Macht ein Unternehmen Pleite, ist die Reihenfolge, in der die Ansprüche von Geschädigten zu befriedigen sind, eigentlich klar: Gläubiger, etwa Kreditgeber oder Lieferanten, kommen zuerst, Aktionäre müssen sich hinten anstellen. Ein Urteil des fünften Zivilsenats am Oberlandesgericht (OLG) München könnte daran eventuell etwas ändern. Denn im Verfahren zwischen dem Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé und Union Investment gaben die Richter der Fondsgesellschaft recht (Az.: 5 U 7318/22). Dies berichtet die "Süddeutsche Zeitung" ("SZ").

Union Investment hatte in den im Juni 2020 zusammengebrochenen Zahlungsdienstleister investiert. Als infolge der Insolvenz der Kurs der Wirecard-Aktie in den Keller stürzte, verlor der Fondsanbieter des genossenschaftlichen Sektors Milliarden. Den Schaden will Union Investment beim Insolvenzverwalter genauso geltend machen können wie die Gläubiger. Schließlich sei die Gesellschaft durch die falschen Bilanzen des Zahlungsabwicklers getäuscht worden.

Keine Grundlage für vorrangige Ansprüche
Geht so nicht, hatte vor knapp zwei Jahren das Landgericht München entschieden. Die Richter folgten damals Jaffés Argumentation, die auf einem grundsätzlichen Unterschied zwischen Gläubigern und Aktionären fußte: Gläubiger hätten dem insolventen Unternehmen eine Leistung gewährt, dafür aber keine Gegenleistung erhalten. Wenn ein Investor Aktien der Firma kaufe, habe diese dadurch erst einmal keinen Vorteil. Für vorrangige Ansprüche im Insolvenzverfahren fehle daher die Grundlage.

Das sahen die Richter am OLG München jedoch anders, wie die "SZ" schreibt. Das Argument von Union Investment, die Gesellschaft hätte nie Wirecard-Aktien erworben, wenn sie durch die offensichtlich gefälschten Bilanzen nicht getäuscht worden wäre, zog. Das OLG kam zu dem Schluss, der Fondsanbieter habe einen "begründeten Vermögensanspruch" und damit im Insolvenzverfahren dieselben Rechte wie die klassischen Gläubiger. 

Zug vor den Bundesgerichtshof
Für Union Investment und geschädigte Wirecard-Aktionäre insgesamt ist das zwar zunächst ein erfreuliches Urteil. Endgültig entschieden ist die Sache aber noch nicht. Ein Sprecher von Insolvenzverwalter Jaffé habe auf Anfrage mitgeteilt, er werde den Zug vor den Bundesgerichtshof (BGH) antreten, berichtet die "SZ". Zudem lasse sich noch gar nicht absehen, wie hoch die Ansprüche der Aktionäre tatsächlich wären. Den Verlusten müssten schließlich eventuelle Gewinne, etwa durch zwischenzeitliche Aktienverkäufe oder Dividendenzahlungen, gegengerechnet werden. 

Mit der aufwendigen Aufrechnung könne der Insolvenzverwalter frühestens beginnen, wenn der BGH die Grundsatzfragen geklärt habe, so die "SZ". Ein Urteil aus Karlsruhe sei möglicherweise im kommenden Jahr zu erwarten. (am)