Die Europäische Wertpapieraufsicht ESMA hat ihr lange erwartetes Konsultationspapier für die neuen "Guidelines" zur Geeignetheitsprüfung in der Anlageberatung ("Suitability Assessment") veröffentlicht. Darauf weist Christian Waigel hin, Partner der Münchner Kanzlei Waigel Rechtsanwälte.

Die ESMA-Vorgaben werden sich auf die Kundenanalysebögen, die sogenannten WpHG-Bögen, und die internen Prozesse von Finanzinstituten zur Geeignetheitsprüfung auswirken. Die Regeln sollen der Behörde zufolge sicherstellen, dass die Ziele der EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II "effizient erreicht" werden, heißt es in dem 69 Seiten starken Konsutationspapier (pdf-Download hier). Mifid II tritt am 3. Januar 2018 in Kraft.

Endgültige Regelungen frühestens im November
"Eines der größten Probleme an den Guidelines ist der Zeithorizont", meint Waigel. "Die ESMA gibt der Branche bis 13. Oktober Zeit, sich zu den vorgeschlagenen Guidelines zu äußern. Damit ist vor November oder Dezember nicht mit den abschließenden Guidelines zu rechnen."

Im Konsultationspapier selbst ist sogar die Rede davon, dass die ESMA die endgültigen Vorgaben erst im ersten oder zweiten Quartal des kommenden Jahres veröffentlichen könnte – wenn Mifid II längst in Kraft getreten ist. Solange müsste sich die Branche an den alten Regeln orientieren, die die ESMA bereits 2012 vorgestellt hatte.

Viele neue Fragen für den WpHG-Bogen
Geht es nach den Vorstellungen der ESMA, soll der Analysebogen (WpHG-Bogen) um zahlreiche Fragen erweitert werden, etwa zum Familienstand und zur familiären Situation, weil das Auswirkungen auf die finanzielle Situation haben könnte, zum Beispiel bei der Geburt neuer Kinder. Angegeben werden sollen auch das Alter, die Beschäftigungssituation und der Liquiditätsbedarf bezogen auf bestimmte Investments.

Bei komplexen oder risikoreichen Wertpapieren sollen deutlich mehr Fragen zu den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden vorgeschrieben werden. Bei solchen Investments ist es der ESMA zufolge auch wichtig, das Einkommen, das Kundenvermögen und die regelmäßigen finanziellen Verpflichtungen detailliert zu erfassen. Beziehe sich die Anlageberatung auf das Gesamtvermögen des Kunden, sei es der ESMA zufolge angemessen, deutlich mehr und weitreichendere Informationen abzufragen, so Waigel. Das Gleiche gelte für "verletzlichere" Kunden, beispielsweise ältere oder in Finanzdingen unerfahrene Verbraucher.

Berater müssen Kundenangaben überprüfen
"Die ESMA will ein Verfahren vorschreiben, um die Kundenangaben wenigstens auf Plausibilität zu prüfen", so Waigel. "Dazu sollen die Fragen offen formuliert sein und keine Antworten nahelegen. Selbsteinschätzungen des Kunden sollen vermieden werden. Schließlich soll die Schlüssigkeit der Informationen überprüft werden. Vor allem bei Widersprüchlichkeiten soll eine Rücksprache mit dem Kunden stattfinden, zum Beispiel bei Kunden, die geringe Kenntnisse oder Erfahrungen angeben und dann aber eine hohe Risikobereitschaft äußern." Dies sei vor allem für Robo-Berater wichtig, weil gerade in diesem Zusammenhang das Risiko einer Selbstüberschätzung des Kunden naheliege.

Mit Blick auf die finanziellen Verhältnisse verlangt die ESMA, das gesamte bei dem Institut gehaltene Portfolio zu berücksichtigen. Für Vermögenswerte bei anderen Banken regt die ESMA an, den Kunden aufzufordern, diese offen zu legen und mitzuteilen. Waigel: "Das dürfte in der Praxis größere Schwierigkeiten verursachen, denn der Kunde hat wahrscheinlich Gründe, sein Asset Management bei mehreren Instituten durchführen zu lassen und nicht zu konzentrieren!"

