Die Politik in Berlin und Brüssel macht weiter Druck auf die Vermittlerbranche. Die Auswirkungen des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) sind noch lange nicht klar. Dennoch verdeutlichen die Gesetzgeber in den andauernden Diskussionen um die europäischen Richtlinien für Wertpapiere (Mifid II) und den Versicherungsvertrieb (IDD), dass ein noch tiefgreifenderer Wandel des Vertriebsmarktes das Ziel ist. Hier ist vor allem die mögliche Einführung eines Provisionsverbotes zu nennen. Christian Mylius, Managing Partner und Leiter Insurance Practice der Unternehmensberatung Innovalue, schaut daher im folgenden Originalbeitrag auf die Erfahrungen, die andere Länder – nicht nur Großbritannien und die Niederlande – mit Regulierungen der Vertriebskanäle gemacht haben.

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"Gerne ziehen Verbraucherschützer und Politiker die Niederlande, Großbritannien oder skandinavische Länder wie Schweden und Finnland als gelungene Beispiele heran, weil in diesen Ländern bereits ein umfassendes Provisionsverbot bei Geldanlagen gilt. Unbestreitbar hat ein Provisionsverbot erheblichen Einfluss auf die Zahl der Berater. In Großbritannien kommen auf 1000 Einwohner durchschnittlich 0,5 Vermittler, in den Niederlanden 0,6. In Deutschland dagegen sind es noch rund drei Vermittler je 1.000 Einwohner. Einsparpotenziale scheinen möglich und sinnvoll. Aber ist dies im Sinne der Kunden? Ein genauerer Blick ins Ausland ergibt ein differenziertes Bild.

Englische Marktbeobachter bestätigen, dass die Beratung objektiver geworden sei, Verkaufsskandale als Folge provisionsmotivierter Beratung bleiben aus. Aber auch die von Vermittlern angeführten negativen Auswirkungen treten ein: Viele Menschen erhalten schlicht keine Beratung mehr, weil sie nicht bereit sind, dafür unabhängig vom Ergebnis zu zahlen. So gibt es entweder einfache Produkte direkt über das Internet oder persönliche Beratung für Wohlhabende. Die für eine individuell angemessene Altersvorsorge angemessene Beratung findet in breiten Bevölkerungsteilen schlicht nicht mehr statt. Die Regierung versucht nun mit neuen Maßnahmen gegenzulenken, deren Kosten von Versicherungen und Banken getragen werden sollen – und am Ende doch wieder an die Kunden weitergereicht werden. Im Ergebnis wurde den Schwächen marktwirtschaftlicher Konzepte nicht mit besseren Regelungen, sondern mit einer Austrocknung des Marktes begegnet. Nun droht die Unterversorgung.

Auch in den Niederlanden hat der Gesetzgeber auf eine Häufung von Fehlberatungsskandalen reagiert. Seit Anfang 2013 besteht ein generelles Provisionsverbot für alle komplexen Produkte, im Bereich fondsgebundener LV durch unabhängige Berater sogar seit 2008. Seit 2011 darf die Abschlussprovision nur noch maximal 50 Prozent der Courtage ausmachen, die Vermittlervergütung wird bereits seit 2009 offengelegt. Die Skandale der Vergangenheit scheinen nun nicht mehr möglich, jedoch fällt auf, dass der Gesetzgeber mehrfach nachbessern musste. Eine generelle Unterversorgung lässt sich – auch dank des im Vergleich zu Großbritannien relativ ausgeprägten staatlichen Rentensystems – derzeit aber nicht konstatieren.

