Wer A sagt, muss auch B sagen. Der Satz gilt insbesondere in Rechtsfragen. Daher ist es nur folgerichtig, dass das vom Bundesgerichtshof bestätigte ewige Widerrufsrecht bei Lebens- oder Rentenpolicen häufig auch bei Verträgen der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) gilt. Grundlage ist Paragraf 5a Versicherungsvertragsgesetz (VVG): Dieser richtet sich grundsätzlich an alle Versicherungsnehmer, also auch Einzelfirmen wie GbR, OHG, GmbH & Co.KG. Gerade im Mittelstand sind versicherungsförmige bAV-Lösungen mit Widerrufsmöglichkeit weit verbreitet, stellen Rechtsanwalt Johannes Fiala und Aktuar Peter Schramm in einem Exklusiv-Beitrag für FONDS professionell ONLINE fest, den Sie im Anschluss im Original nachlesen können:


Der Widerruf ist bei Lebensversicherungen ewig lange möglich. Im Schwerpunkt können hiervon um die 40 Prozent der Lebens- und Rentenversicherungen allein aus den Jahren 1995 bis 2007 betroffen sein. Dies beruht auf Urteilen des Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 19.12.2013, Az. C-209/12) sowie des Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 19.11.2014, Az. IV ZR 329/14). Der Widerruf ist sehr häufig auch bei Versicherungen in der betrieblichen Altersversorgung (bAV) möglich. Der Widerruf führt zu sofortigen Zahlungsansprüchen für Arbeitgeber, aber auch bisweilen bei Arbeitnehmern und ihren Gläubigern.

Fehlerhafte Vertragsunterlagen
Betroffen sind insbesondere solche Versicherungsverträge, bei denen der Versicherungsnehmer keine vollständigen Vertragsunterlagen erhalten hat – oder bei denen die Belehrung über das Widerspruchsrecht fehlerhaft formuliert, unvollständig, undeutlich war oder komplett fehlte. Dabei muss der Versicherer den Zugang beweisen – alleine daran scheitert er oft. Bei vor dem 01.01.2008 abgeschlossenen Sachversicherungsverträgen ist das Widerrufsrecht bereits nach einem Jahr erloschen – bei Lebensversicherungen jedoch gerade nicht. Pensionskassen sind hiervon nicht betroffen.

Widerrufsrecht betrifft auch Arbeitgeber
Das Widerrufsrecht gemäß § 5a VVG alte Fassung (a.F. bis 2007) gilt auch für Nicht-Verbraucher. Die Verbraucherinformationen sind gemäß § 10a VAG (a.F.) an alle natürliche Personen zu geben, was auch einen großen Teil der Nicht-Verbraucher umfasst. In § 5a VVG sind aber auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) erwähnt, und § 5a VVG richtet sich grundsätzlich an alle Versicherungsnehmer – also etwa auch Einzelfirmen, GbR, OHG, GmbH & Co.KG. Gerade im Mittelstand überwiegen betroffene Gestaltungen der bAV über versicherungsförmige Lösungen mit solcher Widerrufsmöglichkeit.

Nachdem massenweise ein Widerrufsrecht besteht, kann ein Arbeitgeber auch heute noch den abgeschlossenen Lebensversicherungen sowohl bei Rückdeckung (für Pensionszusagen beziehungsweise Direktzusage) wie bei sonstiger bAV (wie Direktversicherungen und Entgeltumwandlung) widersprechen und die Verträge rückabwickeln. Diese Gestaltungsmöglichkeit haben auch Insolvenzverwalter sowie Gläubiger bei vollständiger Pfändung auch aller Nebenrechte. Betroffen sind auch bereits beendete, abgelaufene, nicht nur wegen früherer Pfändung bereits gekündigte und rückgekaufte, und bereits in der Rentenphase befindliche Verträge, denn dies hindert den späteren Widerruf nicht.

