Das Europäische Parlament hat dafür gestimmt, dass Investitionen in Gas- und Atomenergie unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig eingestuft werden können. Dies berichten diverse Medien, unter anderem die "Süddeutsche Zeitung", die sich auf Informationen der Nachrichtenagenturen "Reuters" und "dpa" bezieht. Demnach konnten sich die Gegner der entsprechenden Pläne bei der Abstimmung im Parlament nicht durchsetzen.

278 Abgeordnete votierten im Plenum in Straßburg für eine Blockade der Aufnahme von Erdgas und Atomenergie in die Taxonomie. Es gab 328 Gegenstimmen und 33 Enthaltungen. Um das Vorhaben zu blockieren, wäre eine absolute Mehrheit von 353 der 705 Abgeordneten nötig gewesen. Damit gelten Gas- und Atomstrom nun als umweltfreundliche Technologien.

Juristische Schritte abwarten
Die Taxonomie ist ein Klassifikationssystem, das private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken soll. Bevor die Technologien Gas und Atomkraft aber tatsächlich ein "Öko-Siegel" erhalten, müssten aber noch juristische Schritte abgewartet werden, schreibt die "SZ". Österreich und Luxemburg hatten vor der Abstimmung im EU-Parlament angekündigt, gegen die Taxonomie zu klagen, sollten Gas- und Atomenergie als nachhaltig klassifiziert werden. 

Die Umsetzung des Kommissionsvorschlags kann noch verhindert werden, wenn sich bis 11. Juli mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Europäischen Union vertreten. Dass eine entsprechende Mehrheit im Rat der EU zustande kommt, gilt wegen des Interesses vieler Staaten an der Nutzung von Kernkraft allerdings als ausgeschlossen. 

Fondsbranche übt Kritik
In der Fondsbranche stößt das Ergebnis der Abstimmung auf Kritik. "Dadurch setzt die EU-Taxonomie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Der Anspruch, globaler Vorreiter beim Setzen von Nachhaltigkeitsstandards zu sein, lässt sich so nicht einlösen", sagt Henrik Pontzen, Leiter ESG im Portfoliomanagement von Union Investment. "Bei unseren Nachhaltigkeitsfonds schließen wir Atomstromproduzenten seit vielen Jahren aus. An dieser Einschätzung halten wir aufgrund der Katastrophenrisiken bei Atomkraftwerken und der nicht gelösten Frage der Endlagerung fest."

"Ob Atomenergie und Erdgas als 'nachhaltig' oder 'nicht nachhaltig' anzusehen sind, kann und will die Fondswirtschaft nicht abschließend bewerten", sagt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI. Sein Verband sei aber der Auffassung, dass sich die EU-Taxonomie strikt an wissenschaftlichen Kriterien orientieren sollte, um die weltweite Verbreitung nachhaltiger Geldanlagen zu erleichtern. "Da die Taxonomiefähigkeit von Atomenergie und Erdgas nicht nur politisch umstritten ist, sondern auch wissenschaftlich, hätten wir es besser gefunden, wenn sich das Parlament gegen eine Aufnahme in die Taxonomie entschieden hätte", konstatiert Richter.

Völlig falsche Richtung
Auch beim Bundesverband Finanzdienstleistung AfW kommt das Abstimmungsergebnis nicht gut an. "Wir halten das für einen indiskutablen Schritt in die völlig falsche Richtung und kontraproduktiv für die Akzeptanz regulatorischer Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit", erklärt Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des Verbands. "Die Taxonomie verliert nachhaltig an Glaubwürdigkeit, wenn erkennbar interessen- aber nicht wissenschaftsbasierte Entscheidungen zulasten unserer Kinder und nachfolgender Generationen getroffen werden“, ist er überzeugt. (am)