Das dauerhaft niedrige Zinsniveau ist ein Ergebnis der Zentralbankenpolitik und realwirtschaftlicher Faktoren. Trotz der jüngsten Renditeanstiege an den Anleihemärkten scheint auf absehbare Zeit ein Vermögensaufbau mit risikoarmen Anlageformen schwierig. Tatsächlich entgehen den deutschen Sparern unter der Annahme eines um zwei Prozentpunkte niedrigeren Zinsniveaus in fünf Jahren mehr als 200 Milliarden Euro auf ihre gesamten Spareinlagen, pro Haushalt sind das mehr als 5.600 Euro.

Das zeigt eine Analyse der Effekte des Niedrigzinsumfeldes in Deutschland, die das Center for Financial Studies (CFS) im Auftrag der Fondsgesellschaft Union Investment erstellt hat. Für die Altersvorsorge bedeute dies zwingend höhere Sparquoten und ein verändertes Anlageverhalten, soll das erreichte Wohlstandsniveau erhalten bleiben, so die Studienautoren. Doch ein Umdenken sei derzeit bei Privatanlegern nicht erkennbar.

Weit unter dem Durchschnitt der Nachkriegszeit
"Die gegenwärtig niedrigen Zinsen sind nicht nur ein kurzfristiges, sondern ein potenziell langfristiges Phänomen", sagt Uwe Walz, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität Frankfurt und Leiter der Analyse. "Ein Argument sind auch strukturelle Verschiebungen der Weltwirtschaft weg von kapitalintensiven hin zu digitalen Industrien, die weniger Kapital benötigen." Daher erwartet er für die kommenden drei bis fünf Jahre mit einer hohen Wahrscheinlichkeit niedrige reale Zinsen am kurzen und langen Ende. Der Realzins, also der Zins nach Abzug der Inflation, werde sich weiter in einer Spanne von null bis zwei Prozent bewegen. Das sei weit unter dem Durchschnitt der Nachkriegszeit.

Verluste bei privaten Haushalten
Das treffe private Haushalte in Deutschland in doppelter Hinsicht: direkt über ausbleibende Zinserträge und indirekt über geringere Renditen bei Anlageprodukten etwa für die Altersvorsorge. "Die weitverbreitete Strategie bundesdeutscher Haushalte, in sehr liquide, risikoarme und daher niedrig verzinsliche Anlagen zu investieren, ermöglicht keinen langfristigen Vermögensaufbau etwa zur Altersvorsorge", erklärt Walz. Denn tatsächlich sei in den vergangenen Jahren der Anteil von Bargeld und Einlagen sowie der hohe Anteil privater Lebensversicherungen weiter angestiegen, während sich der Wertpapierbesitz am Bruttogeldvermögen deutscher Haushalte rückläufig entwickelt habe. Zudem finde eine Umschichtung in Immobilien und langlebige Konsumgüter statt.

Um die zukünftigen Vermögenseffekte auf die privaten Haushalte abzuschätzen, ermittelten die Forscher des CFS die kumulierten entgangenen Zinserträge. So könnten sich etwa die Bruttovermögensverluste in den nächsten fünf Jahren bei einem unterstellten Zinsnachteil von zwei Prozent gegenüber dem langfristigen Durchschnitt auf 224 Milliarden Euro belaufen. Unter Berücksichtigung der Vorteile geringerer Kreditzinsen etwa bei der Immobilienfinanzierung wären es in fünf Jahren netto immer noch knapp 60 Milliarden Euro. Pro Haushalt entspräche dies einem Bruttovermögensverlust von 5.605 Euro, netto 1.586 Euro.

Langfristige Folgen des aktuellen Anlageverhaltens
In einem Simulationsmodell schätzte das CFS-Team zusätzlich die Niedrigzinseffekte auf die Altersvorsorge ab. So müsste etwa ein heute 30-Jähriger, der bei einer Realverzinsung von zwei Prozent im Jahr 15 Prozent seines Nettoeinkommens durch einen Sparplan im Alter abdecken will, bei einer realen Nullverzinsung etwa zehn Jahre früher anfangen zu sparen. Wenn ein heute 20-Jähriger bei einer Realverzinsung von zwei Prozent im Jahr 27 Prozent seines Nettoeinkommens über einen Sparplan im Alter abdecken will, müsste er bei einer realen Nullverzinsung seine Sparquoten von etwa neun auf 15 Prozent erhöhen. "Dies verdeutlicht, dass die Höhe der Lebenserwartung im Vergleich zum Zinseffekt deutlich weniger ins Gewicht fällt", so Walz.

Vollkasko bei der Geldanlage keine Option mehr.
Doch bisher würden Privatanleger ihr Verhalten kaum anpassen. Sie erhöhen ihre Sparquote nicht, stattdessen bleiben niedrigverzinsliche Anlagen, Immobilien und Konsum im Fokus. Die Folge sei ein Verzicht im Alter, da durch das anhaltende Niedrigzinsumfeld deutlich weniger Vermögen zur Verfügung stehe. "Vollkasko bei der Geldanlage ist in diesem Umfeld keine Option mehr. Wenn in einem neuen Umfeld alte Muster nicht mehr greifen, braucht es Veränderungen", sagt Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment. "Bei Anlegern muss ein Umdenken einsetzen. Es ist wichtiger denn je, sich neuen Anlageklassen zu öffnen." Hier seien Reinke zufolge auch die Finanzdienstleister gefordert. "Wir müssen mit unseren Produkten Brücken in höher rentierliche Anlagen bauen, aus denen der Privatanleger unterstützt durch eine gute Beratung das für ihn Passende wählen kann." (rmk)