Geeignetheitsprüfung darf auf das Gesamtportfolio abstellen
Die ESMA möchte vorschreiben, dass im Rahmen der Anlageberatung und der Finanzportfolioverwaltung "ein ausreichendes Maß an Risikodiversifikation" erreicht wird. Der Kunde muss über das Zusammenspiel von Risiko und Ertrag sowie die Auswirkungen von Kosten auf sein Investment aufgeklärt werden. "Seine finanzielle Ertragskraft muss die Investments finanzieren können und er muss mögliche Verluste finanziell tragen können", betont Waigel.

Positiv vermerkt der Anwalt, dass die ESMA den Portfoliogedanken hervorhebt: "Die Geeignetheitsprüfung darf auf das Gesamtportfolio abgestellt werden", so Waigel. In diesem Fall sei aber auch ein ausreichendes Maß an Risikodiversifikation durch das Institut geschuldet. Zu berücksichtigen sei gerade in diesem Zusammenhang außerdem das sogenannte "Counterparty Risk": Das "Exposure" des Kunden gegenüber einem Emittenten oder einer Gruppe müsse als zusätzliches Risiko berücksichtigt werden.

Der Einsatz teurer Finanzinstrumente verlangt eine Rechtfertigung
Mifid II erweitert die Geeignetheitsprüfung um einen sogenannten Äquivalenz-Test. "Danach sollen Institute unter Berücksichtigung von Kosten und Komplexität beurteilen, ob äquivalente Wertpapierdienstleistungen oder Finanzinstrumente dem Profil ihres Kunden gerecht werden können", erläutert Waigel. Nimmt ein Institut diesen Abgleich nur in einem eingeschränkten Universum von Finanzinstrumenten und Wertpapierdienstleistungen vor, müsse der Kunde darüber informiert werden, fordert die ESMA.

"Institute müssen in der Lage sein, zu rechtfertigen, wenn sie im Rahmen der Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung teurere oder komplexere Wertpapiere einsetzen", so Waigel. Im Falle der Anlageberatung fordert die ESMA eine deutliche Erläuterung dieser Gründe in der Geeignetheitserklärung.

Bei Umschichtungen muss der Nutzen die Kosten überwiegen
Die Behörde erwartet zudem, dass die Vertriebe interne Regelungen treffen, um den Wirtschaftsprüfern und der Aufsicht gegenüber zeigen zu können, warum die Vorteile einer Umschichtung die Kosten überwiegen. "Damit entsteht die Notwendigkeit einer sachlichen, inhaltlichen Dokumentation von Umschichtungsentscheidungen, damit Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden diese prüfen können", betont Waigel.

Solche Entscheidungen müssten allerdings nicht vom einzelnen Anlageberater dokumentiert werden – das soll auch ein Investmentkomitee oder eine Stabsabteilung innerhalb des Instituts übernehmen können.

Neue Pflichten für Robo-Berater
Für Robo-Berater schlägt die ESMA unter anderem neue Informationspflichten vor. "Beim Einsatz eines automatisierten Tools soll der Kunde darüber informiert werden, dass ein Algorithmus eingesetzt wird, um die Kundeninformationen zu gewinnen und dann Beratungsempfehlungen oder Managemententscheidungen abzuleiten", so Waigel. Ebenso soll der Grad an "menschlicher Mitarbeiter-Involvierung" dargestellt werden, der noch zum Einsatz kommt.

Läuft der Geeignetheitstest automatisiert ab, stellt die ESMA an diese Systeme besondere Anforderungen. Das Systemdesign muss nicht nur den aufsichtsrechtlichen Anforderungen genügen, der Algorithmus muss auch regelmäßig überprüft und auf Fehleranfälligkeit getestet werden. Hinzu kommen Vorgaben mit Blick auf Cybersicherheit und den Schutz der Kundenkonten. (bm)