Wirtschaftlicher Vorteil durch Widerruf
Mit dem Widerruf wäre auch allen sonstigen Vereinbarungen wie Bezugsrechten, Verpfändungen und Abtretungen der vertraglichen Versicherungsleistungen zunächst der Boden entzogen. Zumindest, wenn diese sich auf die Versicherungsleistungen oder Rückkaufsleistungen beziehen, denn diese liegen ja bei Widerruf und Rückabwicklung gar nicht (mehr) vor. Also geht der Arbeitnehmer gegebenenfalls zunächst leer aus, und der Arbeitgeber oder Insolvenzverwalter erhält alles. Der Mitarbeiter wird jedoch manchmal einen Schadensersatz geltend machen wollen – beispielsweise, wenn der Widerruf gegen den Arbeitsvertrag oder die bAV-Zusage verstößt. Gleichwohl wird die Leistung des Versicherers an den Arbeitgeber nach einem Widerruf regelmäßig deutlich höher sein, als der Schaden des Mitarbeiters.

Das gilt auch, wenn der Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausgeschieden ist oder eine Rente zum Beispiel aus einer Direktversicherung oder Entgeltumwandlung bezieht. Diese endet dann halt bei Widerruf. Gegebenenfalls muss sich der Arbeitgeber die vom Versicherer gezahlten Beträge anrechnen lassen. Dies gilt ebenso, wenn der Versicherer die Direktversicherung bereits als Kapitalabfindung an den Arbeitnehmer ausgezahlt hat. Auch in diesem Fall kann ein Aktuar berechnen, mit welcher Nachzahlung des Versicherers nach Widerruf – bei Anrechnung der vollen Leistung an den Arbeitnehmer– noch als weitere Widerrufsleistung an den Arbeitgeber zu erwarten ist. Ebenso, wenn der Vertrag gekündigt wurde und ein eventueller Rückkaufswert ausgezahlt wurde. Gläubiger und Insolvenzverwalter können sich bei bereits verwerteten Lebensversicherungen durch Widerruf einen nicht selten noch höheren Nachschlag holen.

Widerruf nach Übertragung der Direktversicherung auf Ex-Mitarbeiter?
Sollte der Arbeitnehmer später Versicherungsnehmer geworden sein, fragt es sich, bei wem das Widerrufsrecht liegt. Bei einer Abtretung durch den Arbeitgeber an den Mitarbeiter als neuen Versicherungsnehmer (zum Beispiel für die private Weiterführung und Vertragseinzahlung) werden nur einzelne Forderungen übertragen. So beispielsweise der vertragliche Auszahlungsanspruch, wozu aber der Zahlungsanspruch nach Widerruf gerade nicht zählt. Wenn nichts anderes ausdrücklich vereinbart ist, bleiben die sogenannten Nebenrechte (also Gestaltungsrechte wie Kündigung, Anfechtung, Widerruf, Kündigung Widerspruch) als vertragsbezogene Gestaltungsrechte beim ursprünglichen Versicherungsnehmer: Dies gilt regelmäßig auch für den Fall, dass dem Mitarbeiter ein Bezugs- oder ein Pfandrecht eingeräumt wurde. Es gehen dann nur die Sicherungs- und Vorzugsrechte über (§ 401 BGB).

Selten wird vereinbart werden, dass nicht einzelne Forderungen, sondern das ganze Schuldverhältnis im weitesten Sinne auf den Arbeitnehmer übergeht. Beim kompletten Übergang des Schuldverhältnisses (Vertragsübernahme), erhält der (ehemalige) Arbeitnehmer auch die Gestaltungsrechte mitgegeben, was generell dann auch die Rechtsansprüche nach Widerruf umfassst (Parteiauswechselung). Dies bedarf der Vertragsauslegung und -prüfung im Einzelfall (§§ 133, 157 BGB), denn bei den üblichen Formularen zum Versicherungsnehmerwechsel werden verschiedene vertragliche Rechtsansprüche übertragen – die gesetzlichen nach Widerruf oder Widerspruch jedoch regelmäßig nicht ausdrücklich zusätzlich, weil daran der Formulargestalter beim Versicherer gar nicht erst gedacht hatte. So können denn Arbeitgeber, Gläubiger oder Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer vor oder nach Rentenbeginn um seine bAV bringen.

