Kunden nutzen vermehrt digitale Kauf- und Informationskanäle. Anders als im Handel oder Retail-Banking wirken sich diese Veränderungen im langfristig angelegten Versicherungsgeschäft erst zeitverzögert aus. Dies zeige sich auch bei dem Vertrieb der Policen. Noch ist der Anteil der digital verkaufen Produkte niedrig. Vermittler sollten sich aber darauf einstellen, dass dieser bald deutlich steigen wird. Schon alleine, weil sich die Gesellschaften der wachsenden Konkurrenz der Fintechs erwehren müssen und daher ihre Digital-Strategie auf den Prüfstand stellen müsse. Dies ergibt sich aus der Studie "Global Digital Insurance Benchmarking Report 2015" der internationalen Managementberatung Bain & Company.

Der Studie zufolge, für die Bain mehr als 70 Versicherer befragt hat, soll der Anteil der online verkauften Policen von acht Prozent im Leben- und zehn Prozent im Sachbereich in den nächsten fünf Jahren auf 15 bzw. 23 Prozent steigen. Noch deutlicher verändern sich einer Pressemitteilung zufolge die anderen Wertschöpfungsstufen. So erwarten die Unternehmen, dass die Nutzung digitaler Medien in der Schadensabwicklung um 31 und im Service um 26 Prozentpunkte zunimmt – zulasten traditioneller Wege über Agenturen oder Servicecenter. Nahezu die Hälfte der Versicherungsunternehmen hat jedoch nach eigenem Bekunden keine Digitalisierungsstrategie.

Chance für Fintechs
"Viele Versicherer schaffen es kaum, mit ihren Kunden mitzuhalten, geschweige denn ihre Strategie für das digitale Zeitalter zu entwickeln", erklärt Henrik Naujoks, Leiter der europäischen Praxisgruppe Finanzdienstleistungen bei Bain & Company und Autor der Studie. "Das öffnet einer neuen Generation technologieaffiner Unternehmen Tür und Tor, in diesen über Jahrzehnte abgeschotteten Markt einzudringen." Gerade in den angelsächsischen Ländern greifen Start-ups immer häufiger in die lukrativen Bereiche der Assekuranz-Wertschöpfungskette ein oder besetzen die Schnittstelle zum Kunden.

Die sechs wichtigsten Bereiche der Digitalisierung
Aus diesem Grund nennt Bain sechs Bereiche, in denen die Versicherer Chancen und Herausforderungen systematisch angehen sollten.

1. Verbesserte digitale Kundenreise. Nur rund die Hälfte der Versicherungen hat bisher spezifische Angebote für ihre digitalen Kanäle. In den nächsten Jahren erwarten Kunden wie Anbieter eine deutliche Verschiebung in Richtung Online- und mobile Kanäle – und damit weg vom Callcenter und dem persönlichen Gespräch. Die Versicherer müssen ihre traditionellen Kanäle auf diese Veränderung vorbereiten.

2. Omnikanal-Vertriebs- und Servicemodell. Die Versicherer rechnen in den nächsten fünf Jahren mit einer Verdopplung des Neugeschäfts über digitale Kanäle. Dadurch steigen auch die Anforderungen an die Vernetzung der Systeme. Das wirft grundsätzliche Fragen zur Produkt-, Preis- und Provisionspolitik auf und verlangt von den Häusern Omnikanal-Fähigkeiten.

3. Optimierter Betrieb durch digitale Technologien. Die durchgängig automatisierte Bearbeitung hält Einzug im Betrieb. Viele Versicherer bearbeiten Daten jedoch noch immer manuell. Nur 36 Prozent der Sachversicherer erfassen Kundendaten bereits elektronisch und verfügen über durchgängig automatisierte Prozesse ("Straight-through Processing"). In den nächsten fünf Jahren erwarten die Unternehmen einen Anstieg von automatisiertem Underwriting und Schadensmanagement um 20 Prozentpunkte.

4. Stärkere Nutzung von Advanced Analytics und Big Data. Bisher wird Advanced Analytics noch nicht in allen Versicherungsbereichen eingesetzt. Die Unternehmen geben jedoch an, ihre Investitionen für Big-Data-Analysetechnologien in den nächsten fünf Jahren um jährlich 24 Prozent in Leben und 27 Prozent in Sach steigern zu wollen.

5. Informationstechnologie für die digitale Transformation. Viele Versicherer erwarten, dass die Bedeutung von IT-Investitionen in den nächsten fünf Jahren zunehmen wird. So wollen die Lebensversicherer ihre IT-Ausgaben in diesem Zeitraum gemessen am Prämienvolumen von heute durchschnittlich 3,8 auf 5,5 Prozent steigern, die Sachversicherer von 3,7 auf über 4 Prozent. Der größte Investitionsbedarf besteht bei Big-Data-Analysetechnologien, der digitalisierten Kundenreise und bei End-to-End-CRM-Systemen.

6. Eine agile, innovationsfähige Organisation. Die digitale Transformation kommt bei den Versicherern unterschiedlich voran. Rund 40 Prozent der Transformationen in Leben und 25 Prozent in Sach erreichen weniger als die Hälfte der selbstgesteckten Ziele. Die größten Bedenken bestehen bei der Erfüllung regulatorischer Vorgaben und im Risikomanagement. Die digitale Transformation erfordert auch ein agileres Verhalten. Schnellere Produktentwicklung, Einsatz von neuen Methoden wie Rapid Prototyping oder "Test and Learn" sowie eine offene Fehlerkultur gehören dazu. Die Hälfte der Versicherer hat Innovationsteams, aber nur rund 40 Prozent beziehen ihre Kunden und Vertriebspartner im Vorfeld ein. Etwa 50 Prozent der Versicherungsunternehmen messen den Erfolg ihrer Innovationen. (jb)