Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags sechs Monate zurückliegt und der politische Betrieb nach der Sommerpause auch schon wieder eine Weile läuft, hat FONDS professionell die Finanzexperten aller im Deutschen Bundestag vertretenden Parteien in Berlin besucht. Sie haben sich Zeit genommen und zu vielen Fragen der Finanzmarktregulierung, Finanzpolitik und der Altersvorsorge Rede und Antwort gestanden. Das Interview mit Antje Tillmann, CDU, ist bereits erschienen. Heute bezieht Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD, Stellung.


Herr Binding, die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ist seit Jahresbeginn in Kraft. Aus der Branche ist vielfach zu hören, der Gesetzgeber sei an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen. Sehen Sie das auch so?

Lothar Binding: Einige Banken klagen jetzt erwartungsgemäß, obwohl man eigentlich noch gar nicht weiß, wie sich die Sache entwickeln wird. Ganz besonders beklagen sich die Institute über den enorm hohen Aufwand, den die Aufzeichnungspflicht für telefonische Beratungsgespräche mit sich bringt. Manche gehen sogar so weit, auf telefonische Beratung ganz zu verzichten. Aber in solchen Fällen denke ich, dass ihnen das Geschäft wohl nicht wichtig genug ist. Wenn ein Produkt über diesen Kanal gar nicht mehr in den Markt kommt, ist dieses Produkt vielleicht auch zu kompliziert. Andernfalls könnte man es kurz und knapp am Telefon erklären.

Nicht nur Banken beklagen sich, sondern auch Anleger.

Binding: Natürlich verstehe ich, dass es sehr erfahrenen Anlegern auf die Nerven geht, wenn sie sich über alle Kosten und Risiken aufklären lassen müssen. Das ist ein Punkt, über den wir nachdenken sollten – einerseits. Andererseits: Wenn etwas schiefgeht, sind es auch gerade solche Anleger, die gegen "die Politik" wettern, und erklären, wir hätten sie besser vor sich selbst schützen müssen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der Start von Mifid II reibungslos verlaufen ist. Deshalb würde ich sagen: Wir warten mal ab, wie es weitergeht, und schauen, wo Probleme liegen.

Durch Mifid II haben sich die Honorar- und Provisionsberatung hinsichtlich der Kostentransparenz weitgehend angeglichen. Ist eine Trennung überhaupt noch notwendig?

Binding: Ich denke schon. Man muss sehen, dass wir rund 37.600 zugelassene Finanzanlagenvermittler, aber weniger als 200 Honorar-Finanzanlagenberater haben. Das liegt vielleicht an der Auffassung in Deutschland, dass Beratung nichts kosten dürfe. Da es aber so unverhältnismäßig viel mehr Finanzanlagenvermittler gibt, ist es sicher gut, wenn die Honorarberatung weiter gestärkt wird.

Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, Finanzanlagenvermittler unter die Aufsicht der Bafin zu stellen. Dieses Vorhaben hat im Frühjahr für Aufregung in der Branche gesorgt. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Binding: Wir wissen noch nicht genau, in welche Richtung sich die Debatte entwickeln wird. Ich kenne noch keine Vorlage dazu. Die Bafin ist eine nachgelagerte Behörde des Bundesministeriums der Finanzen und dieses muss überlegen, in welcher Form die Aufsichtsziele erreichbar sind. Ich sehe die Bafin als geeignete Institution, um sich des Themas anzunehmen. Ich kenne in der politischen Debatte auch niemanden, der ihr diese Aufgabe nicht zutraut. Unser Vertrauen in die Bafin ist recht stabil.

In der Vergangenheit sind der Finanzmarkt und die Beratung über Finanzprodukte mehrfach reguliert worden. Gibt es Pläne, die geltenden Vorschriften auf mögliche Überschneidungen hin zu überprüfen?

Binding: Natürlich wurde nach der Finanzkrise ein großer Regulierungseifer an den Tag gelegt. Daher ist es gut möglich, dass es an der einen oder anderen Stelle zu Überlappungen gekommen ist. Ich bin für eine Überprüfung. Ein formales Projekt sehe ich dafür gegenwärtig noch nicht. Wir haben im politischen Raum aber gesagt, dass wir uns die vergangenen zehn Jahre Regulierung daraufhin anschauen sollten, ob sich bestimmte Vorschriften überschneiden oder vielleicht sogar widersprechen. Ich sage auch in jedem Gespräch mit Banken, dass sie uns mitteilen sollen, wenn sie solche Überschneidungen oder Widersprüche entdecken.

Manche Politiker sind der Auffassung, große Fondsgesellschaften sollten stärker unter Aufsicht gestellt werden. Ist das auch Ihre Meinung?

