Eine Untersuchung der Hochschule Ludwigshafen kommt zu dem Ergebnis, dass sich Anleger unter bestimmten Voraussetzungen die Schwarmintelligenz anderer Investoren zunutze machen können. Am Beispiel der Social-Trading-Plattform Wikifolio.com zeigt sich, dass die verteilte Intelligenz der Aufleger von Wikifolios vor allem dem langfristigen Anleger Nutzen stiften kann.

Die Aufgabe der Praxis bestehe darin, geeignete Finanzprodukte zu entwickeln, damit ein breiter Anlegerkreis angesprochen werden könne und der Vorteil der Schwarmintelligenz zum Tragen komme, schreiben Timo Defren und Gösta Jamin, Professoren an der Hochschule Ludwigshafen, in folgendem Gastbeitrag für FONDS professionell. (bm)


Die Digitalisierung der Finanzbranche ist in vollem Gange. Immer mehr junge Start-ups der Fintech-Branche sind dabei, den Banken durch digitale Finanzdienstleistungen Geschäft abzujagen. Unter den neuartigen Dienstleistungen hat sich das sogenannte Social-Trading in den letzten Jahren als ein Geschäftsmodell etabliert, das zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Beim Social-Trading handelt es sich um eine neue Form der unregulierten Anlageberatung und Vermögensverwaltung, die sich bisher hauptsächlich an den Privatanleger richtet. Hierbei bieten neue Plattformen die Möglichkeit an, Portfolios nachzubilden, die von professionellen Vermögensverwaltern, von Börsenverlagen, aber insbesondere auch von erfahrenen Privatinvestoren gemanagt werden. Auch wenn das investierte Kapital auf diesen Plattformen noch relativ gering ist, kann diese neue Form des Investierens künftig eine Konkurrenz zu klassischen Investmentfonds darstellen und möglicherweise ganz neue Anlagekonzepte schaffen.

Neben der Schaffung von mehr Transparenz hinsichtlich des Anlageprozesses stellt sich die praxisrelevante Frage, inwieweit Anleger auf Social-Trading-Plattformen von der Weisheit der Masse oder auch Schwarmintelligenz profitieren können. Hierunter versteht sich, dass eine große Masse im Durchschnitt fähig ist, bessere Entscheidungen als ein einzelnes Mitglied der Masse zu treffen. Bezogen auf die Weisheit der Masse im Rahmen von Social-Trading heißt dies, dass eine große Gruppe von Portfolios im Durchschnitt ein besseres Ergebnis als diverse Vergleichsindizes erzielt bzw. Anleger im Aggregat in der Lage sind, überlegene Anlagestrategien zu identifizieren.

Bei Anlegern dominiert das Herdenverhalten
Dem aus der sozialwissenschaftlichen Forschung stammenden Phänomen der Schwarmintelligenz widmet sich eine an der Hochschule Ludwigshafen durchgeführte Untersuchung am Beispiel der Social-Trading-Plattform Wikifolio.com. Im Hinblick auf die Analyse der Weisheit der Masse im Rahmen von Social-Trading lassen sich zwei Gruppen unterscheiden.

Zum einen handelt es sich um die Gruppe der Signalfolger (Anleger in Wikifolios), die verschiedene Handelsstrategien über den Kauf von Zertifikaten direkt nachbilden können. Schwarmintelligenz läge bei Signalfolgern dann vor, wenn diese im Durchschnitt in der Lage wären, systematisch die erfolgreichsten Einzelstrategien zu identifizieren.

Zum anderen gibt es die Gruppe der Signalgeber (Verwalter der Wikifolios), die ihre Anlagestrategien direkt über ein Musterportfolio anbieten können. Von Schwarmintelligenz könnte man bei Signalgebern dann ausgehen, wenn die durchschnittliche Anlageperformance der angebotenen Anlagestrategien besser wäre als die eines geeigneten Vergleichsindexes oder die von professionell verwalteten Anlageportfolios.

Damit die Weisheit der Masse überhaupt vorliegen kann, müssen grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein. Bezogen auf die Gruppe der Signalfolger scheint das Vorliegen der Schwarmintelligenz bereits an der Voraussetzung der Unabhängigkeit der Mitglieder zu scheitern. So müssten Anleger ihre Anlageentscheidungen idealerweise vollständig unabhängig und losgelöst von beeinflussenden Faktoren treffen. Es zeigt sich jedoch, dass die Auswahl überwiegend auf Basis von historischen Renditen erfolgt und damit eher ein Fall von Herdenverhalten der Anleger vorliegt.