Verwertung des Widerrufsrechts
Aufkäufer gebrauchter Lebensversicherungen lassen sich häufig tatsächlich alle Rechte übertragen, um später das Widerrufsrecht auszuüben. In der Kaufphase vor zum Beispiel zehn Jahren war der Verkäufer bis zur Abwicklung des Kaufs und Übergangs der Versicherungsnehmer-Eigenschaft in allem weisungsgebundener Treuhänder. Auch wenn der Aufkäufer eine juristische Person ist, kann er sich sogar darauf berufen, das der alte Versicherungsnehmer als natürliche Person die Verbraucherinformation nicht erhalten hat. Auf nicht erhaltene Verbraucherinformationen oder unrichtige beziehungsweise unterbliebene Widerrufsbelehrungen kann er sich ohnehin auch dann berufen, wenn der alte Versicherungsnehmer eine juristische Person war.

Dies ist aber von dem Übergang der Versicherungsnehmer-Eigenschaft vom Arbeitgeber auf den (ausgeschiedenen) Arbeitnehmer zu unterscheiden, wo unter Umständen die Widerrufsrechte beim alten Versicherungsnehmer (also dem Arbeitgeber) verbleiben. Zudem hat ein Übergang des Versicherungsnehmers oft gar nicht stattgefunden, und der Arbeitgeber ist weiter Versicherungsnehmer. Aber auch dort, wo der jetzige Arbeitnehmer bereits als Versicherungsnehmer das Widerrufsrecht ausüben könnte, wird dies oft interessant sein. Vorausgesetzt, er bekommt auch das Geld. Andernfalls müsste er sich mit seinem ehemaligen Arbeitsgeber einigen. Bei Rückdeckungen von Versorgungen für Gesellschafter-Geschäftsführer (GGF) stellt sich dieses Problem aber gar nicht.

Notwendigkeit sachkundiger Berechnung
Rückabwicklungen müssen finanzmathematisch berechnet und juristisch sowie steuerlich geprüft werden. Es können sich aber sozialversicherungsrechtlich wie auch lohnsteuerlich große Vorteile ergeben, weil bei Rückabwicklung nur gegebenenfalls eine (später anrechenbare) Kapitalertragsteuer zu zahlen ist, und Sozialabgaben teilweise ganz entfallen – so etwa die Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge bei einer bAV-Abfindung (LSG Baden-Württemberg, 24.03.2015, Az. L 11 R 1130/14). Für Personen mit zur Auszahlung anstehenden Direktversicherungen wäre dies ein aktueller Anlass, um über eine legale Umgehung der Steuer- und Sozialabgabepflicht nachzudenken. So kann sogar bei ausgezahlten Direktversicherungen eine Rückabwicklung nach Widerruf dazu führen, dass die Lohnsteuer- und Sozialabgabepflicht auf zehn Jahre entfällt.

Abschließend sind noch zwei Hinweise in diesem Zusammenhang wichtig: Wer widerruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlich gezogenen Nutzungen des Versicherer (BGH, Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 513/14). Offen bleibt bisher, ob es gegen EU-Recht (das sogenannte Effektivitätsgebot) verstößt, wenn mehr als minimale Investmentfonds-Verluste dem Versicherer als negative Nutzungen gutgeschrieben würden. Dies gilt auch sinngemäß für Lebensversicherungen-Verträge seit 01.01.2008, denn der heutige § 152 VVG hebelt die Nutzungsentschädigung des § 818 III BGB aus, weil der Versicherungsnehmer bei Widerruf nach einem Jahr nicht mehr bekommt als bei einer Kündigung und Rückkauf.

Selbst Erben – auch des Arbeitgebers – können gemäß § 1922 BGB daran denken, beispielsweise zur Aufbesserung einer Witwen- und Waisenversorgung, noch immer ein ewiges Widerrufsrecht für sich zu nutzen. Andere Begünstigte – auch mit bereits laufenden Renten - gehen dann für die Zukunft leer aus. (jb/ps)