Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags mehr als ein Vierteljahr zurückliegt, hat FONDS professionell die finanzpolitischen Sprecher der im Bundestag vertretenen Parteien in Berlin besucht. Zwar treten Themen wie ein mögliches Provisionsverbot in Zeiten des Ukraine-Krieges in den Hintergrund, dennoch haben die Sprecher zu wichtigen Fragen der Finanzpolitik Stellung genommen. Heute bezieht Christian Görke Position. Er hat in dieser Legislaturperiode als finanzpolitischer Sprecher der Linken die Nachfolge von Fabio De Masi angetreten.


Herr Görke, das Projekt, Finanzanlagenvermittler mit Erlaubnis nach Paragraf 34f Gewerbeordnung unter die Aufsicht der Bafin zu stellen, ist in der vergangenen Legislaturperiode nicht zustande gekommen. In den aktuellen Koalitionsvertrag hat es keinen Eingang gefunden. Wird das Vorhaben Ihrer Ansicht nach trotzdem noch einmal aufs Tapet kommen?

Christian Görke: Ja, unbedingt! Die Linke setzt sich weiterhin für eine Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagen- sowie Versicherungsvermittler auf die Bafin ein, um ein Aufsichtsgefälle zu vermeiden und Verbraucher besser zu schützen.

Auch ein Provisionsverbot in der Finanz- und Anlageberatung ist im neuen Koalitionsvertrag nicht vorgesehen, obwohl gerade Bündnis 90/Die Grünen es im November 2021 noch vehement gefordert hatten. Wie stehen Sie zu einem generellen Verbot der provisionsbasierten Beratung? 

Görke: Das Besondere ist ja, dass es im Sondierungspapier noch stand, aber bis zum Koalitionsvertrag nicht überlebt hat. Anscheinend war es für die FDP sehr wichtig, ein Provisionsverbot zu verhindern, oder für SPD und Grüne war das Thema Verhandlungsmasse. Die Linke setzt sich seit Jahren für eine schrittweise Überwindung des Provisionssystems und damit verbunden eine Stärkung der unabhängigen Honorarberatung sowie eine Stärkung der Beratung durch Verbraucherzentralen ein. 

Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen machen sich außerdem für einen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung stark. Wird das Vorhaben Ihrer Meinung nach in dieser Legislaturperiode zu einem wichtigen Thema werden?

Görke: Ich denke nicht, dass es hier Bewegung geben wird, da ein Provisionsdeckel nicht im Koalitionsvertrag steht. Immerhin gibt es eine solche Deckelung für Restschuldversicherungen. Wir würden eine Provisionsdeckelung in der Lebensversicherung begrüßen. Dies kann aber nur ein Zwischenschritt sein hin auf dem Weg zur Überwindung des Provisionssystems.

Im Koalitionsvertrag ist die sogenannte "Aktienrente" verankert, deren Start nun erst einmal verschoben wurde. In der gesetzlichen Rentenversicherung soll das Umlageverfahren durch eine Anlage am Kapitalmarkt erweitert werden. Wird sich auf diese Weise tatsächlich eine Rente ermöglichen lassen, die den Lebensstandard der Bürger sichert, oder ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Görke: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein und geht auch nicht an den Kern des Problems. Das sind die Beitragsbemessungsgrenzen, eine schlechte Lohnentwicklung und ein Mindestlohn, der Altersarmut garantiert. An diesen Stellschrauben muss gedreht werden, um die gesetzliche Rente auf ein anständiges und sicheres Niveau zu bringen. Diese muss wieder zum Zentrum der Alterssicherungspolitik werden und den Lebensstandard im Alter erhalten. Private und betriebliche Renten können die gesetzliche Rente ergänzen, dürfen sie aber nicht ersetzen. Wenn künftig frische Milliarden aus den Rentenkassen ihren Weg an die Finanzmärkte finden, wird das die Vermögensungleichheit weiter befeuern.

Die neue Regierung will das System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren. Dazu soll das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einer Opt-out-Möglichkeit für die Bürger geprüft werde. Halten Sie dieses Projekt Plan für erfolgversprechend?

