tatsächlich gemessen und nachgewiesen? Die dafür nötigen Daten hat der Asset Manager zumeist nicht oder er hat zwar Daten, kann aber den methodischen Ermittlungsansatz nicht verifizieren, oder er bezieht Schätzdaten von Dritten. Der Fondsanbieter müsste unter anderem den Stromverbrauch und das Heizverhalten aller Mieter überwachen – das geben die allermeisten Mietverträge Stand heute aber nicht her. Die digitale Analyse solcher Daten für Immobilien oder ganze Unternehmen, wie sie für Private-Equity-Fonds relevant wäre, steckt noch in der Anfangsphase. Werden Schätzdaten von Dritten herangezogen, sehen wir nicht selten, dass die Datenerhebung nicht den aufsichtsrechtlichen Anforderungen entsprechen würde. Uns treibt daher die "Auditierbarkeit" solcher Erhebungsprozesse um. Denn nur auf einer gesicherten und verifizierbaren Datenbasis können sichere Ableitungen getroffen werden, etwa zur Reduktion von CO2-Emissionen.

Können Siegel oder Zertifizierungen helfen?

Pehle: Für Siegel und Zertifizierungen sieht der Richtlinienvorschlag ähnliche Substantiierungspflichten vor wie für die Aussagen, die der Anbieter selbst trifft. Siegel ohne valides Prüfverfahren dahinter sind dann nicht mehr zu gebrauchen.

Sie sprachen über Immobilienfonds. Wie sieht es auf der Wertpapierseite aus?

Pehle: Bei einem Aktien- oder Rentenfonds ist die Sache einfacher, weil dort ESG-Ratings herangezogen werden können. Die Ratingagenturen haben hier frühzeitig reagiert, sodass die Marktabdeckung schon recht gut ist. Für Emittenten aus Schwellenländern oder Nebenwerte liegen unter Umständen aber noch keine entsprechenden Ratings vor.

Wer kontrolliert eigentlich, ob eine Umweltaussage statthaft ist oder nicht?

Pehle: Die Mitgliedstaaten sollen Prüfstellen einrichten und Verfahren definieren, mit denen eine Behörde die Einhaltung solcher Aussagen überprüfen kann. Bei Verstößen sind harte Sanktionen vorgesehen. Neben empfindlichen Geldbußen soll es möglich sein, das Unternehmen aus öffentlichen Vergabeverfahren auszuschließen. Auch die Einnahmen aus dem betroffenen Geschäft können eingezogen werden. Wie die Sanktionen konkret ausgestaltet werden, bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Neben die finanziellen Risiken tritt unserer Meinung nach das Reputationsrisiko mit mittelbaren wirtschaftlichen Konsequenzen als weitere wichtige Risikodimension. Die mediale Berichterstattung über bekannte Banken und Fondsanbieter zeigt, wie schwerwiegend ESG-bezogene Angaben in das Unternehmens- und Markenbild eindringen können. Die unmittelbaren und mittelbaren Kosten sind gewaltig und können bei kleineren Anbietern sicherlich existenzbedrohend wirken.

Kann sich bei der Prüfstelle jeder beschweren?

Pehle: Das Beschwerderecht soll jedem mit "berechtigtem Interesse" eingeräumt werden. Dies kennt man bereits aus dem Wettbewerbsrecht. Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sollen grundsätzlich ein Beschwerderecht haben. Bei einem Wettbewerber oder Verbraucher wäre das berechtigte Interesse nach den allgemeinen Regeln des Wettbewerbsrechts zu ermitteln. Die Aufsichtsbehörde kann aber auch von sich aus tätig werden, nicht nur nach einer Beschwerde.

Noch mal zurück zur Asset-Management-Branche. Die Botschaft ist, dass die Fondsanbieter im Marketing deutlich zurückhaltender mit Stichworten wie "klimaneutral", "nachhaltig" oder "grün" umgehen sollten?

Pehle: Ich denke, ein "Weniger kann manchmal mehr sein!" umschreibt die Situation ganz gut. Natürlich kennen wir die vertrieblichen Zwänge bei Finanzprodukten, aber ESG ist nicht reden, sondern machen. Wer nach außen über Nachhaltigkeit spricht, muss das basierend auf belastbaren Daten in seinem Investmentprozess und der Organisation auch tatsächlich umsetzen – und das sauber, also verifizierbar, dokumentieren. Es muss sich also im Unternehmen selbst etwas ändern, nicht nur in der Vermarktung. Zum Stichwort Marketing: Das ist heute schon ein großes Thema, wie nicht nur die vorhin erwähnten Greenwashing-Vorwürfe gegen mehrere Asset Manager zeigen. Wer in den juristischen Datenbanken nach Schlagworten wie "Umwelt", "Öko" oder "Klima" recherchiert, wird feststellen, dass die Zahl der Klagen, Abmahnungen und Urteile im Bereich des Wettbewerbsrechts seit Jahren zunimmt. Die Green Claims Directive wird diesen Trend befeuern.

In der Asset-Management-Branche wird jeder Jahresbericht von einem Wirtschaftsprüfer abgesegnet. Gibt das Sicherheit?

Pehle: Die Wirtschaftsprüfer haben mittlerweile zwar eigene Leitlinien, wie mit der ESG-Regulierung umzugehen ist, dennoch muss dies aktuell ein Graubereich bleiben. Ein guter Wirtschaftsprüfer wird seinen Mandanten warnen, wenn er meint, dass er in den offiziellen Dokumenten in Sachen Nachhaltigkeit zu dick aufträgt. Aber kein Prüfer wird so weit gehen, das Greenwashing-Risiko auszuschließen. Auch die Wirtschaftsprüfer selbst stehen vor einer enormen Herausforderung, denn ihre bisherigen Prüfprozesse basieren auf gefestigten monetären Kennziffern. Wenn man aber an Daten wie den CO2-Ausstoß oder den Energieverbrauch denkt, die bekanntlich nicht in Euro ausgedrückt werden, wird klar, dass eine Wirtschaftsprüfung ohne fundierte Nachhaltigkeitskenntnisse Risikopotenzial im Prüfsegment ESG haben wird. Daher mein Appell zu Beginn unseres Gesprächs: Jedes Unternehmen, auch in der Finanzbranche, muss Greenwashing als neue Risikoklasse in sein Compliance- und Risikomanagement aufnehmen.

Wie viel Zeit bleibt den Anbietern dafür?

Pehle: Der erste Entwurf wurde im März veröffentlicht. Erfahrungsgemäß dauert es bei EU-Richtlinien grob zwei Jahre, bis die Regeln in der Praxis ankommen. Daher sollten die Unternehmen besser heute als morgen damit beginnen, sich mit dem Regelwerk und seinen Konsequenzen zu beschäftigen, denn schon nach aktuellem Wettbewerbsrecht zeigt die Zahl der einschlägigen Abmahnungen und Verfahren deutlich nach oben.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)