Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags sechs Monate zurückliegt, hat FONDS professionell die Finanzexperten aller im Deutschen Bundestag vertretenden Parteien in Berlin besucht. Sie haben sich Zeit genommen und zu vielen Fragen der Finanzmarktregulierung, Finanzpolitik und der Altersvorsorge Rede und Antwort gestanden. Die Interviews mit Antje Tillmann, CDU, und Lothar Binding, SPD, sind bereits erschienen. Heute bezieht Gerhard Schick Stellung, der Finanzexperte von Bündnis 90/Die Grünen. Das Interview wurde geführt, bevor Schick seine Entscheidung bekannt gab, den Bundestag zum Jahresende verlassen zu wollen, um sich seiner neu gegründeten "Bürgerbewegung Finanzwende" widmen zu können.


Herr Schick, die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ist seit Jahresbeginn in Kraft. Aus der Branche ist vielfach zu hören, der Gesetzgeber sei an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen. Sehen Sie das auch so?

Gerhard Schick: Die Revision und Implementierung der Finanzmarktrichtlinie hat den europäischen und den nationalen Gesetzgeber, die Aufsichtsbehörden sowie die Finanzmarktindustrie herausgefordert. Wichtig war, die vielen Themen im Anwendungsbereich der Richtlinie in die Praxis umzusetzen. Natürlich lässt sich bei einigen Punkten darüber streiten, ob die Intention, die europaweiten Märkte sicherer zu gestalten und die Anleger besser zu schützen, erfüllt wurde, und ob nicht teilweise unnötig Bürokratie aufgebaut wurde.

Über welche Punkte lässt sich streiten?

Schick: Aus meiner Sicht ist es an den Mehrheiten in Brüssel und Berlin gescheitert, vor allem die wirklichen Interessenkonflikte, die zum Beispiel in der Provisionsberatung auftreten, zu lösen. So muss viel im Kleinklein reguliert werden, statt dass es einfache, aber effektive Regeln gibt, die zu deutlichen Verbesserungen für die Verbraucher und zugleich zu einer bürokratischen Entlastung bei den Wertpapierfirmen führen. Wäre es anders, dann bräuchten wir auch nicht mehr über Papierfluten und ähnliches zu diskutieren. Weil Sie das Wort "hinausgeschossen" verwenden, möchte ich auch darauf hinweisen, dass es mit der deutschen Ausnahme, nach der ein weitverzweigten Filialberaternetzwerk den Einbehalt von Provisionen rechtfertigt, einen fraglichen deutschen Sonderweg zum Schutz einiger Banken gibt.

Durch Mifid II haben sich die Honorar- und Provisionsberatung hinsichtlich der Kostentransparenz aber weitgehend angeglichen. Ist eine Trennung überhaupt noch notwendig?

Schick: Die Provisionsberatung ist in den vergangenen Jahren transparenter geworden. Mehr als zehn Jahre, nachdem den Menschen Lehman-Zertifikate verkauft wurden, ist die Beratungsqualität durchschnittlich aber noch immer nicht gut genug. Die Produktempfehlungen in einem so sensiblen und wichtigen Bereich, wie es die Anlageberatung ist, sollten sich immer ausschließlich am Interesse des Kunden orientieren und nicht durch die Höhe der Provisionen beeinflusst werden können. Deshalb will ich nicht nur eine Trennung, sondern letztlich ein Verbot der Provisionsberatung.

Sollte die Honorarberatung in der Zwischenzeit noch weiter gestärkt werden?

Schick: Jeder Berater sollte bei jeder Beratung in Deutschland ganz klar auf der Seite des Kunden stehen und nicht durch finanzielle Anreize auf die Seite der Produktanbieter gezogen werden können. Folglich brauchen wir sofort eine Stärkung der Honorarberatung, unter anderem durch eine klare Verpflichtung, Nettotarife bereitzustellen, eine Honorarordnung und einen Zeitplan bezüglich des Endes der Provisionsberatung.

Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, Finanzanlagenvermittler unter die Aufsicht der Bafin zu stellen. Dieses Vorhaben hat im Frühjahr für Aufregung in der Branche gesorgt. Wie stehen Sie dazu?

Schick: Aktuell ist die Aufsicht in Deutschland unübersichtlich, uneinheitlich und teils unterentwickelt. Die Zuständigkeiten sind häufig unklar und die notwendige Expertise ist auch nicht immer vorhanden. Wir setzen uns deshalb seit Jahren für eine Bündelung der Aufsicht ein. Ob diese unbedingt bei der Bafin gebündelt sein muss, die mir oft zu zurückhaltend agiert, wenn es um die Wahrnehmung ihres Verbaucherschutzmandats geht, will ich gar nicht unbedingt sagen. Eine funktionierende Aufsicht muss im Interesse aller gut arbeitenden Finanzvermittler sein, da sie die schwarzen Schafe früher aus dem Verkehr zieht und die Nachhaltigkeit und damit Resilienz des Sektors stärkt.

Bleiben wir bei der Bafin. Sollte die Bonner Behörde auch künftig Finanzprodukte verbieten dürfen oder in dieser Hinsicht vielleicht sogar mit weiteren Kompetenzen ausgestattet werden?