Finnland und Schweden: Beispiele für Selbstregulierung der Branche
Großbritannien und die Niederlande stehen für massive Eingriffe, deren Auswirkungen auf die Versorgung der Kunden zunächst falsch eingeschätzt wurden, weshalb der Gesetzgeber mehrfach nachbessern musste. Schweden und Finnland stehen für einen anderen Weg. Hier hat die Branche mit eigenen wirkungsvollen Vorschlägen die Regulierung angestoßen und konstruktiv begleitet (Finnland), oder sogar durch freiwillige Maßnahmen der Branche selbst ein Eingreifen des Gesetzgebers in den letzten Jahren verhindert (Schweden). Beide Länder verzeichneten im Zeitraum zwischen 2007 und 2011 jährlich eine Steigerung der Bruttobeitragseinnahmen (FI: +5,1%, SE: 7,3% durchschnittliche BBE-Steigerung p.a.), im Gegensatz zu durchschnittlichen Rückgängen von 15,6 Prozent in Großbritannien und 4,6 Prozent in den Niederlanden im gleichen Zeitraum. Neben der staatlichen Rente spielt in beiden Ländern das Firmen- und Belegschaftsgeschäft eine sehr wichtige Rolle. In Finnland ist der Markt auf wenige Anbieter mit starken Ausschließlichkeitsorganisationen konzentriert, was die Auswirkungen neuer Regelungen für Vermittler auf die Versorgung der Bevölkerung deutlich einschränkt. Die positive Umsatzentwicklung zeigt: Transparenz und flexible Geschäftsmodelle können auch geschäftsfördernd sein. Die gezeigte Kompromissbereitschaft zwischen Gesetzgeber und der Versicherungsbranche ist aber auch Ausdruck des skandinavischen, konsensorientierten Politikmodells und in dieser Form in anderen Ländern nicht zu erwarten.

Die Beispiele deuten an: Schon die unterschiedlichen Ausgangslagen machen den Vergleich mit dem europäischen Ausland bezüglich der Auswirkungen eines Provisionsverbotes schwierig. Die Erfahrung zeigt aber, dass der Weg der staatlichen Regulierung nicht mehr umkehrbar ist, wenn er einmal eingeschlagen wurde. Wenn der Gesetzgeber dann mit einem großen Wurf übers Ziel hinaus schießt, sind die Auswirkungen massiv – auch auf die Kunden. Hier sollten die Diskussionen in Deutschland ansetzen.

Vollumfängliches Provisionsverbot in Deutschland unwahrscheinlich
In Deutschland ist es für vorauseilenden Gehorsam der rund 240.000 Vermittler zu spät, der Gesetzgeber ist bereits aktiv. Allerdings bietet die hohe Vermittlerdichte sowohl einen Anlass für, als auch Schutz vor einem disruptiven Markteingriff durch die Politik. Deshalb ist ein striktes und vollumfängliches Provisionsverbot unwahrscheinlich, denn neben einer drohenden Unterversorgung wäre somit auch die von plötzlicher Arbeitslosigkeit bedrohte Berufsgruppe der Vermittler zu groß. So wird Raum für verschiedene Geschäftsmodelle bleiben, die Vermittlern zwischen Provisions- und Honorarberatung auch in Zukunft ein entsprechendes Auskommen ermöglichen. Dass die Vermittlerdichte in Deutschland langfristig um ein vielfaches höher bleiben wird als im europäischen Ausland, ist aber ebenso unwahrscheinlich. Dafür sind die Überkapazitäten und Einsparpotenziale zu offensichtlich, Berufsstands- und Kundeninteresse hin oder her. Viele Vermittler werden somit perspektivisch aus dem Markt ausscheiden.

Wie ist zu reagieren? Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien helfen der Branche und insbesondere den Vermittlern nicht weiter. Vielmehr muss zunächst mit dem LVRG konsequent und ernsthaft umgegangen werden. Denn sonst drohen weitere Einschnitte. Zudem sind die Versicherer gut beraten, ihre Vertriebspartner auf die 'neuen Zeiten' vorzubereiten. Und dazu gehört nicht nur der Trend zu Transparenz, Nettotarifen und Honoraren, sondern auch das grundsätzlich veränderte Kundenverhalten im Zuge der zunehmenden Digitalisierung.  Ein Investment in die Unterstützung, technische Ausstattung und letztlich  Qualität der Vertriebspartner ist dringend angeraten." (jb)