Der US-amerikanische Ökonom Nouriel Roubini ist Professor an der zur New York University gehörenden "Stern School of Business" und Gründer und Vorsitzender von "Roubini Global Economics", einem Anbieter für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsinformationen. Vor seiner Tätigkeit als Professor war er Berater des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten. Lesen Sie im Anschluss seinen Original-Kommentar.


Die Frage, die mir dieser Tage am häufigsten gestellt wird, lautet: Sind wir wieder im Jahr 2008 und stehen vor einer neuen globalen Finanzkrise und Rezession?

Meine Antwort darauf ist ein eindeutiges "Nein", doch die jüngste Episode globaler Turbulenzen an den Finanzmärkten dürfte gravierender sein als jede Phase der Schwankungsanfälligkeit und Risikoaversion seit 2009. Der Grund ist, dass es im Gegensatz zu Einzelfaktoren, die die Schwankungen in den letzten Jahren angeheizt haben – der Krise in der Eurozone, dem „Taper Tantrum“ der US Federal Reserve, dem möglichen Austritts Griechenlands aus der Eurozone und einer harten wirtschaftlichen Landung in China –, derzeit mindestens sieben Quellen globaler Extremrisiken gibt.

Erstens sind die Befürchtungen über eine harte Landung in China und deren wahrscheinliche Auswirkungen auf den Aktienmarkt und den Wert des Renminbi mit Wucht zurückgekehrt. Auch wenn China eher eine holperige als eine harte Landung erleben dürfte, müssen sich die durch den aktuellen Wachstumsabschwung und die anhaltende Kapitalflucht bedingten Sorgen der Anleger erst noch beruhigen.

Zweitens stecken die Schwellenmärkte in ernsten Schwierigkeiten. Sie sehen sich weltweitem Gegenwind ausgesetzt (durch den Abschwung in China, das Ende des Rohstoff-Superzyklus und die Abkehr der Fed von der Nullzinspolitik). Viele weisen gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte wie etwa gleichzeitige Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite auf und haben mit steigender Inflation und einem sich verlangsamenden Wachstum zu kämpfen. Die meisten haben bisher keine Strukturreformen eingeleitet, um das nachlassende potenzielle Wachstum anzukurbeln. Und die Schwäche ihrer Währungen erhöht den Realwert der billionenschweren Schulden, die sie im vergangenen Jahrzehnt angehäuft haben.

Drittens war der Ausstieg der Fed aus der Nullzinspolitik im Dezember vermutlich ein Fehler. Schwächeres Wachstum, niedrigere Inflation (aufgrund eines weiteren Rückgangs der Ölpreise) und eine angespanntere Finanzlage (aufgrund des stärkeren Dollars, der Korrektur am Aktienmarkt und höherer Bonitätsabschläge) bedrohen jetzt die Wachstums- und Inflationserwartungen in den USA.

Viertens kochen nun viele bisher nur simmernde geopolitische Risiken hoch. Die vielleicht unmittelbarste Quelle der Unsicherheit ist die Aussicht auf einen langfristigen Kalten Krieg – punktiert von Stellvertreterkonflikten – zwischen den Regionalmächten des Nahen Ostens, insbesondere dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran.

Fünftens löst der Rückgang der Ölpreise Kursstürze bei US-amerikanischen und globalen Aktien sowie hohe Bonitätsabschläge aus. Dies könnte nun eine schwache globale Nachfrage – statt eines steigenden Angebots – signalisieren, bei sich verlangsamendem Wachstum in China, den Schwellenmärkten und den USA.

Die schwachen Ölpreise schaden zugleich den Energieproduzenten in den USA, die einen Großteil des US-Aktienmarktes ausmachen, und setzen die netto Energie exportierenden Volkswirtschaften, ihre Staaten, staatseigenen Unternehmen und Energiekonzerne Kreditverlusten und potenziellen Zahlungsausfällen aus. Angesichts der Tatsache, dass die Market Maker durch Regulierungsvorgaben in ihrer Fähigkeit beschränkt werden, Liquidität zur Verfügung zu stellen und Marktschwankungen abzufedern, wird, was die Preiskorrekturen bei riskanten Anlagen angeht, jede neue grundlegende Erschütterung gravierender als die vorhergehende.

