Bei allem Drunter und Drüber in der Euroschuldenkrise wird ein entscheidender und wichtiger Aspekt häufig vergessen: dass die Konjunktur letztendlich der entscheidende Faktor für die Bewältigung der Krise ist. Denn wenn es kein Wachstum gibt, wird keines der Euroländer aus seinen Schulden herauswachsen können – auch Deutschland nicht, schreibt Jan Amrit Poser, Chefökonom bei der Bank Sarasin & Cie, in einem aktuellen Beitrag.

Deutschland ist im ersten Quartal 2012 überraschend stark mit 0,5 Prozent gewachsen und hat damit den Rückgang der Wirtschaftskraft im vierten Quartal 2011 wettmachen können. Doch beim Blick in die Zukunft sprechen die Frühindikatoren eine uneinheitliche Sprache, so Poser weiter. Das Wirtschaftsvertrauen Eurolands, das im April veröffentlicht wurde, ist auf den tiefsten Wert seit dem Ende der letzten Rezession im Jahr 2009 gefallen. Auch die Einkaufsmanagerindizes der Länder der Währungsunion deuten auf einen erneuten Rückfall hin. Gleichzeitig trotze jedoch das deutsche Geschäftsklima, der ifo-Index, dem Abwärtssog und hat im April sogar ein neues Hoch erreicht. Poser: „Wie ist diese Diskrepanz zu erklären und wie geht es angesichts der erneuten Unsicherheiten im zweiten und dritten Quartal weiter?“

ifo-Index: Tendenz deutet auf Aufschwung in Deutschland hin
Zunächst sei es wichtig zu erkennen, dass das ifo-Geschäftsklima der verlässlichste unter den europäischen Konjunkturindikatoren ist, führt der Sarasin-Experte aus. Er stützt sich auf eine sehr lange Zeitreihe, die auf einer breiten Umfrage unter 3000 deutschen Unternehmen beruht. Einkaufsmanagerindizes und EU-Wirtschaftsvertrauen sind stimmungsgetriebener und nicht so lang etabliert. Wichtig sei jedoch auch, den ifo-Index richtig zu lesen. Sein absolutes Niveau möge im historischen Vergleich zwar hoch sein, was die strukturellen Vorteile Deutschlands in der momentanen Weltwirtschaftslage reflektiert. Um jedoch eine Aussage darüber machen zu können, ob die Industrieproduktion in den nächsten Quartalen beschleunigen oder abbremsen wird, müsse man jedoch die Veränderung des ifo-Geschäftsklimas gegenüber dem Vorjahr betrachten. Während das Niveau des Geschäftsklimas einen ungebrochenen Boom anzeigt, zeige seine Veränderung jedoch, dass Deutschland zumindest über den Jahreswechsel in eine Industrierezession gefallen sei und erst seit einigen Monaten erste Anzeichen eines Aufschwungs sichtbar geworden sind. Die Tendenz für die nächsten Quartale deute jedoch auf eine Fortsetzung des Aufschwungs hin.

Die Veröffentlichung des ifo-Geschäftsklimas für den Monat Mai an diesem Donnerstag werde somit zu einem Meilenstein für die deutsche und europäische Konjunktur. Es gebe Warnsignale von anderen mit dem ifo zusammenlaufenden Indikatoren, wie dem belgischen Geschäftsklima, dass der zyklische Aufschwung, der sich noch zu Beginn des Jahres gezeigt hat, frühzeitig wieder abbricht. Steigt das deutsche Geschäftsklima jedoch weiter und signalisiert somit stärkeres Wachstum, beruhigen sich die Ängste um die Schuldenkrise. „Die Notwendigkeit, weitere Konjunkturimpulse zu geben, nimmt ab und entschärft den Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich. Die Lage in Europa steht auf Messers Schneide“, schließt Poser seine Ausführungen. (jb)