Nachdem die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags sechs Monate zurückliegt, hat FONDS professionell die Finanzexperten aller im Deutschen Bundestag vertretenden Parteien in Berlin besucht. Sie haben sich Zeit genommen und zu vielen Fragen der Finanzmarktregulierung, Finanzpolitik und der Altersvorsorge Rede und Antwort gestanden. Die Interviews mit Antje Tillmann, CDU, Lothar Binding, SPD, und Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, sind bereits erschienen. Heute bezieht Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP, Stellung.


Herr Toncar, die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ist seit Jahresbeginn in Kraft. Aus der Branche ist vielfach zu hören, der Gesetzgeber sei an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen. Sehen Sie das auch so?

Florian Toncar: Nach der Finanzkrise wurden sehr viele neue Regulierungen geschaffen, und oft ging dabei Quantität vor Qualität. Die Bürokratie ist deutlich gewachsen. Das bekommen die Marktteilnehmer zu spüren. Letztendlich muss man sich klar machen, dass diese Form von vermeintlichem Verbraucherschutz auch von allen Verbrauchern bezahlt wird, weil die Kosten für die Anlageberatung steigen oder die Rendite der Produkte leidet.

Wie würden Sie besser machen?

Toncar: Ich wünsche mir eine professionelle und effiziente Aufsicht über die wichtigen Teile des Marktes und weniger Bürokratie dort, wo sie verzichtbar ist. Es gibt sicherlich einige Stellen, bei denen es sinnvoll ist, Vorschriften zu entkrampfen. Mifid II hat inklusive Umsetzungsrecht knapp 10.000 Seiten – und verbietet beispielsweise Investmentbanken faktisch, kostenlose Analysen für ihre Kunden bereitzustellen. Da fällt mir viel ein, was man an Vorschriften streichen könnte. Ich ermuntere die Bundesregierung, hier in einen Dialog mit den betreffenden Akteuren zu treten.

Durch Mifid II haben sich die Honorar- und Provisionsberatung hinsichtlich der Kostentransparenz weitgehend angeglichen. Ist eine Trennung überhaupt noch notwendig?

Toncar: Provisionsberatung ist immer noch die häufigste Art der Beratung in Deutschland, beispielsweise bei Lebensversicherungen. Doch auch die Honorarberatung hat ihre Berechtigung und wird immer wichtiger. Wir wollen faire Chancen und gleiche Bedingungen für Honorar- und Provisionsberater. Das Ziel muss sein, dass die Kunden die bestmöglichste Beratung bekommen und sich frei entscheiden können.

Sollte die Honorarberatung dafür also sogar noch weiter gestärkt werden?

Toncar: Wir stellen nicht das eine über das andere. Die Stärkung der Honorarberatung in der Vergangenheit war richtig. Darüber hinaus muss sich aber erst noch zeigen, ob und wo die Politik aktiv werden muss, um Chancengleichheit herzustellen.

Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, Finanzanlagenvermittler unter die Aufsicht der Bafin zu stellen. Dieses Vorhaben hat im Frühjahr für Aufregung in der Branche gesorgt. Wie stehen Sie dazu?

Toncar: Den Freien Demokraten sind bisher keine zwingenden Gründe bekannt, Finanzanlagevermittler unter Bafin-Aufsicht zu stellen. Im Gegenteil, auf Nachfrage konnte die Bundesregierung im März beispielsweise weder Schadensfälle nennen, die durch 34f-ler entstanden sind, noch erläutern, auf welchen neuen Erkenntnissen die Absicht der Großen Koalition beruht, sie durch die Bafin beaufsichtigen zu lassen. Es ist auch nicht sachgerecht, die Aufsicht über die 34f-Vermittler zu zentralisieren.

Bleiben wir bei der Bafin. Sollte die Bonner Behörde auch künftig Finanzprodukte verbieten dürfen oder in dieser Hinsicht vielleicht sogar mit weiteren Kompetenzen ausgestattet werden?

Toncar: Die Bafin hat einen sehr guten Überblick über den Finanzmarkt. Wir Freie Demokraten wollen eine gut ausgestattete, professionelle und schlagkräftige Aufsicht. Die Kompetenz, Finanzprodukte zu verbieten, sollte bei ihr angesiedelt bleiben. Kompetenzlücken der Bafin sehe ich nicht.

In der Vergangenheit sind der Finanzmarkt und die Beratung über Finanzprodukte mehrfach reguliert worden. Gibt es Pläne, die geltenden Vorschriften auf mögliche Überschneidungen hin zu überprüfen?

Toncar: In Brüssel hört man erste Stimmen in diese Richtung, in Deutschland leider kaum. Wir müssen bestehende Überschneidungen unbedingt abbauen und die Struktur der Regeln drastisch vereinfachen. Zu Mifid II existieren derzeit 47 Delegierte Verordnungen. Warum kann man die Regeln nicht wenigstens in einer einzigen Verordnung bündeln?

