Die Selbstständigkeit hat viele Vorteile. Man kann seine Geschäftsidee verwirklichen und die Firma führen, wie man möchte. Auch finanziell lohnt es sich, sein eigener Chef zu sein, weil unterm Strich von den Einnahmen einiges übrig bleibt – schon allein weil keine Sozialabgaben wie Beiträge zur Arbeitslosen- oder gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten sind. Allerdings schaut der Staat genau hin, unter anderem entgehen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Millionenbeiträge. Daher müssen Selbstständige aufpassen, dass sie die entsprechenden Kriterien erfüllen, was in der Praxis nicht immer einfach ist, wie Nachfragen von FONDS professionell ONLINE ergaben.

Vorweg: Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen abhängig Beschäftigten und Selbstständigen. Beschäftigte unterliegen der vollen Sozialversicherungs- und Rentenversicherungspflicht. Selbstständige dagegen sind für ihre soziale Absicherung, insbesondere Arbeitslosen- und Krankenversicherung, stets eigenständig verantwortlich, meist auch für ihre Altersvorsorge. In bestimmten Ausnahmen unterliegen sie allerdings der Rentenversicherungspflicht.

Grundlage: Sozialgesetzbuch – Viertes Buch
Die Grundlage für die Unterscheidung ist Paragraf 7 Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV). "Der Paragraf liefert auch erste Kriterien für eine Entscheidung, wann jemand als selbstständig und wann als beschäftigt einzustufen ist", erläutert Sarah Kolß, Anwältin bei der Hamburger Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte. Als beschäftigt gilt eine Person insbesondere dann, wenn sie aufgrund von Weisungen tätig wird und sie in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers eingegliedert ist. Für ein Beschäftigungsverhältnis sprechen demnach etwa eine detaillierte Berichtspflicht, ein Arbeitsort am Firmensitz oder das Verbot von Untervertretern. 

Für eine Selbstständigkeit sprechen wiederum eigene Angestellte und Untervertreter, keine oder nur geringe zeitliche Vorgaben, eine eigene Betriebsorganisation und der Einsatz von eigenem Kapital. Eine ausführliche Auflistung der entsprechenden Kriterien findet sich übrigens im gemeinsamen "Rundschreiben zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen" der DRV, des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit vom 1. April 2022.

Die Gesamtschau entscheidet
"Bei der Beurteilung, ob jemand selbstständig oder abhängig beschäftigt ist, ist aber immer die Gesamtschau entscheidend", erläutert Kolß weiter. Sowohl die tatsächlichen Arbeitsverhältnisse, also wie die Beschäftigung "in der Praxis gelebt wird", als auch die vertraglichen Bedingungen müssten geprüft werden. "Somit spielen etwa für Finanz- und Versicherungsvermittler auch zivilrechtliche Vorschriften eine Rolle, etwa die des Handelsgesetzbuchs (HGB) oder auch das Aufsichtsrecht in Form des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG)", so die Anwältin. Im Streitfall kann das HGB das SGB aber nicht ausstechen. 

Ein gutes Beispiel für die mitunter komplexe Situation ist ein seit rund drei Jahren schwelender Rechtsstreit zwischen der DRV und der Deutschen Bank, der immer noch nicht entschieden ist: Ein früherer Berater des mobilen Vertriebs bat die DRV, seinen Sozialversicherungsstatus festzustellen. Diese stufte ihn als Beschäftigten ein, weil sein Berufsalltag "deutlich von dem eines selbstständigen Unternehmers abwich". Beispielsweise habe der Vermittler nicht wirklich frei über Arbeitszeit und -ort entscheiden können, außerdem habe es Vorgaben gegeben, wie und welche Kunden angesprochen werden sollten. Diesen Bescheid wollte die Bank nicht akzeptieren, man traf sich vor Gericht.

Sozialgericht Frankfurt am Main: Keine selbstständige Tätigkeit
Das Sozialgericht Frankfurt am Main entschied dann am 8.März 2021 zugunsten der DRV. Es sah eine "Eingliederung" des Beraters in den Betrieb der Bank. Dies machte es unter anderem daran fest, dass die Gebietsleiter des Vertriebs den angestellten Regionalleitern der Bank "zu Berichten über die geschäftliche Entwicklung in ihrem Gebiet sowie der Ursachen verpflichtet" sind. Vorgaben des Regionalleiters würden durch den Gebietsleiter an die Agenturleiter und damit die Vermittler weitergegeben. Ferner sah das Gericht nicht, dass der Vermittler "eigenes Kapital auch unter Gefahr eines Verlustes eingesetzt" habe – ein wesentliches Kriterium für Selbstständige. Zudem habe der Vermittler über keinen eigenen Betriebssitz und keine eigene Organisation verfügt.

Die Deutsche Bank sieht das anders: "Bei dem (…) erwähnten Urteil des Sozialgerichts Frankfurt handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die verschiedene Besonderheiten aufweist und aus unserer Sicht auf unsere übrigen selbstständigen Handelsvertreter nicht übertragen werden kann", teilte ein Sprecher der Bank auf Anfrage der Redaktion mit. "Da unseres Erachtens auch die fallspezifischen Besonderheiten nicht korrekt ­gewürdigt worden sind, haben wir gegen die Entscheidung Berufung eingelegt." Das Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht (Az. L 8 BA 36/21) ist noch nicht entschieden. (jb)


Einen ausführlicher Artikel zu dem Thema, inklusive der Frage der Sozial- und Rentenversicherungspflicht von freien Maklern, finden Sie ab Seite 444 in Ausgabe 2/2023 von FONDS professionell. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin abrufen.