Die deutschen Versicherungsvermittler schauen im Moment mit großem Interesse nach Berlin. Die Bundesregierung plant bekanntermaßen die Einführung eines Provisionsdeckels bei Lebensversicherungen, wenngleich das Startdatum weiterhin nicht feststeht (FONDS professionell ONLINE berichtete). Womöglich kommt der "Deckel" aber auch gar nicht, da er verfassungswidrig ist – so lautet zumindest das Urteil der zwei Rechtsprofessoren Hans-Jürgen Papier und Hans-Peter Schwintowski.

Diese legen sie in zwei Gutachten dar, die auf Veranlassung der Vermittlerverbände Bundesverband Finanzdienstleistung AfW, Votum Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler BFV erstellt wurden.

Papier: Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht legitimiert
Mit einem klaren 'Nein' beantwortet der Staatsrechtswissenschaftler und ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in seinem "Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit eines gesetzlichen Provisionsdeckels für die Vermittlung von Lebensversicherungen" die Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation. Papier konstatiert laut einer Presemitteilung der drei Verbände, dass "die gesetzliche Einführung eines Provisionsdeckels bei der Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung der Versicherungsunternehmer und der Versicherungsvermittler aus Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz darstellen" würde. Jedoch "wäre ein solcher Eingriff nicht durch verfassungslegitime Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt. Das Vorliegen solcher Gründe ist empirisch nicht belegbar." Papier folgert im Gutachten: "Der Gesetzgeber überschritte seinen von der Verfassung eingeräumten Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognosespielraum, wenn er solche Gründe und deren Voraussetzungen ohne jede tatsächliche Fundierung unterstellte."

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt auch die ungleichen Beratungs- und Vertriebswege wie etwa Vertreter und Versicherungsmakler. Unter einen Provisionsdeckel, der "undifferenziert für alle Versicherungsvermittler im Bereich der Lebensversicherungen gelten würde, fielen sehr unterschiedliche Berufsgruppen und Berufsbilder mit sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, Aufgaben und Pflichten".

Papier berücksichtigt in seinem Gutachten auch die diversen Stellungnahmen der Bundesregierung zur Finanzstabilität der Lebensversicherungsgesellschaften. Er folgert: "Bei dieser Sachlage erscheint ein gesetzlich eingeführter Provisionsdeckel unabhängig von der letztlich gewählten Höhe als willkürlicher gesetzgeberischer Aktionismus. Das gesetzgeberische Ziel einer weiteren Senkung der Vertriebskosten kann somit einen normativen Provisionsdeckel und den damit verbundenen Eingriff in die berufsspezifische Vertragsfreiheit der Vermittler nicht legitimieren.

Schwintowski: Verstoß gegen EU-weite Dienstleistungsfreiheit
In seinem Rechtsgutachten über die "Europarechtliche Zulässigkeit eines Provisionsdeckels in der Deutschen Lebensversicherung" begründet Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, warum "der geplante Preisdeckel gegen die in Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union garantierte Dienstleistungsfreiheit verstoßen" würde. Es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, "dass ein solcher Preisdeckel im zwingenden Allgemeininteresse notwendig sein sollte", so der Jurist.

Zudem würde der Provisionsdeckel "gegen zwingende Allgemeininteressen verstoßen, da er in die Produktgestaltungsfreiheit der Versicherer ohne Sachgrund eingreifen würde und zugleich eine Qualitätsabwärtsspirale sowohl bei den Versicherern als auch bei den Vermittlern auslösen würde". Schwintowski berücksichtigt im Gutachten auch die jüngste Regulierung durch die EU-Vermittlerrichtlinie IDD und kommt zu dem Ergebnis: "Die IDD enthält keinerlei Regelungen, die es rechtfertigen würden, die Vertriebsentgelte für alle Vermittlertypen bei Lebensversicherungen jeder Art der Höhe nach zu deckeln."

AfW-Vorstand Norman Wirth ist gewiss: "Es wird keinen Provisionsdeckel geben! Weiter an den Plänen festzuhalten, hieße spätestens jetzt sehenden Auges den Versuch eines Verfassungsbruchs zu starten und gegen europarechtliche Vorgaben zu verstoßen." Für Votum-Vorstand Martin Klein "zeigen die Gutachten auf, dass der beabsichtigte massive Eingriff in die freie Preisbildung als Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Das BMF sollte nunmehr erkennen, dass es mit seiner lediglich auf Vermutungen basierenden Gesetzesinitiative auf dem Holzweg ist." (jb)