Wechseln wir das Thema und kommen zu den Lebensversicherern, die bekanntlich mit dem dauerhaften Niedrigzinsniveau enorm zu kämpfen haben: Reicht das bestehende Instrumentarium noch aus, um zu verhindern, dass Unternehmen in eine extreme Schieflage oder gar in die Insolvenz geraten?

Toncar: Es gibt die Sicherheitseinrichtung Protektor, die Versicherungen auffangen kann, wenn sie in die Schieflage kommen. Allerdings haben ein paar Versicherer, sogenannte Versicherungen auf Gegenseitigkeit, keinen Zugriff auf Protektor. Das gilt vor allem für Pensionskassen, bei denen der Arbeitgeber nachschusspflichtig ist. Problematisch könnte es werden, wenn der Arbeitgeber nicht mehr besteht oder nicht liquide genug ist, um den Verpflichtungen nachzukommen. Die Freien Demokraten haben im Bundestag bereits eine parlamentarische Initiative gestartet, um in Erfahrung zu bringen, ob und in welcher Form hier Handlungsbedarf besteht. Alle Berichte der Aufsichtsbehörden und auch der aktuelle Evaluationsbericht des Bundesfinanzministeriums weisen jedoch vor allem auf die negativen Auswirkungen des fortgesetzten Niedrigzinsumfeldes hin. Eine Korrektur der Zinspolitik der EZB wäre jedenfalls im Sinne der Finanzmarktstabilität sinnvoll.

Wie bewerten Sie die Einführung einer digitalen säulenübergreifenden Rentenübersicht und wann ist mit Umsetzung dieses Projektes zu rechnen?

Toncar: Das wäre ein echter Schritt hin zu mehr Transparenz und Digitalisierung. Von Seiten der Bundesregierung haben wir aber leider noch keine Initiativen gesehen. Als Opposition sind wir daher gefragt, bei diesem Thema mehr Druck auszuüben.

Schauen wir über die bundesdeutschen Grenzen hinaus und blicken nach Europa. Wie sehen Sie die Situation in Italien?

Toncar: Die italienischen Banken leiden unter der anhaltend schlechten Wirtschaftslage des Landes. Bescheidenen Erfolgen im Wirtschaftswachstum steht eine seit Jahren unveränderte Wettbewerbsfähigkeit gegenüber. Die Produktivität macht gegenüber anderen Ländern keine Fortschritte. Das führte zu der hohen Quote an notleidenden Krediten. Eine Situation, die nur durch echte Strukturreformen und mit langem Atem und Disziplin zu bewältigen ist. Leider droht durch die M5S-Lega-Regierung ein Schwenk zur fiskalischen Verantwortungslosigkeit. Das haben die Märkte bereits mit höheren Zinsen auf italienische Staatsanleihen quittiert.

Und welcher Zukunft geht der Euro entgegen?

Toncar: Die Eurokrise kann jederzeit wiederkehren, wenn nicht grundlegende Reformen endlich umgesetzt und bestehende Regeln eingehalten werden. Insbesondere die hohen Staatsschulden in der Eurozone und die zu hohen Quoten von notleidenden Krediten in den Bankensystemen vieler Mitgliedstaaten sind problematisch. Da brauchen wir dringend Fortschritte, denn nur so lässt sich Vertrauen in den Währungsraum schaffen.

Ganz zum Schluss: Was sind Ihre wichtigsten Ziele und Projekte in dieser Legislaturperiode?

Toncar: Eine echte Entlastung der Bürger ist überfällig. Die GroKo gibt das Geld der Menschen mit vollen Händen aus, statt sich um die Mittelschicht zu kümmern. Wir setzen dem ein Programm mit einer ganzen Reihe an Projekten entgegen, unter anderem: Abschaffung des Soli für alle zum Ende des Jahres 2019, denn das wurde den Menschen versprochen. Abbau der kalten Progression und ein Einkommenssteuertarif auf Rädern, denn Leistung muss sich lohnen. Ein Bekenntnis zu einem starken Finanzplatz Deutschland, der Privatanlegern und Unternehmen alle Leistungen bereitstellt, die sie für Vermögensaufbau, Altersvorsorge und wirtschaftlichen Erfolg benötigen. Und die Wiederherstellung marktwirtschaftlicher Vernunft in der Eurozone, indem Staaten und Banken wieder Verantwortung für ihr Handeln tragen.

Vielen Dank für das Gespräch. (am)


Einen ausführlichen Bericht zu den Positionen der Parteien in wichtigen Fragen der Regulierung, der Finanzpolitik und der Lebensversicherung lesen Sie in Ausgabe 3/2018 von FONDS professionell, die Ende September erscheint.