Banken, die wegen fortwährender Nullzinsen ihre Ertragskraft schwinden sehen, können vieles unternehmen, um ihre Zukunft zu sichern: In die Ausbildung ihrer Berater und deren Sortiment oder in die Modernisierung ihrer digitalen Vertriebskanäle investieren, Zweigstellen schließen und Personal abbauen oder sich mit anderen Instituten verbünden – beispielsweise. Was sie nicht dürfen, zumindest nicht bei Bestandskunden, ist, mir nichts dir nichts "Guthabengebühren" oder "Verwahrentgelte" auf Kundeneinlagen zu erheben. Das hat das Landgericht Tübingen in einem mit Spannung erwarteten Urteil entschieden (Az. 4 O 187/17).

Im konkreten Fall hatte die Volksbank Reutlingen Mitte Mai 2017 per Preisaushang verkündet, ein "Verwahrentgelt" nicht nur – wie bei anderen Geldinstituten üblich – für wohlhabende Kunden mit Einlagesummen ab 100.000 Euro aufwärts einzuführen, sondern bereits ab 10.000 Euro Tagesgeld und ab 25.000 Euro Festgeld Negativzinsen in Höhe von 0,5 Prozent zu erheben – sowohl für Neu- wie auch für Bestandskunden (FONDS professionell ONLINE berichtete). Letzteren stärkt das LG Tübingen mit seinem Urteil den Rücken.

Die Kammer verbot der Volksbank Reutlingen, Negativzinsen bei Altkonten zu verlangen, wenn solche zuvor zwischen Bank und Kunde nicht ausdrücklich vertraglich vereinbart worden waren. Begründung: "Mit einem Übergang von positiven zu negativen Zinsen bei schon abgeschlossenen Verträgen rechnet der Verbraucher nicht und muss auch nicht damit rechnen." Der Hinweis der beklagten Bank, alle Kunden hätten bei Vertragsabschluss standardmäßig variablen Zinsen auf ihr Guthaben zugestimmt, genügte dem Gericht nicht. Da die Volksbank in ihrem Preisaushang nicht zwischen Alt- und Neuverträgen unterschieden habe, seien die Klauseln insgesamt unwirksam. 

Kein generelles Strafzins-Verbot
Zur Anwendung waren die – bislang – nie gekommen: Wegen einer unmittelbar erwirkten Abmahnung seitens der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zog die Volksbank den Preisaushang inklusive der beanstandeten Klausel kurz darauf zurück. Eine ebenfalls geforderte Unterlassungserklärung wollte sie aber nicht abgeben. Man könne Negativzinsen nicht dauerhaft ausschließen, hieß es zur Begründung.

Daraufhin erhob die Verbraucherzentrale Klage, wohl in der Hoffnung, dass ein Grundsatz-Entscheid – also ein generelles Strafzins-Verbot – erlassen und so die um sich greifende Verbreitung von als "Extra-Gebühren" kaschierten Negativzinsen für Normalsparer zum Erliegen kommt. 

Negativzinsen nur bei Neuverträgen
Auch wenn die Tübinger Richter so weit denn doch nicht gehen wollten: Zumindest einen Etappensieg sehen die Verbraucherschützer in dem Urteil dennoch. "Die Bank kann nicht einseitig mittels des Kleingedruckten aus einer Geldanlage einen kostenpflichtigen Verwahrungsvertrag machen", zitiert die "Rheinische Post" Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Für neu abgeschlossene Verträge aber ist das sehr wohl möglich.

So lässt das Tübinger Urteil der beklagten Volksbank die Möglichkeit offen, Negativzinsen für Tages- und Festgeldkonten einzuführen, die ab dem 16. Januar 2017 geschlossen wurden. Grund: Ab diesem Zeitpunkt war in den Produktionsinformationsblättern für solche Konten ausdrücklich erwähnt worden, dass die variable Verzinsung von Tages- und Festgeld auch ins Minus rutschen könnte, berichten die "Stuttgarter Nachrichten".

Ob sich die Verbraucherschützer dieser Interpretation anschließen, muss die Zukunft zeigen. Und auch die Bank kann noch Rechtsmittel einlegen: Nach Zusendung des Urteils hat sie vier Wochen Zeit, um in Berufung zu gehen. Dass das Kapital damit abgeschlossen ist, glaubt nicht einmal der Vorsitzende Richter selbst: Er hatte nach Verkündung des Urteils gemutmaßt, der Fall könne bis vor den Bundesgerichtshof getragen werden. (ps)