Bleibt Deutschland trotz oder gar wegen der massiven Zuwanderung ein attraktiver Investitionsstandort? Oder ist die Bundesrepublik auf dem besten Wege, sich ihre Zukunft selbst zu verbauen, wie es Thilo Sarrazin unter anderem in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" beschrieben hat. Darüber diskutierten der Bestseller-Autor und ehemalige Finanzsenator von Berlin Sarrazin und Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), unter der Leitung von Finanz- und Wirtschaftsmoderatorin Sissi Hajtmanek auf dem Podium beim FONDS professionell KONGRESS in Mannheim.

"Die deutsche Wirtschaft ist zuletzt real um ein Prozent gewachsen, klar ist, dass das Wachstum stärker ausfällt, wenn mehr Menschen einwandern", sagte Sarrazin. Dies bedeute jedoch nicht, dass auch mehr Wohlstand geschaffen werde. "Wohlstand bedeutet, dass für die Bürger pro Kopf mehr übrig bleibt", erklärte der Buchautor. Das könne nur dann geschehen, wenn Menschen nach Deutschland kämen, die mindestens genauso produktiv sind wie die Bundesbürger. "Seit Jahrzehnten wandern aber vor allem gering qualifizierte Menschen nach Deutschland ein, die hohe Kosten verursachen", erklärte Sarrazin. Die letzte Zuwanderungswelle habe die bereits bestehende Situation weiter verschärft.

Zunehmender Pessimismus
Es mache ihm Sorgen, dass in Deutschland in jüngster Zeit zunehmend Pessimismus wahrzunehmen sei, entgegnete Fratzscher. Zwar sei das Wachstum vor einem Jahr mit 2,2 bis 2,5 Prozent noch höher ausgefallen. Die deutsche Wirtschaft sei jedoch stabil, die Arbeitslosenzahl habe sich mit 2,2 Millionen im Vergleich zu fünf Millionen im Jahr 2005 mehr als halbiert. Die Bundesrepublik habe Schlüsselpositionen, etwa im Automobil- und Maschinenbau, weiter ausbauen können und 2017 einen Haushaltsüberschuss von über 60 Milliarden Euro erzielt. "Von den fünf Millionen Menschen, die in den vergangen 15 Jahren eingewandert sind, sind sehr viele in Arbeit und voll integriert", erklärte der Ökonom. "Ohne sie wäre das Wachstum, wie wir es verzeichnet haben, nicht möglich gewesen", konstatierte er.

Natürlich sei klar, dass hochqualifizierte Kräfte wie IT-Spezialisten aus Indien zu Wachstum und Wohlstand beitragen, erwiderte Sarrazin. "Die Art der Zuwanderung, die wir derzeit haben, macht uns aber ärmer", erklärte er. Nach Eckwerten der Bundesagentur für Arbeit seien von den 1,9 Millionen Flüchtlingsmigranten, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, 85 Prozent ohne Job. In Summe verursachten sie eine jährliche Belastung von 50 bis 70 Milliarden Euro.

"Zuwanderung trägt zur Teamleistung bei"
Dies sei nicht korrekt, widersprach Fratzscher. Erhebungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hätten gezeigt, dass 35 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland in Arbeit oder Ausbildung sind. In der Tat übten viele von ihnen gering bezahlte Jobs aus, zahlten daher wenig Steuern und erhielten zusätzliche Sozialleistungen. "Man muss aber sehen, dass Migranten, die etwa in der Altenpflege tätig sind, deutschen Arbeitnehmern den Rücken freihalten, sodass diese hoch bezahlte Jobs ausüben können", sagt Fratzscher. "Ohne sie müssten wir uns um die Pflege selbst kümmern." Zuwanderung, gleichgültig aus welchen Ländern, sei gut, denn sie trage in Deutschland zur Teamleistung bei.

Deutschland brauche ein Zuwanderungsgesetz, dass es erlaube, "Nein" zu sagen, forderte Sarrazin. Aktuell sei die Situation so, als wenn vor einer Diskothek ein Türsteher die Leute abweise, die nicht dazu geeignet sind, die Stimmung zu verbessern, gleichzeitig aber der Hintereingang für jeden geöffnet werde. 95 Prozent aller Menschen, die in Deutschland Asyl beantragten, dürften unbegrenzt bleiben. Für jeden Migranten, der sich nicht integriere, fielen im Jahr 30.000 Euro an Sozialleistungen an. Das trage gewiss nicht zu einem höheren Haushaltsüberschuss, zu mehr Wachstum und Wohlstand bei. Daher müsse sich dringend etwas ändern. "Wenn ein syrischer Mann mit fünf Kindern in der Bundesrepublik Sozialleistungen von 3.000 Euro pro Monat bekommen kann, dann ist doch klar, was er sich denkt", sagte Sarrazin. "Nämlich: 'Auf nach Deutschland!'".

"Geistige Brandstiftung"
"Was Sie da betreiben, Herr Sarrazin, ist geistige Brandstiftung", machte Fratzscher deutlich. "Sie schildern einen Fall und setzen ihn mit allen Menschen gleich." Es sei erwiesen, dass die Mehrheit der Flüchtlinge eben nicht nach Deutschland komme, um Sozialleistungen einzustreichen. "Sie kommen vielmehr, weil sie keine Alternative haben", sagte Fratzscher. Es sei nicht korrekt, wie Sarrazin von "falscher Zuwanderung" zu sprechen. Die Rede könne nur von "falscher Integration" sein. Die Mehrheit der Flüchtlinge werde sich integrieren.

In einem Punkt waren sich Fratzscher und Sarrazin einig: Deutschland werde auch künftig ein attraktiver Investitionsstandort bleiben. Allerdings nannten sie dafür unterschiedliche Gründe: "Eine Wirtschaft kann sich auch unabhängig vom Schicksal der Menschen im Land positiv entwickeln, Unternehmen können trotz Einwanderung erfolgreich sein", sagte Sarrazin. "Nur wenn die Integration gelingt, wird Deutschland als Investitionsstandort attraktiv bleiben", erklärte Fratzscher. Und die Integration werde gelingen, zeigte er sich überzeugt. (am)