Schick: Es ist richtig, dass die Bafin gegebenenfalls Produkte verbieten kann. Anlageberatung und Altersvorsorge sind so wichtig, dass ich zum Schutz der Verbraucher ein aktiveres Vorgehen der Bafin fordere. Wer sonst soll Anleger vor immer komplexeren und schädlichen Produkten schützen, die vor allem langfristig in erster Linie Emittenten und Vertriebsstrukturen dienen und nicht den wirklichen Risikoträgern? Eine Aufsichtsbehörde, die die Beschreibung ihrer Aufgaben und ihre Möglichkeiten nur auf dem Papier liest, aber kaum umsetzt, wird ihrem Namen nicht gerecht. Darüber hinaus sehe ich Bedarf, die Rolle der Bafin und auch der ESMA in bestimmten Bereichen noch weiter zu stärken. Das gilt zum Beispiel bei der  Beschränkung von Querverkäufen ohne objektiven Nutzen für die Verbraucher oder beim Verbot des aktiven Vertriebs ungeeigneter Anlageprodukte wie Zertifikate an Privatanleger.

In der Vergangenheit sind der Finanzmarkt und die Beratung über Finanzprodukte mehrfach reguliert worden. Gibt es Pläne, die geltenden Vorschriften auf mögliche Überschneidungen hin zu überprüfen?

Schick: Ich hoffe, dass die Bundesregierung Überschneidungen oder gar Widersprüche zwischen einzelnen Regulierungsmaßnahmen im Blick hat. Je weniger klar ich reguliere, desto eher kommt es zu diesen Überschneidungen und damit zu Problemen. Ein weiterer Grund für klare, einfache und effektive Regulierung.

Wechseln wir das Thema und kommen zu den Lebensversicherern, die bekanntlich mit dem dauerhaften Niedrigzinsniveau enorm zu kämpfen haben: Reicht das bestehende Instrumentarium noch aus, um zu verhindern, dass Unternehmen in eine extreme Schieflage oder gar in die Insolvenz geraten?

Schick: Gerade angesichts der zu niedrigen Eigenkapitaldecken der Versicherer sehe ich die Gefahr, dass es zu Schieflagen kommen kann. Neben einer besseren Ausstattung mit Eigenkapital brauchen wir einen Sicherungsfonds, der auch im Fall von Pleiten größerer Versicherer seinen Namen verdient. Und wir brauchen eine Haftungskaskade, bei der klar ist, dass nicht nur die Versicherten, sondern auch Eigentümer und Gläubiger zur Kasse gebeten werden. Sonst ist zu befürchten, dass Verluste wie bei der Bankenkrise sozialisiert werden müssen, nachdem in den Jahren zuvor die Gewinne privatisiert wurden. Hier hat die Große Koalition leider nichts aus der mittlerweile zehn Jahre andauernden Finanzkrise gelernt.

Wie bewerten Sie die Einführung einer digitalen säulenübergreifenden Rentenübersicht? Und wann ist mit Umsetzung dieses Projektes zu rechnen?

Schick: Mehr Transparenz in diesem Bereich ist in jedem Fall zu begrüßen. Denn aktuell verlieren viele Menschen leicht den Überblick darüber, wie viel sie über die verschiedenen Säulen hinweg gespart haben. So können die Anleger auch leichter entscheiden, ob sie mehr oder weniger vorsorgen möchten, um im Alter einen gewissen Lebensstandard halten zu können. Eine schnelle Umsetzung wäre zu begrüßen. Diese sollte aber nicht auf Kosten des Datenschutzes und der Datenqualität gehen.

Schauen wir über die bundesdeutschen Grenzen hinaus und blicken nach Europa. Wie sehen Sie die Situation in Italien?

Schick: Ich mache mir Sorgen, die Lage könnte sich weiter zuspitzen. Im Grunde rächt sich jetzt die verfehlte Krisenpolitik der vergangenen Jahre. Die Bundesregierung hat viel zu lange auf der Bremse gestanden, was das Thema Investitionen in Europa betrifft. Denn gemeinsam hätten die Europäer es schaffen können, die Wirtschaft zu stärken, was Italien deutlich geholfen und eine Machtübernahme der Populisten vielleicht verhindert hätte.

Und welcher Zukunft steuert der Euro entgegen?

Schick: Wir müssen endlich raus aus dem Krisen-Limbo. Ich fordere daher einen Zukunftsfonds im EU-Haushalt, der die Bereitstellung europäischer Gemeingüter finanzieren hilft, zum Beispiel Innovationen für Klimaschutz, innere wie äußere Sicherheit, Forschung an Zukunftstechnologien, eine europäische Infrastruktur für Kommunikation, Energie und Mobilität. Den Fonds finanzieren wir über Einnahmen aus der gemeinsamen Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Und insbesondere über Steuern, die stark konjunkturabhängig sind, etwa über eine europäische Unternehmensbesteuerung. Dadurch kann ein solcher Haushalt erheblich zur Stabilisierung der Konjunktur in den Mitgliedsstaaten beitragen. Mitgliedsländer in einer Krise würden dann entsprechend weniger beitragen, aber weiterhin an den Gemeingütern teilhaben können. Deren Finanzierung würde durch Länder, die nicht in einer Krisensituation sind, aufgefangen.

Vielen Dank für das Gespräch. (am)


Einen ausführlichen Bericht zu den Positionen der Parteien in wichtigen Fragen der Regulierung, der Finanzpolitik und der Lebensversicherung lesen Sie in Ausgabe 3/2018 von FONDS professionell, die Ende September erscheint.