Anders sieht das Bild in Bezug auf die Gruppe der Signalgeber aus. Im Wesentlichen sind die zentralen Voraussetzungen für das Vorliegen von Schwarmintelligenz erfüllt. Insbesondere treffen die einzelnen Wikifolio-Verwalter ihre eigenen Anlageentscheidungen selbst und werden größtenteils in ihrem Handeln nicht von einer Institution beeinflusst. Zudem liegen sehr viele verschiedenartige Anlagestrategien vor, die eine hohe Vielfalt unter den Verwaltern mit unterschiedlichem persönlichem und beruflichem Hintergrund sowie die Auswertung unterschiedlicher Informationsquellen vermuten lassen.

Die Studie bejaht daher das Vorliegen der Weisheit der Masse bei der Gruppe der Signalgeber und kommt zum Schluss, dass sich vor allem langfristig eine durchschnittliche Outperformance der Wikifolios gegenüber Vergleichsindizes erzielen lassen kann. Auch wenn die bisherigen Ergebnisse darauf hindeuten, dass die Masse zu einem überlegenen Anlageergebnis kommen kann, sind auf Grund der zeitlich begrenzten Existenz von Social Trading weitere Untersuchungen zu dieser Fragestellung erforderlich.

Wie sollten Social-Trading-basierte Anlageprodukte aussehen?
Die Ergebnisse der Untersuchung besitzen im Zeitalter der Digitalisierung eine hohe Relevanz nicht nur für Kapitalanleger, sondern auch für Finanzdienstleister im Hinblick auf die Entwicklung von Social-Trading-basierten Anlageprodukten mit folgenden praktischen Implikationen:

  • Damit Anleger von der Weisheit der Masse profitieren können, müssen spezifische Anlageprodukte geschaffen werden. Denkbar ist die Auflegung von sogenannten Dach-Portfolios, die sämtliche Einzelanlagen bündeln und es Anlegern ermöglichen, in ein „durchschnittliches Portfolio“ zu investieren, das vergleichbar einer passiven Anlage in ein Indexzertifikat wäre. Technisch sind Social-Trading-Plattformen zwar bereits heute in der Lage, Dach-Portfolios aufzulegen, allerdings erfüllen diese derzeit noch nicht die zentralen Anforderungen, um von der Weisheit der Masse profitieren zu können.
     
  • Die in das Dach-Portfolio eingehenden Einzelanlagen lassen sich entweder volumen- oder gleichgewichten. Für eine Gleichgewichtung spricht, dass dabei der Gedanke der Weisheit der Masse stärker zum Tragen kommt und zudem extreme Ausreißer des verwalteten Vermögens weniger stark ins Gewicht fallen würden.
     
  • Um verschiedene  Anlagestrategien und Risikopräferenzen abzubilden, ist eine Differenzierung der Dach-Portfolios zu empfehlen. So wäre eine Kategorisierung nach Regionen (z.B. Europa oder USA), nach Anlageklassen (z.B. Aktien oder Anleihen) und nach Anlagedauer (z.B. kurzfristiges Trading oder langfristiges Investieren) möglich. Die Entwicklung von geeigneten Filterkriterien und -mechanismen ist für eine effiziente Auswahl des Anlegers allerdings erforderlich.
     
  • Das Gebührenmodell eines Dach-Portfolios muss sicherstellen, dass die Gesamthöhe der Gebühren deutlich unter denen aktiv verwalteter Produkte liegt, damit kostenseitig weiterhin ein signifikanter Wettbewerbsvorteil besteht.
     
  • Zu klären ist das Thema der Insolvenzsicherung, da es sich bei Social-Trading-basierten Produkten meist um Zertifikate handelt, die nicht insolvenzgesichert sind. Als Minimum ist eine ausführliche Aufklärung der Anleger notwendig. Wünschenswert wären weitergehende Lösungen.
     

Zusammenfassend bieten die skizzierten Anlageprodukte die Chance, einen breiten Anlegerkreis anzusprechen. Vor allem könnten auch diejenigen Anleger von der verteilten Intelligenz der Aufleger von Social-Trading-Portfolios profitieren, die bisher keinen aktiven Zugang zum Kapitalmarkt finden, jedoch über große Anlagesummen verfügen, die es in der aktuellen Niedrigzinsphase anzulegen gilt.


Prof. Dr. Timo Defren ist Professor für Kapitalmarkttheorie und Corporate Finance an der Hochschule Ludwigshafen und Berater bei CF Advisors in München. Zuvor war er bei einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig. Seine Schwerpunkte lagen im Bereich der Financial Due Diligence, Unternehmensbewertung und Wirtschaftsprüfung (E-Mail: timo.defren@hs-lu.de).

Prof. Dr. Gösta Jamin ist Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der Hochschule Ludwigshafen und Senior Advisor bei Conmendo in Königstein. Zuvor war er Berater bei einer internationalen Strategieberatung und Führungskraft bei einer deutschen Großbank. Seine Forschungs- und Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich Geschäftsstrategien von Finanzdienstleistern (E-Mail: goesta.jamin@hs-lu.de).