Anbieter von ESG-Ratings, die auch andere Finanzdienstleistungen offerieren, werden in Zukunft gezwungen sein, diese Geschäfte zu trennen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Das ist ein Kernpunkt in einem Entwurf für eine Verordnung der Europäischen Kommission, der dieser Tage vorgestellt werden soll und den die Nachrichtenagentur "Bloomberg" bereits einsehen konnte.

Zu den Geschäftsbereichen, die einen solchen Interessenkonflikt darstellen könnten, gehören laut dem Dokument Beratungsdienste, die Ausgabe und der Verkauf von Ratings oder die Entwicklung von Benchmarks.

Enormes Wachstum
Die Einführung formeller Regeln stellt eine enorme Veränderung für eine Branche dar, die in den vergangenen Jahren explosionsartig gewachsen ist und deren Bewertungen dazu beigetragen haben, riesige Investitionen zu lenken. Nach Schätzungen von "Bloomberg Intelligence" verwalten Fonds, die auf ökologische und soziale Ziele sowie gute Unternehmensführung ausgerichtet sind, ein Vermögen von mehr als zwei Billionen US-Dollar. Eine Analyse der Daten für das erste Quartal zeigt, dass "Fonds mit ESG-Branding den schnellsten Anstieg seit 2019 verzeichnet haben", so Shaheen Contractor, Analystin bei "Bloomberg Intelligence".

In ihrem Entwurf erklärt die Kommission, dass "der derzeitige Markt für ESG-Ratings an Mängeln leidet und nicht richtig funktioniert". Infolgedessen werde "das Vertrauen in Ratings untergraben". Von den Ratingagenturen wird nun erwartet, dass sie viel detailliertere Angaben zu ihren Methoden machen und offenlegen, ob Bewertungen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellt wurden, so der Entwurf.

"Mehr Transparenz bei ESG-Ratings wird es den Finanzmarktteilnehmern ermöglichen, fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, welche Daten und Dienstleistungen ihren Bedürfnissen entsprechen", sagte Helena Vines-Fiestas, Vorsitzende der europäischen Plattform für nachhaltige Finanzen, die die Europäische Kommission berät. "Es wird auch einen stärkeren Dialog zwischen Finanzmarktteilnehmern und Datenanbietern fördern."

Der Vorschlag folgt auf einen langwierigen Konsultationsprozess, der einen gravierenden Mangel an Vertrauen in ESG-Ratings unter den Marktteilnehmern offenbart hat.

Der Entwurf, der noch mit dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedsstaaten verhandelt werden muss und vor seiner offiziellen Veröffentlichung noch Änderungen unterliegen könnte, hat Auswirkungen auf Unternehmen wie Moody's, MSCI und S&P Global, die alle ESG-Ratings in Kombination mit anderen Dienstleistungen anbieten. Der Zeitplan für die Verabschiedung des Vorschlags, der von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurde, ist knapp bemessen, da im Juni 2024 EU-Wahlen anstehen.

Drastische Geldstrafen drohen
Dem Entwurf zufolge müssen Anbieter von ESG-Ratings bei Verstößen gegen die neuen Regeln mit Geldstrafen von bis zu zehn Prozent des jährlichen Umsatzes rechnen. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma könnte auch die Genehmigung zur Abgabe von Ratings aufheben. Die neue Gesetzgebung wird laut dem Entwurf voraussichtlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 in Kraft treten. (mb/Bloomberg)