Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 9. September drei Urteile zu Verbraucherkrediten aller Art gefällt. Die Richter haben den betroffenen Banken deutlich gemacht, dass einige ihrer Formulierungen in den Darlehensverträgen nach EU-Recht unverständlich sind. Viele Anlegeranwälte sehen in diesen Mängeln einen "ewigen Widerrufsjoker", mit dessen Hilfe Darlehensnehmer auch lange nach der 14-tägigen Frist, in der ein Widerruf eigentlich erfolgen muss, aus dem Vertrag aussteigen können. Allerdings ist nicht ganz klar, ob der Optimismus der Anwälte gerechtfertigt ist – ähnlich wie vor anderthalb Jahren bei einer anderen Entscheidung des EuGH zu Verbraucherkrediten vom 26. März 2020

Ausgangspunkt für die aktuellen Urteile waren Klagen von Kunden der VW-Bank, der Skoda-Bank und der BMW-Bank, über die das Landgericht (LG) Ravensburg zu entscheiden hatte. Es ging um Formulierungen im Kleingedruckten von Autokreditverträgen. Mit der Bitte um eine sogenannte fakultative Vorabentscheidung wandte sich das Landgericht am 7. Januar 2020 an den EuGH. Der Richter bat um Auslegungen dazu, ob die betreffenden Passagen konform mit dem zugrunde liegenden Artikel 10 Absatz 2 der EU-Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkreditverträge vom Mai 2008 seien. Dieser schreibt klare und prägnante Angaben in solchen Verträgen vor.

EuGH bemängelt unklare Formulierungen
"Die Fragen betrafen den Umfang der Informationspflichten im Hinblick auf den Verzugszinssatz, die Vorfälligkeitsentschädigung und die im nationalen Recht geregelten Kündigungsrechte", erklärt Oliver Renner von der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker. Darüber hinaus bezogen sie sich auf die vorgeschriebene Frist und Form der Kündigungserklärung in einem Altvertrag zur Finanzierung eines Kraftfahrzeugkaufs sowie auf Angaben zu Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren. Die Antwort der europäischen Richter ist klar: All diese Angaben in den Verträgen waren für Laien nur schwer verständlich und kaum nachvollziehbar. Damit entsprechen sie nicht europäischem Recht – der Widerrufsjoker scheint zu stechen. 

Allerdings gibt es ein paar Hürden, vor allem für Autokredite. Zum einen kann laut Renner in einigen Fällen eine "Gesetzesfiktion" greifen: Der deutsche Gesetzgeber hat 2010 einen amtlichen Mustertext für Verbraucherkredite verabschiedet. Dieser enthält auch Vorlagen für sogenannte "verbundene Verträge". Bei den nun vom EuGH betrachteten Streitfällen handelt es um oftmals um solche verbundenen Verträge. Das gilt vor allem bei Autokrediten, die in Einheit mit einem Vertrag für den Erwerb des KfZs selbst abgeschlossen werden. Wenn Banken die Formulierungen des Mustertextes übernommen haben, können sie sich also darauf berufen, dass sie sich an geltende deutsche Gesetze gehalten haben. Das kann auch der EuGH nicht verbieten.

Jurist: Details von Rückabwicklung völlig unklar
Der Jurist gibt ferner zu bedenken, dass gerade bei einem Widerruf eines Autokredites auch der Kauf des Wagens rückabgewickelt werden muss. Die Details dieses Prozesses seien bislang vollkommen unklar – inklusive der Frage, wie die Laufleistung des Autos oder die gezahlte Versicherungsprämien berücksichtigt werden müssen. "Unter Umständen bleibt von der Kreditsumme nach einer Beweisaufnahme und einem Kostenausgleich gar nicht mehr viel übrig, der Joker könnte daher im Einzelfall nutzlos sein", so Renner.

Fraglich ist ferner, wie der Bundesgerichtshof (BGH) reagieren wird, auch wenn europäisches Recht deutsches Recht "bricht". Das oberste deutsche Gericht sprang in der Vergangenheit eher den Banken als deren Kunden zur Seite. Ein Beispiel: Als die europäischen Richter im März 2020 die unverständlichen und damit fehlerhaften Widerrufsbelehrungen mittels eines "Kaskadenverweises" in den Kreditverträgen vieler Banken angeprangert hatten, stellte der BGH in kürzester Zeit in zwei Beschlüssen klar, dass dieser Kaskadenverweis explizit in dem oben erwähnten amtlichen Mustertext eingebaut ist und unterstrich damit die Gesetzesfiktion. Möglicherweise findet er auch hier einen Weg, den EuGH auszubremsen. 

BGH beanstandete Passagen nicht
Zu den nun vom EuGH beanstandeten Passagen hatte sich der BGH auch bereits geäußert. Anwalt Renner zufolge hatte der Bankensenat des Gerichts bislang zu den Angaben der Vorfälligkeitsentschädigung sowie des Verzugszinses für Kredite gemeint, dass "die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig [ist], dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt," (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2020 – XI ZR 648/18). Grundsätzlich gilt: Jeden Widerruf gründlich prüfen! (jb)