Binding: Ich bin ein Freund des Begriffs "stärkere Aufsicht". Denn die Aufsicht hilft auch denen, die beaufsichtigt werden. Man sieht das zum Beispiel gerade an den Versicherungen: Man hat Systeme und Prozesse nicht rechtzeitig verändert, sondern hat solange am Alten festgehalten, bis es betriebswirtschaftlich einfach nicht mehr zu rechtfertigen war. Und jetzt plötzlich werden die Verträge en gros an Run-Off-Plattformen weitergereicht. Das ist ein Beispiel dafür, dass es immer gut ist, wenn man einen Dritten hat, der draufschaut. Und das gilt bei den Fondsgesellschaften auch.

Die deutschen Lebensversicherer ächzen unter den dauerhaften Niedrigzinsen. Reicht das bestehende Instrumentarium noch aus, um zu verhindern, dass Unternehmen in eine extreme Schieflage oder gar in die Insolvenz geraten?

Binding: Wenn man einen zusätzlichen öffentlichen Sicherungsfonds einrichten würde, dann würde die Leichtfertigkeit, mit der Manche in der Branche agieren, möglicherweise zunehmen. Daher denke ich, wir sollten mit dem bestehenden System zurechtkommen. Die Bundesregierung hat mit dem Lebensversicherungsreformgesetz und der Umsetzung von Solvency II vor allem auf Prävention gesetzt. Ob das reicht, ist heute noch nicht zu sagen. Aber die Vorschriften sollen verhindern, dass man überhaupt einen Fonds braucht. Schließlich ist auch der bestehende Sicherungsfonds Protektor die letzte Ausfallsicherung, die erst greift, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Wie bewerten Sie die Einführung einer digitalen säulenübergreifenden Rentenübersicht und wann ist mit Umsetzung dieses Projektes zu rechnen?

Binding: Den Terminplan kenne ich noch nicht. Ich finde es auf jeden Fall sehr gut, eine komplette Übersicht zu schaffen. Diese würde sicherstellen, dass man auch im Alter von 40 Jahren noch reagieren kann, weil man bemerkt hat, dass die Altersvorsorge nicht ausreicht. Wir brauchen dafür eine Meldepflicht für die privaten Versicherer und auch für Fondsgesellschaften.

Schauen wir über die bundesdeutschen Grenzen hinaus und blicken nach Europa. Wie bewerten Sie die Situation in Italien?

Binding: Wir sprechen ja besonders viel über Italien, weil wir über die Einlagensicherung in Europa sprechen und dort Risiken abgebaut werden müssen. Da fällt der erste Blick auf Italien, immerhin ist die Konzentration der notleidenden Kredite dort besonders hoch. Aber: Auch die Wirtschaftskraft des Landes ist hoch. Wir hoffen, dass Italien wie schon Irland, Griechenland oder Portugal und Spanien wieder zu mehr Wachstum kommt. Dann geht das Problem mit den notleidenden Krediten zurück. Ich glaube, dass Italien das hinbekommt.

Und welcher Zukunft steuert der Euro entgegen?

Binding: Da habe ich einen eingebauten Optimismus. Was wir derzeit sehen, ist eine nationalistische Politik in vielen Ländern – und das in einer zunehmend bipolaren Welt mit Blick auf das Spannungsfeld zwischen den USA und China. Wenn wir in Europa uns nicht zusammenreißen und trotz aller kulturellen Unterschiede mit einer gemeinsamen Währung und Politik auftreten, dann haben wir ein ganz anderes Problem. Das Schlimme ist, dass die Nationalisten es nicht kapieren: Sie machen ihre Nationen für sich zwar stark, aber im selben Maße unendlich schwach in der Welt. An einem vereinigten Europa zu arbeiten ist daher jetzt wichtiger, als an anderen Projekten zu arbeiten, die uns auch wichtig sind.

Welche sind es in dieser Legislaturperiode?

Binding: Wir sind natürlich stark auf den Koalitionsvertrag konzentriert. Unsere größten Projekte sind der Abbau des Soli, die Wohnbau- und  Familienförderung und die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinsen. Das wäre ein guter Schritt in die richtige Richtung. Die Abgeltungsteuer auf Veräußerungsgewinne ist dann auch noch einmal in den Blick zu nehmen. Und schließlich wollen wir gegen die Gewinnverlagerung ins Ausland vorgehen. Da muss noch viel passieren.

Vielen Dank für das Gespräch. (am)


Einen ausführlichen Bericht zu den Positionen der Parteien in wichtigen Fragen der Regulierung, der Finanzpolitik und der Lebensversicherung lesen Sie in Ausgabe 3/2018 von FONDS professionell, die Ende September erscheint.