Görke: Das ist ein durchaus ernstzunehmender Angriff auf das umlagefinanzierte Rentensystem. Solch eine Individualisierung führt in Kombination mit ausbleibenden Reformen zu immer mehr finanziellem Druck auf die gesetzliche Rente und in der Konsequenz zu sinkenden Renten. Das schadet nicht nur der Rente, sondern auch der Wirtschaft. Bei der umlagefinanzierten Rente wird Geld unmittelbar wieder ausgegeben – es bleibt im realwirtschaftlichen Kreislauf. Bei der Kapitaldeckung fließt es an den Kapitalmarkt, wo es größtenteils verbleibt und nicht zurück in die Realwirtschaft fließt. Unter vielen Gesichtspunkten ist diese Form also mehr als fragwürdig. Es bleiben zudem auch viele technische Fragen offen: Wer verwaltet den Fonds? Wie breit ist das Anlagespektrum des Fonds? Nach welchen Kriterien wird Fondsvermögen umgeschichtet? Gibt es neben der Opt-out- auch wieder eine Opt-in-Möglichkeit? 

Ab dem 22. August 2022 sollen Anlageberater die Nachhaltigkeitspräferenzen Ihrer Kunden in der Geldanlage abfragen. Ist dies ein vernünftiges Projekt, das zu mehr Nachhaltigkeit führen wird?

Görke: Das ist zwar sinnvoll, aber zu große Erwartungen sollten daran nicht geknüpft werden. Kunden können künftig erklären, ob sie ein Produkt wünschen, bei dem ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne der Taxonomie-Verordnung angelegt werden soll, ein Produkt, bei dem ein Mindestanteil im Sinne der Offenlegungsverordnung angelegt werden soll oder ein Produkt, bei dem die wichtigsten nachhaltigen Auswirkungen berücksichtigt werden. Zusätzlich können Anleger qualitative oder quantitative Kriterien angeben. Dies mag nicht nur viele Kleinanleger überfordern, auch die Vermittler benötigen klare Vorgaben, um ein passgenaues Produktangebot vorhalten zu können. Das Grundproblem in der Anlageberatung wird damit aber lediglich kaschiert: die Überwindung des Provisionssystems. Ganz klar sollte zudem sein: Nur weil ein Finanzinstrument zum Beispiel hervorragend ESG-Kriterien erfüllt, heißt das noch lange nicht, dass dieses Instrument auch risikolos ist und dem Anleger hohe Gewinne garantiert.

Mit dem Regelwerk der Taxonomie legt die EU-Kommission Standards für ökologisches Wirtschaften fest. Atom- und Gasenergie werden in dem Klassifizierungssystem nun aber als nachhaltig eingestuft. Wie bewerten Sie diese Einstufung?

Görke: Das sehen wir sehr kritisch. Die Bundesregierung sollte sich aktiv auf EU-Ebene mit äußerstem Druck gegen eine Aufnahme von Atom und Gas als nachhaltige Technologien in die Taxonomie einsetzten

Welche großen finanzpolitischen Pläne und Projekte verfolgt Ihre Partei in der laufenden Legislaturperiode?

Görke: Wir werden insbesondere einen steuerpolitischen Fokus setzen. Wir werden weiter Druck machen, dass die Steuern für die große Mehrheit gesenkt werden. Insbesondere muss auch die Abgeltungsteuer reformiert werden. Es kann nicht sein, dass Milliardendividenden geringer besteuert werden als eine zusätzliche Arbeitsstunde einer Polizistin, eines Lehrers oder einer Ärztin.

Welche Ziele haben Sie selbst sich bis zu nächsten Bundestagswahl gesteckt? 

Görke: Ich möchte klar machen: Die Linke steht für die finanziellen Interessen der großen Mehrheit ein. Das haben die Ampel-Parteien im Wahlkampf zwar auch versprochen, aber angesichts der derzeitigen Inflation jetzt schon verfehlt. Daher wird sich zeigen, dass die Linke die einzige Partei ist, die Politik für Millionen statt für Millionäre macht.

Vielen Dank für das Gespräch. (am)


Zu allen Fragen haben auch bereits Stellung genommen:
Michael Schrodi, SPD
Katharina Beck, Bündnis 90/Die Grünen
Markus Herbrand, FDP
Antje Tillmann, CDU/CSU


Einen Bericht über die Standpunkte der Finanzexperten aller im Bundestag vertretenen Parteien zu aktuellen Fragen der Finanzpolitik, zu Altersvorsorge und Nachhaltigkeit finden Sie in der aktuellen Ausgabe 1/2022 von FONDS professionell. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin lesen.