Die Finanzbranche erwartet den Start für den 2. August kommenden Jahres, doch der Termin könnte sich verschieben. Eventuell müssen Anlageberater und Vermögensverwalter ihre Kunden erst ab einem späteren Zeitpunkt danach fragen, welche Nachhaltigkeitspräferenzen sie bei einer Geldanlage berücksichtigt wissen möchten. Diesen Schluss lässt zumindest ein Schreiben der EU-Kommission an das Europäische Parlament und den EU-Finanzministerrat (Ecofin) zu, das FONDS professionell ONLINE vorliegt.

In ihrem Schreiben teilt die Kommission dem Parlament und dem Ecofin mit, dass sie den Start der technischen Regulierungsstandards (RTS), welche die Vorgaben der EU-Offenlegungsverordnung präzisieren werden, um weitere sechs Monate verschieben will. Sie sollen statt ab dem 1. Juli 2022 erst ab dem 1. Januar 2023 anzuwenden sein. Die jüngsten Entwürfe für die RTS, die ihr von den drei Europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) am 22. Oktober 2021 vorgelegt worden waren, habe die Kommission nicht innerhalb der vorgesehenen Dreimonatsfrist annehmen können, heißt es in dem Papier. Der Grund: Die Präzisierungen zur EU-Offenlegungsverordnung seien sehr lang und technisch detailliert. Daher werde für das Annahmeverfahren mehr Zeit benötigt.

Kaum überraschend
Die Verzögerung an sich überrascht nicht besonders. Immerhin hatte die EU-Kommission mit derselben Begründung den Anwendungszeitpunkt für die insgesamt 13 RTS im August dieses Jahres schon einmal um sechs Monate verlegt – vom 1. Januar 2022 auf den 1. Juli 2022. Mit der erneuten Verschiebung könnte nun aber auch der Starttermin für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen wackeln.

"Die RTS werden unter anderem für Fonds, die nach Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung eingestuft werden, wichtige Vorgaben enthalten", erklärt Christian Waigel, Partner der Münchner Kanzlei Waigel Rechtsanwälte. So werden die technischen Standards etwa vorsehen, welche Angaben Kapitalverwaltungsgesellschaften zu entsprechenden Produkten auf ihrer Homepage machen müssen, was genau in den vorvertraglichen Informationen stehen muss und wie das regelmäßige Reporting auszusehen hat.

Nicht nach Gutdünken
All diese Informationen benötigen Anlageberater und Vermögensverwalter, um Kunden Fonds empfehlen zu können, die ihren Vorstellungen von Nachhaltigkeit entsprechen. Denn die Neufassung für die Delegierte Verordnung 2017/565 zur Umsetzung von Mifid II, welche die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen vorschreibt, lässt Beratern keineswegs die freie Wahl, welche Produkte sie ihren Anlegern künftig empfehlen dürfen, wenn diese nachhaltig investieren möchten.

In diesem Fall dürfen nur Fonds empfohlen werden, die entweder der Taxonomieverordnung entsprechen oder aber einen Mindestanteil an nachhaltigen Investitionen im Sinne der sozialen und der Governance-Ziele gemäß der EU-Offenlegungsverordnung vorsehen. Weiterhin dürfen Sondervermögen gewählt werden, bei denen die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden. Dies werden meist Produkte nach Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung sein.

Keine zuverlässige Grundlage
"Ohne die RTS zur Offenlegungsverordnung haben Anlageberater und Vermögensverwalter keine zuverlässige rechtliche Grundlage, auf der sie ihren Kunden Finanzinstrumente zur Verfügung stellen können, die zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen passen", sagt Waigel. Daher rechnen Fachjuristen wie er nun damit, dass sich der Start der Präferenzabfrage ebenfalls verschieben wird. Der deutsche Fondsverband BVI würde eine Verzögerung zumindest nicht für schlecht halten. "Da die technischen Regulierungsstandards zur Offenlegungsverordnung erst ab Anfang 2023 gelten sollen, wäre es sicher sinnvoll, auch den Start der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen zu verschieben", erklärt ein Sprecher auf Anfrage von FONDS professionell ONLINE.

Aus Branchenkreisen ist jedoch zu vernehmen, dass die drei ESAs einem späteren Start zwar durchaus positiv gegenüberstehen, die EU-Kommission bislang aber am 2. August 2022 festhält. Sollte sie bei dieser Position bleiben, würde sich allerdings eine Situation ergeben, die der europäische Gesetzgeber eigentlich unbedingt vermeiden will. "Eine Zeit lang hatte die Branche gehofft, dass jede Bank und jeder Vermögensverwalter selbst definieren darf, was unter sozialen, Umwelt- und Governance-Kriterien zu verstehen ist, und diese Begriffe dann mit dem Kunden abstimmt", erinnert Waigel. Genau dazu wären die Finanzprofis zumindest  vorübergehend gezwungen, wenn die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen zur Pflicht würde, bevor die RTS zur Offenlegungsverordnung vorliegen. (am)