Diese Steuer-Geschichte ist schon skurril: Ein Privatanleger kaufte zwischen 2015 und 2017 Anteile an einem Aktienfonds für insgesamt 40.000 Euro. Am 31. Dezember 2017 – also einen Tag, bevor das Investmentsteuerreformgesetz in Kraft trat – belief sich deren Wert auf 48.000 Euro. Doch weil der Fonds später immer weiter absackte, verkaufte der Anleger seine Anteile Ende September 2020 für 40.500 Euro. Auf den mageren wirtschaftlichen Gewinn von 500 Euro musste er dann Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag von sage und schreibe 726 Euro zahlen. Gibt's nicht? Gibt’s doch!

Ausgelöst wurde die abenteuerliche Zahlung durch den Systemwechsel in der Fondsbesteuerung, den der deutsche Gesetzgeber mit dem Investmentsteuerreformgesetz vollzogen hat. Daher klagt die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) aus München, zu deren Mitgliedern der betroffene Anleger gehört, nun gegen die negativen Folgen bestimmter Regelungen des Gesetzes. 

Verfassungswidrige Substanzbesteuerung
In dem konkreten Fall handelt es sich aus Sicht der Anlegerschützer um eine "verfassungswidrige Substanzbesteuerung", da nicht nur der erzielte Veräußerungsgewinn aufgezehrt, sondern auch das Vermögen des Anlegers angegriffen wird. Weil nach dem Börseneinbruch vom Frühjahr 2020 viele Privatanleger in ähnlicher Weise betroffen sein dürften, strengt die SdK eine Musterklage an und will, sofern nötig, vor den Bundesfinanzhof (BFH) ziehen. Allerdings: Sollten die Anlegerschützer mit ihrer Klage Erfolg haben, würden zwar die negativen Auswirkungen der entsprechenden Regelungen beseitigt – die positiven höchstwahrscheinlich aber ebenso.

Um nachvollziehen zu können, wie es zu der skurrilen Besteuerung kommt, ist es gut, sich einige wesentliche Aspekte der Investmentsteuerreform in Erinnerung zu rufen. Seit dem Inkrafttreten des Regelwerks führen deutsche Publikumsfonds auf bestimmte im Inland erzielte Erträge 15 Prozent Steuern aus dem Fondsvermögen ab. Weil für Anleger damit weniger übrigbliebe, erhalten sie Teilfreistellungen, die einen gewissen Prozentsatz ihrer Erträge steuerfrei stellen. Bei Aktienfonds sind es 30 Prozent. Auf der anderen Seite werden mit Aktienfonds erzielte Verluste auch nur zu 70 Prozent steuerlich berücksichtigt.

Fiktiver Verkauf und Kauf
Um den Wechsel vom alten zum neuen System zu bewerkstelligen, wurden zum Jahreswechsel 2017/2018 bundesweit sämtliche Fondsanteile fiktiv verkauft und zurückgekauft. Hierbei erzielte Veräußerungsgewinne sind erst zu versteuern, wenn der Anleger seine Anteile tatsächlich verkauft. Wichtig zu wissen: Da diese Gewinne noch zur Zeit des alten Steuersystems erzielt worden sind, in dem es keine Teilfreistellungen gab, sind sie zu 100 Prozent steuerpflichtig. Ebenso können beim fiktiven Verkauf erlittene Verluste erst steuermindernd geltend gemacht werden, wenn der Eigner seine Fondsanteile tatsächlich abstößt, und dann auch zu 100 Prozent.

So erklärt sich nun die abstrus erscheinende Steuerzahlung des Muster-Anlegers. 40.000 Euro hatte er investiert, beim fiktiven Verkauf waren seine Anteile 48.000 Euro wert. Der erzielte Gewinn von 8.000 Euro wurde vermerkt. Im September 2020 war der Wert seiner Fondsanteile auf 40.500 Euro gefallen, im Vergleich zu dem am 1. Januar 2018 gebuchten Wert ergibt sich also ein Verlust von 7.500 Euro. 

Mehr Steuern als Gewinn
Die Crux ist nun, dass dieser Verlust – zumindest nach Auffassung des zuständigen Finanzamtes – nur zu 70 Prozent steuerlich geltend gemacht werden darf, während der Gewinn aus dem fiktiven Verkauf voll steuerpflichtig ist. So wurde mit den erzielten 8.000 Euro lediglich ein Verlust in Höhe von 5.250 Euro verrechnet. Es verleibt ein steuerpflichtiger Ertrag von 2.750 Euro. 26,4 Prozent Abgeltungsteuer und Soli auf diese Summe macht 726 Euro – obwohl sich der tatsächliche wirtschaftliche Gewinn auf nur 500 Euro beläuft.

Das geht nicht, meint Stephan Vyhnalek, Steuerberater aus Wilthen, der die Klage der SdK auf Expertenseite betreut. "Es ist strittig, ob der teilweise Ausschluss des Verlustabzuges greift, wenn tatsächliche Veräußerungsverluste mit Gewinnen aus dem fiktiven Verkauf verrechnet werden", erklärt er. Das reformierte Investmentsteuergesetz enthalte dazu keine wortwörtliche Formulierung. Die Frage sei daher durch Auslegung von einem Gericht zu klären.

Der umgekehrte Fall
Das Problem ist nur: Sollte das zuständige Finanzgericht oder der BFH die Musterklage zugunsten der SdK entscheiden, könnten auch positive Effekte der Investmentsteuerreform zunichte gemacht werden, die es ebenfalls gibt. 

Ein Rechenbeispiel zeigt das: Angenommen, der Wert der Aktienfonds-Anteile des betreffenden Anlegers wäre von ursprünglich 40.000 Euro bis zum fiktiven Verkauf um 8.000 Euro gesunken, bis zum tatsächlichen Verkauf dann aber wieder auf 40.500 Euro gestiegen. In diesem Fall wäre nach der Teilfreistellung von 30 Prozent ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn von 5.950 Euro verblieben. Den Verlust aus dem fiktiven Verkauf hätte das Finanzamt aber in voller Höhe angerechnet. Auf den wirtschaftlichen Gewinn in Höhe von 500 Euro wäre damit kein Cent an Steuern angefallen – gut für den Anleger, aber ebenfalls skurril.

Wenige Betroffene
Im Falle eines positiven Urteils in der Musterklage würde eine solche Rechnung vermutlich nicht mehr aufgehen, räumt auch Vyhnalek ein. Denn wenn Verluste aus einer tatsächlichen Veräußerung zu 100 Prozent gegen Gewinne aus dem fiktiven Verkauf gerechnet werden dürften, würden die Finanzämter auch den Umkehrschluss ziehen. Dann würden Verlusten aus dem fiktiven Verkauf auch tatsächlich erzielte Veräußerungsgewinne in voller Höhe gegenüberstehen. Immerhin: "Da zum 31. Dezember 2017 sämtliche Börsenindizes sehr hoch standen, dürften von dieser Konstellation nur sehr wenige Fondsanleger betroffen sein", sagt Vyhnalek. (am)