Herdentrieb, Überreaktion, Verlustaversion – solche Muster des Anlegerverhaltens sind Finanzmarktprofis wie Analysten oder Fondsmanagern natürlich bekannt. Davor gefeit sind sie dennoch nicht.

"Interessanterweise fallen nicht nur Privatanleger, sondern auch Profis Verhaltensanomalien zum Opfer", so Thorsten Hens, Professor am Institut für Banking und Finance an der Universität Zürich, bei einem von Fidelity veranstalteten Pressegespräch in Frankfurt. Auch bei ihnen bestünden Defizite, wenn es um das Erkennen verzerrter Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Denkprozesse gehe, um die sich das Forschungsgebiet der Behavioural Finance seit den 1980er Jahren kümmert.

"Bei professionellen Asset Managern wird prozyklisches Investitionsverhalten paradoxerweise durch regulatorische und eigentlich dem Anlegerschutz dienende Vorschriften zusätzlich gefördert", ergänzt Gabriel Layes vom Institut für Vermögensaufbau aus München. Er spielt unter anderem auf die jüngst verschärften Berichterstattungspflichten an, die Anleger seiner Meinung nach übertrieben häufig mit möglichen Verlusten konfrontieren.

Tools seit letztem Jahr im Einsatz
Wissenschaftlich sind zahlreiche Behavioural-Finance-Phänomene inzwischen gut erforscht. Wie sich diese Erkenntnisse in der Praxis umsetzen lassen, steht auf einem anderen Blatt. "Darum hat Fidelity International 2017 das Projekt 'Behavioural Insights' ins Leben gerufen", berichtet Paras Anand, der bei Fidelity International das Asset Management in der Region Asien-Pazifik leitet. "Ein spezialisiertes Team widmet sich dabei der Entwicklung diverser Tools und Analysen, mit deren Hilfe Fondsmanager und Analysten Entscheidungen auf eine objektivere Grundsage stützen sollten."

Erste Tools wurden im Februar vergangenen Jahres bei den Aktienteams in Europa und Asien eingeführt, später folgten weitere Anlageklassen und Hilfsmittel. "Diese Informationssysteme machen Portfoliomanager und Analysten in bestimmten Situationen auf mögliche Behavioural-Finance-Phänomene aufmerksam", erläutert Anand.

Der Analyst ist emotional mit seiner Aktienempfehlung verbunden
Als Beispiel für eine mögliche Behavioural-Finance-Falle nennt er einen Analysten, der nach ausführlicher Recherche eine "Strong buy"-Empfehlung für eine Aktie gibt. "Schon weil er sich lange mit dem Unternehmen auseinandergesetzt und viel Arbeit investiert hat, ist der Analyst gewissermaßen emotional mit der Aktie verbunden", sagt Anand.

Doch es kommt noch besser: "Wir ermutigen unsere Analysten dazu, ihre Empfehlungen verschiedenen Portfoliomanagern vorzustellen und offensiv zu vermarkten. Mit jeder dieser Präsentationen steigt die Verbundenheit mit dem Titel." Nun bestehe die Gefahr, dass der Analyst seinen objektiven Blick auf das Unternehmen komplett verliere – obwohl genau das sein Job sei.

"Man kann niemanden smarter machen, als er schon ist"
"Unsere Branche kann gut mit numerischen Informationen umgehen, aber schlecht mit emotionalen", sagt Barney Rowe, leitender Datenspezialist bei Fidelity. "Das möchten wir ein Stück weit ändern." Beispielsweise hilft eine künstliche Intelligenz dem neuen Fidelity-Team dabei, das Sentiment bezüglich einer Aktie zu erfassen. Wird eher positiv oder eher negativ über diesen Titel berichtet? "Interessant wird es, wenn das Sentiment und die Kursentwicklung nicht mehr zusammenpassen", sagt Rowe. "Solche Konstellationen markieren häufig einen Wendepunkt, bei dem es sich für Analysten und Portfoliomanager lohnt, besonders hinzuschauen."

Rowes Fazit: "Man kann niemanden smarter machen, als er schon ist. Aber man kann dafür sorgen, dass er seinen offenen Blick auf die Welt behält." (bm)