Die DIN-Norm 77230 "Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte" ist auf der Zielgeraden. Anfang Oktober bearbeitete der mit der Formulierung der Norm befasste Arbeitsausschuss beim Deutschen Institut für Normung (DIN) alle eingegangenen Stellungnahmen, die Veröffentlichung der endgültigen Fassung ist für Januar 2019 geplant. Christoph Winterhalter, Vorstand des DIN in Berlin, steht FONDS professionell ONLINE Rede und Antwort.


Herr Winterhalter, das Deutsche Institut für Normung hat in den vergangenen Monaten eine Norm zur Finanzanalyse entwickelt. Verzeihung, aber liegen Ihre Kompetenzen nicht eher im technischen Bereich?

Christoph Winterhalter: Unser Haus mag für technische Standards bekannt sein, wir stehen aber allen Branchen offen. Wenn es um die Entwicklung einer neuen Norm geht, ist es unser Job, verschiedenste Branchenvertreter an einen Tisch zu holen und die Diskussion zu moderieren. Fachkenntnisse bringen wir nicht ein – die kommen von den Experten des Normenausschusses. Vielmehr hilft unser neutraler, branchenferner Blick von außen, die Debatte sachlich zu halten. Unser Ziel ist es, einen Konsens zu finden, der von allen Gremienmitgliedern getragen wird. Lieber diskutieren wir noch einen Tag länger, als dass strittige Punkte bleiben.

Wie lange mussten Sie für die Finanzanalyse-Norm denn tagen?

Winterhalter: Unter dem Strich waren es 55 Sitzungstage. Die Arbeit in Kleingruppen, um die Entscheidungen im großen Gremium vorzubereiten, ist da noch nicht mitgerechnet. Nachdem wir den Norm-Entwurf veröffentlicht hatten, erreichten uns 394 Einzelkommentare. Allein deren Bearbeitung hat fünf Sitzungstage in Anspruch genommen.

Im Normenausschuss saßen 30 Vertreter – von Großbanken und Versicherern über Wissenschaftler bis hin zu Verbraucherschützern. Und die waren sich am Ende alle einig?

Winterhalter: Wenn es zu viele Einsprüche gäbe, dürften wir die Norm gar nicht veröffentlichen. Letztlich tragen alle Seiten den Konsens mit. Das ist das Interessante an einem solchen Projekt: Am Anfang mögen sich manche spinnefeind sein, aber die intensive Arbeit an der Norm schweißt alle zusammen. Das befruchtet die Arbeit innerhalb einer Branche übrigens auch über das Norm-Projekt hinaus, was unserer Meinung nach ein sehr wichtiger Aspekt der Normung ist.

Die Norm setzt einen neuen Standard für die Finanzanalyse in Privathaushalten. Wäre das eigentlich nicht Aufgabe des Gesetzgebers gewesen?

Winterhalter: Nein. Im Idealfall fordert der Staat nur ein gewisses Qualitätsniveau, und die Firmen setzen sich dann zusammen, um zu überlegen, wie sie diese Anforderungen umsetzen können. Viele halten eine Norm für eine Art verlängerte Regulierung. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Eine gute Norm verhindert Regulierung. Wie eine saubere Finanzanalyse aussieht, kann die Branche selbst doch viel besser beurteilen als ein Beamter im Ministerium. Was man jedoch nicht vergessen darf: Die Anwendung der Norm ist freiwillig. Letzten Endes obliegt es der Verantwortung der Branchenbeteiligten selbst, sie einzuhalten.

Hatten Sie keine Bedenken, das gute Renommee des DIN für eine Branche mit eher zweifelhaftem Ruf herzugeben?

Winterhalter: Nein. Wie gesagt, unser Institut steht allen Branchen offen. Gerade wenn eine Industrie ein Reputationsthema hat, kann eine DIN-Norm helfen, weil sie eine Mindestqualität sicherstellt und das auch nach außen transparent macht.

Und wenn ein Anleger zwar DIN-konform beraten wurde, aber dennoch viel Geld verliert und dann von Ihrem Haus Schadenersatz verlangt?

Winterhalter: Der Prozess, in dem die Norm entstanden ist, ist sauber gelaufen. Deshalb bieten wir keine Angriffsfläche. Wenn wir die Norm nur mit Abgesandten aus drei Großbanken erarbeitet hätten, könnten berechtigte Fragen aufkommen. Wir hatten aber Vertreter aus der gesamten Branche am Tisch, die einen Konsens erarbeitet haben. Eine Norm spiegelt immer den Stand der Technik wider – das wird auch ein Richter so sehen. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, sich die Technik also weiterentwickelt hat, ist es unsere Aufgabe, den Ausschuss erneut einzuberufen. Außerdem zielt die konkrete Norm ja nur auf die Finanzanalyse ab, nicht auf die Beratung oder die Vermittlung eines Finanzprodukts. Die Arbeitsteilung ist übrigens auch der Grund, warum Normen einst entstanden sind.

Warum das?

Winterhalter: Arbeitsteilung macht es nötig, Standards und definierte Schnittstellen zu schaffen. So kann ein Autobauer einen Teilauftrag ausschreiben und sich sicher sein, dass jeder Lieferant die gleichen technischen Anforderungen erfüllt. Ähnlich kann es auch bei der Finanzberatung laufen: Im ersten Schritt erhalten Sie eine Analyse gemäß DIN. Auf dieser Basis kann die eigentliche Beratung dann ganz woanders erfolgen, ohne dass der Berater Ihre Angaben nochmals komplett neu aufnehmen muss. Und wenn Sie mögen, kann sich eine dritte Person um die Produktbeschaffung kümmern.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)