Juristen hatten sich von der jüngsten aller in Deutschland möglichen Sammelklagen-Varianten echte Schärfe erwartet. Doch nun zeigt sich: Die neue Abhilfeklage, mit der Verbände für die Rechte mutmaßlich geschädigter Verbraucher und Anleger eintreten können, ist eher fad. Das liegt auch daran, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen die Möglichkeiten des europäischen Regelwerks nicht voll ausgeschöpft hat. Die Zukunft des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) wiederum ist ungewiss.

Die Abhilfeklage, auch als Verbandsklage bezeichnet, hat sich im September zu den beiden großen deutschen Instrumenten zur Durchsetzung kollektiver Rechtsansprüche gesellt: das bereits 2005 in Kraft getretene KapMuG und die 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage. Unter den drei Formen von Sammelklagen hat die jüngste zumindest in einem Punkt am meisten Biss. 

Direkt auf Leistung klagen
"Die Abhilfeklage eröffnet Verbänden die Möglichkeit, direkt auf Leistung zu klagen", erklärt Peter Mattil, Inhaber der gleichnamigen Münchner Kanzlei für Bank- und Kapitalmarktrecht. Möglich ist eine Verbandsklage zudem in allen Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Damit fallen auch Kapitalanlegerklagen unter den Anwendungsbereich des neuen Rechtsrahmens, die sich bisher ausschließlich nach dem KapMuG richteten.

"Für Anleger sind das zunächst einmal gute Nachrichten, schließlich können sie nun in nur einem Verfahren Schadenersatz erlangen", sagt Mattil. Sonst kann er der Abhilfeklage nur wenig abgewinnen. Vor allem stößt er sich daran, dass wie bei der Musterfeststellungs- auch bei der Abhilfeklage lediglich qualifizierte Verbände für eine Vielzahl von Verbrauchern in den Ring steigen dürfen. "Damit sind mutmaßlich Geschädigte auch bei der neuen Sammelklage vom Willen der Verbände abhängig", sagt der Experte.

Opt-out-Möglichkeit nicht genutzt 
Für Maximilian Weiss, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Stuttgarter Kanzlei Weisswert, steht ein anderer Kritikpunkt im Vordergrund. "Die EU-Richtlinie erlaubt ein Opt-out-Modell", erklärt er. "Aber der deutsche Gesetzgeber hat sich wie schon bei der Musterfeststellungsklage und dem KapMuG mutlos gezeigt und diese Möglichkeit nicht genutzt", sagt Weiss.

Ein Opt-out-Modell ist für Sammelklagen in den USA kennzeichnend. Dabei wird zunächst eine bestimmte Gruppe von mutmaßlich Geschädigten, die "Class", definiert. Alle Personen und Unternehmen, die unter diese Definition fallen, gehören automatisch zur "Class". Niemand muss sich der Klage extra anschließen, wer nicht dabei sein möchte, kann das Opt-out nutzen.

Scharfes Schwert
Da die Gruppe der mutmaßlich Geschädigten damit sehr groß ausfällt, baut sich enormer Druck auf den Beklagten auf. Ergeht ein Urteil, steht den Geschädigten Schadenersatz zu, ohne dass sie dafür vor Gericht ziehen müssen. Darum machen Beklagte oft üppige Angebote für Vergleiche, von denen alle Geschädigten profitieren. Erst das Opt-out macht die "Class Action" zu einem wirklich scharfen Schwert. 

Wie es mit dem KapMuG weitergehen wird, ist noch nicht ganz klar. "Das Gesetz sollte eigentlich bereits Ende 2020 auslaufen", sagt Robert Peres, Rechtsanwalt in Berlin und Mitbegründer der Initiative Minderheitsaktionäre. Doch nachdem die alte Bundesregierung es bis zum 31. Dezember 2023 verlängert hatte, hat die Ampelkoalition dem KapMuG eine weitere Frist bis Ende August 2024 eingeräumt. Am 28. Dezember 2023 hat das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf zur KapMuG-Reform vorgelegt.

Klagen werden auf Eis gelegt
Anwalt Peres hält bei der Überarbeitung des Gesetzes einen Punkt für sehr wichtig. "KapMuG-Verfahren ziehen sich oft sehr lange hin. Solange sie laufen, haben mutmaßlich Geschädigte, die daran teilnehmen, keine Chance, auszusteigen und zu ihrer Individualklage zurückzukehren", erklärt der Experte. Denn: Nach der Eröffnung eines KapMuG-Verfahrens werden alle anderen Klagen in derselben Sache auf Eis gelegt, neue sind nicht möglich.

"Daher wäre es gut, wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit des Rücktritts von einem KapMuG-Verfahren schaffen würde", findet Peres. Das ist im Referentenentwurf zwar nicht vorgesehen. Wer nicht am Musterverfahren teilnehmen möchte, soll einen Rechtsstreit künftig aber unabhängig als Individualverfahren führen dürfen. "Optimal wäre es, ein Opt-out-Modell nach dem Vorbild der 'Class Action' einzuführen", sagt Rechtsexperte Weiss. "Ich bin aber überzeugt, dass es dazu noch nicht kommen wird", so Weiss. (am)


Den vollständigen Artikel über die neue Abhilfeklage und die Zukunft des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes finden Sie in der aktuellen Ausgabe 4/2023 von FONDS professionell ab Seite 438. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin lesen.