Die Widerstandsfähigkeit der Europäischen Union ist größer, als viele Kritiker meinen. Dies sagte José Manuel Barroso in seinem Eröffnungsvortrag zum FONDS professionell KONGRESS 2019 in Mannheim. Die Staatengemeinschaft sei gestärkt aus den vergangenen Krisen hervorgegangen und heute besser für künftige Verwerfungen gewappnet. Der portugiesische Politiker plädierte dafür, die Errungenschaften der EU wertzuschätzen. Barroso war von 2004 bis 2014 Präsident der EU-Kommission.

In seine Amtszeit fielen auch die globale Finanz- und die europäische Staatsschuldenkrise. Auf diese seien die Institutionen der Gemeinschaft nicht vorbereitet gewesen. "Wir mussten uns die Rettungsboote inmitten des Sturms erst bauen", erinnert sich Barroso. Es hätten damals keine Instrumente zur Stützung angeschlagener Staaten gegeben. "Diese mussten wir in Rekordzeit errichten." Durch den Aufbau des Euro-Rettungsschirms sowie der im Aufbau befindlichen Bankenunion sei nun aber das Rüstzeug geschaffen, um künftige Krisen besser abzuwehren.

Schmerzhafte Heilung
Zudem verwies Barroso, der vor seiner Zeit an der Spitze der EU-Kommission Premierminister von Portugal war, auf die Erfolge der Staatengemeinschaft. Hätte es die Union nicht gegeben, um Staaten wie Griechenland, Spanien, Portugal oder Irland zu stützen, wäre der europäische Binnenmarkt womöglich zerfallen. "Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen wären immens gewesen", warnte Barroso. Zwar sei auch der eingeschlagene Weg aus der Schuldenkrise "sehr schmerzhaft" gewesen. Doch die Peripherie-Länder würden heute wieder ein Wirtschaftswachstum aufweisen – zum Teil ein sehr hohes. Sogar Griechenland erhole sich langsam.

Vor diesem Hintergrund verwies Barroso darauf, die europäische Einigung stets auch im historischen Kontext zu betrachten. Ziel der Union war es, nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden zu stiften. Und gerade die südlichen Mitgliedsstaaten hätten sich dem wirtschaftlichen EU-Standard immer weiter angenähert. "Das wäre ohne einen EU-Beitritt nicht der Fall gewesen", so Barroso.

Die Entscheidungsfindung in der Gemeinschaft sei aber stets mühsam und von Kompromissen zwischen den Nationalstaaten abhängig. "Die EU wird immer eher reagieren denn aktiv voranschreiten", so sein Fazit. "Das ist nun mal die Realität." Dennoch habe es seine Geduld durchaus strapaziert, als die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner seinerzeit in einem 45-minütigen Vortrag erklärte, wie die EU ihre Staatsschuldenkrise lösen solle, verriet Barroso im Mannheimer Kongresszentrum Rosengarten.

Das eigene Haus schlechtgeredet
Den Ausstieg Großbritanniens aus der EU wiederum halte er für "nicht unvermeidbar", sagte der ehemalige Kommissionspräsident. Der Brexit sei auf Fehler, insbesondere britischer Politiker, zurückzuführen. "Wenn 40 Jahre lang die europäische Gemeinschaft auf der Insel schlechtgeredet wird, kann man nicht die Menschen innerhalb von vier Monaten von ihren Vorteilen überzeugen", wetterte der ehemalige Außenpolitiker. Für nationale Regierungen sei es stets bequem, sich Erfolge auf die eigenen Fahnen zu schreiben und Misserfolge auf die EU zu schieben. "Ich weiß das, ich führte selbst eine nationale Regierung", gab das langjährige Mitglied der portugiesischen konservativen Partei PSD offen zu.

Die britische EU-Skepsis sei letztlich destruktiv. "Oder würden Sie das Unternehmen, für das Sie arbeiten oder in das Sie investieren, immer wieder öffentlich verdammen?", fragte Barroso das Publikum. Der Brexit sei sowohl für die EU als auch für Großbritannien selbst zwar ein herber Rückschlag. Dennoch werde das Königreich ein bedeutender Partner für die EU bleiben – und umgekehrt, "auch wenn die Briten das nicht wahrhaben wollen". Der Austritt werde jedenfalls keine Nachahmer finden, zeigte sich der EU-Politiker überzeugt. Die Furcht vor chaotischen wirtschaftlichen Folgen sei schlicht zu groß, eine "Brexit-Panik" habe entsprechende Bewegungen in anderen Ländern gedämpft. Barroso betonte, frei über die Verhältnisse zu sprechen. Er verfolge keine Interessen irgendeiner Institution. Barroso berät seit 2016 die US-Großbank Goldman Sachs – auch in Sachen Brexit.

Vergemeinschaftung von Schulden
Trotz aller Erfolge müsse die EU sich weiterentwickeln, mahnte Barroso schließlich. "Die Arbeit muss zu Ende gebracht werden." Die Bankenunion müssen abgeschlossen sowie eine gemeinsame Finanzpolitik samt der nötigen Ressourcen entworfen werden. "Wir müssen für die nächste Krise gewappnet sein. Und früher oder später wird sie kommen", so Barroso. Zudem müsse eine Vergemeinschaftung von Staatsschulden klar geregelt werden. "Man kann eine Vergemeinschaftung nicht umgehen, wenn man eine Währungsunion haben will." Dafür müsse ein transparenter Weg entwickelt werden. Denn faktisch betreibe die Europäische Zentralbank derzeit eine Vergemeinschaftung von Schulden, in dem sie Anleihen aufkauft.

Gerade mit Blick auf die Machtposition der USA und das immer weiter erstarkende China sei es unentbehrlich, dass die europäischen Staaten enger kooperieren. In der weltweiten Gemengelage habe keiner der EU-Mitgliedstaaten alleine genug Gewicht, um weltpolitisch und weltwirtschaftlich eine bedeutende Rolle spielen zu können, mahnte der ehemalige Politiker zum Schluss. (ert)