Sechstens leiden die globalen Banken unter den durch die seit 2008 geschaffenen neuen Regeln bedingten niedrigeren Renditen, dem Aufkommen von Finanztechnologien, die ihre schon jetzt in Frage stehenden Geschäftsmodelle zu stören drohen, dem wachsenden Einsatz negativer Leitzinsen, zunehmenden Kreditausfällen bei problematischen Anlagewerten (Energiewerten, Rohstoffen, Schwellenmarktpapieren, Anleihen anfälliger europäischer Unternehmen) und dem europäischen Trend, Bankengläubiger an Verlusten zu beteiligen, statt sie mit nun beschränkten Staatshilfen zu retten.

Und schließlich könnten die Europäische Union und die Eurozone in diesem Jahr zum Epizentrum globaler Finanzturbulenzen werden. Die europäischen Banken stehen vor großen Herausforderungen. Die Migrationskrise könnte das Ende des Schengen-Übereinkommens nach sich ziehen und (zusammen mit anderen innenpolitischen Problemen) in Deutschland das Ende der Regierung Merkel einläuten.

Zudem wird ein Austritt Großbritanniens aus der EU immer wahrscheinlicher. Und angesichts der Tatsache, dass die griechische Regierung und ihre Gläubiger einmal mehr auf Kollisionskurs sind, könnte auch das Risiko eines Grexit zurückkehren. Linke und rechte populistische Parteien gewinnen europaweit an Stärke. Europa läuft daher zunehmend Gefahr, auseinanderzufallen. Und dann sind da die Unsicherheiten in seiner Nachbarschaft: Nicht nur im Nahen Osten herrscht Krieg, sondern auch – trotz wiederholter Versuche der EU, einen Frieden zu vermitteln – in der Ukraine, während an Europas Grenzen vom Baltikum bis zum Balkan die russische Aggressivität wächst.

In der Vergangenheit traten derartige Extremrisiken eher gelegentlich auf; Paniken wegen möglicher Wachstumseinbrüche erwiesen sich als genau das, und die politischen Reaktionen waren kraftvoll und wirksam, hielten daher Phasen der Risikoaversion kurz und sorgten dafür, dass die Vermögenspreise ihre früheren Höchststände wieder erreichten (oder sogar noch überstiegen). Heute haben wir es mit sieben Quellen potenzieller globaler Extremrisiken zu tun, und die Weltwirtschaft bewegt sich von einer blutleeren Expansion (positives Wachstum, das sich beschleunigt) auf einen Abschwung (positives Wachstum, das sich verlangsamt) zu, was zu einem weiteren Rückgang der Preise riskanter Anlagen (Aktien, Rohstoffe, Anleihen) weltweit führen wird.

Zugleich geht den Politiken, die den Teufelskreis zwischen Realwirtschaft und riskanten Anlagen gestoppt und umgekehrt haben, die Puste aus. Der Policy-Mix ist aufgrund des übermäßigen Verlasses auf die Geldpolitik statt der Fiskalpolitik suboptimal. Tatsächlich wird die Geldpolitik immer „unkonventioneller“, was sich im Schritt mehrerer Zentralbanken hin zu negativen Realzinsen widerspiegelt; und diese unkonventionelle Politik läuft Gefahr, mehr Schaden als Nutzen zu bewirken, denn sie mindert die Rentabilität der Banken und anderer Finanzunternehmen.

Nach zwei trostlosen Monaten für die Finanzmärkte könnte es im März zu einer Erholungsrally bei Vermögenswerten wie den globalen Aktien kommen, da einige wichtige Zentralbanken (die chinesische Volksbank, die Europäische Zentralbank und die Bank von Japan) die Geldpolitik weiter lockern, während andere (die Fed und die Bank von England) an den bestehenden Zinssätzen festhalten werden. Doch wiederholte Ausbrüche einiger der sieben Quellen globaler Extremrisiken werden den weiteren Jahresverlauf – anders als die letzten sieben Jahre – zu einem schlechten Jahr für risikobehaftete Anlagen machen und lediglich zu einem blutleeren weltweiten Wachstum führen. (mb)

© Project Syndicate, www.project-syndicate.org