Sie zählt zu den wohl radikalsten Projekten, die sich die Bundesregierung für die laufende Legislaturperiode vorgenommen hat: die im Koalitionsvertrag verankerte "Aktienrente". Zehn Milliarden Euro wollte die Ampel-Koalition 2022 als Anschubfinanzierung für die teilweise Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung fließen lassen, doch bisher war diese Summe im offiziellen Bundeshaushalt nicht eingeplant. Nun aber könnte ein umfassendes Papier neuen Schwung in die Sache bringen.

Der unabhängige Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat am Donnerstag seine Stellungnahme zum langfristigen kapitalgedeckten Vermögensaufbau in der Altersvorsorge vorgelegt. Unter dem Titel "Kapitalgedeckte Rente: Ein neuer Anlauf?" liefern die 32 Ökonomen, die dem Beirat angehören, in ihrem Gutachten Ideen dafür, wie das Projekt "Aktienrente" umgesetzt werden könnte.

Staatlich oder privat verwaltet?
So schlägt der Beirat ein Modell nach schwedischem Vorbild vor. Demnach könnte ein staatlicher Anbieter den für die teilweise Kapitaldeckung angedachten Fonds in der gesetzlichen Rentenversicherung verwalten. Dieser sollte seine Aufgaben unbedingt unabhängig von der Politik wahrnehmen. Das könne ähnlich erfolgen wie bei der Bundesbank, schreiben die Ökonomen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass das eingezahlte Kapital nicht zweckentfremdet wird. Denkbar sei aber auch, dass regulierte private Gesellschaften die Verwaltung des Fonds übernehmen.

Noch nicht klar darüber sind sich die Experten, ob die Bundesbürger verpflichtend in den Fonds einzahlen sollen. Zwar erkennen sie keine "zwingende Notwendigkeit für flächendeckende Pflichtbeiträge zu einem staatlich verwalteten, kapitalgedeckten Fonds". Andererseits führen die Ökonomen auch hier das schwedische Modell an. Dieses sieht für Arbeitnehmer die Pflicht vor, 2,5 Prozent ihres Gehalts zusätzlich zu den Beiträgen zur gesetzlichen Rente in einen Kapitalmarktfonds fließen zu lassen.  

Opt-out bei verpflichtender Teilnahme
Das Gutachten empfiehlt zumindest ein Opt-out. Mit dieser Option sollen die Bürger im Falle einer verpflichtenden Teilnahme aussteigen und auf "eine begrenzte Zahl von zertifizierten, ähnlich breit gestreuten Anlageprodukten" setzen dürfen. Bereits bestehende staatliche Zusagen bei anderen Formen der Altersvorsorge sollen durch neue Angebote "nicht tangiert werden".

Auch zur Finanzierung der "Aktienrente" äußern sich die Experten des Wissenschaftlichen Beirats. Es habe sich "in der wissenschaftlichen Debatte noch kein abschließender Konsens herausgebildet, um eine klare Empfehlung zugunsten einer schuldenfinanzierten Rentenkomponente abzugeben". Eine Art Kapitalrente auf Kredit ist für die Ökonomen aber zumindest eine Option. Eine Idee dafür: Der Staat könnte Altersvorsorgekonten für jeden Erwerbstätigen einrichten. Auf diese könne "eine einmalige staatliche Einlage bei Eintritt" fließen. Durch laufende eigene Beiträge während des Arbeitslebens sollen die Konten weiter aufgefüllt werden. Bei Renteneintritt müsste die Finanzierung des Staates dann zurückgezahlt werden.

Die Zukunft der Riester-Rente
Auch auf eine Überarbeitung der Riester-Rente gehen die Experten in ihrem Gutachten sein. Das Thema stehe "mit hoher Priorität auf der Agenda für die kommenden vier Jahre", schreibt der Beirat. Dabei solle die Reform in Richtung eines kapitalgedeckten Systems mit verpflichtendem Beitrag gehen, wobei es keine vollständige Beitragsgarantie mehr geben solle. 

Bei Branchenverbänden kommen die Ideen der 32 Ökonomen unterschiedlich an. "Das Gutachten treibt die Diskussion zu kapitalmarktorientierten Elementen in der Altersvorsorge voran. Es verdeutlicht zudem die Notwendigkeit einer flexiblen Beitragsgarantie für Riester-Verträge, um den Sparern mehr Rendite zu ermöglichen", erklärt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI. 

Gegen einen Staatsfonds in der privaten Altersvorsorge
Die Koalition solle das Konzept der "Aktienrente" nach schwedischem Vorbild in der ersten Säule weiterverfolgen. Hierbei sollte der kapitalgedeckte Anteil der gesetzlichen Rente über regelmäßige Beitragszahlungen finanziert werden, um die Abhängigkeit von Steuerzuschüssen zu verringern. "In der privaten Vorsorge würde ein wettbewerbsverzerrender Eingriff in den Markt stattfinden. Einen Staatsfonds in der privaten Vorsorge lehnen wir daher ab", so Richter.

Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) zeigt sich erfreut darüber, dass mit der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats wieder Schwung in die Rentendebatte kommt. Einer schuldenfinanzierten staatlichen Förderung der "Aktienrente" steht der Verband jedoch kritisch gegenüber.

Risiken sorgfältig abwägen
"Wir teilen die Forderung des Beirats, dass die Möglichkeiten für die Einrichtung eines staatlichen Fonds und die damit verbundenen Risiken sorgfältig abgewogen werden sollten, bevor eine Entscheidung getroffen wird", erklärt BVK-Präsident Michael H. Heinz. Der BVK begrüßt zwar den vorgeschlagenen Bestandsschutz für Riester-Sparer, vermisst aber konkrete Vorschläge, wie die bewährte Riester-Rente reformiert werden kann. Hierzu hatte der BVK bereits konkrete Vorschläge unterbreitet. (am)