Für die Finanzwirtschaft und Hunderttausende von Sparern stehen Milliardenbeträge auf dem Spiel. Mit Spannung wurde daher an diesem Dienstag (9.7.) die Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über die Zinsberechnung von Prämiensparverträgen erwartet. Der für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat entschied über zwei Musterfeststellungsklagen, die auf höchstrichterliche Klärung zielten, welcher Referenzzinssatz für Zinsanpassungen in Prämiensparverträgen gilt. Der Referenzzins ist für die Frage zentral, in welcher Höhe Prämiensparer Zinsnachzahlungen wegen unwirksamer Zinsänderungsklauseln verlangen können.

Das Urteil wirkt in beiden Fällen salomonisch: Beide Revisionen wurden zurückgewiesen. Zugleich entschied der BGH, dass die in den Prämiensparverträgen infolge der Unwirksamkeit der Zinsanpassungsklauseln entstandene Regelungslücke durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist. Das bedeutet etwas abstrakt: Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen (nach Paragraf 133 BGB). Und: Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (nach Paragraf 157 BGB).

OLG-Urteile bestätigt
Übertragen auf den Streit bedeutet dies wohl: Kunden bekommen nun eher durchschnittlich 1.300 Euro Nachzahlung je Vertrag als die von der Verbraucherzentrale Sachsen erhofften bis zu 3.600 Euro. Die Verbraucherschützer hatten ein Musterverfahren gegen die Ostsächsische Sparkasse Dresden angestrengt (Az.: XI ZR 44/23) und der Verbraucherzentrale-Bundesverband gegen die Saale-Sparkasse (Az.: XI ZR 40/23). Inzwischen gibt es zu Prämiensparverträgen bereits 18 Musterverfahren.

Wenn der BGH ein Urteil zu Musterfeststellungsklagen spricht, gibt dieses eine allgemeine Tendenz vor. Durchsetzen müssen es die einzelnen Betroffenen jeweils individuell bei ihrer Bank. Wer sich keiner Musterklage angeschlossen hatte, kann seine Bank unter Berufung auf bereits ergangene BGH-Urteile auffordern, die Zinsen des Sparvertrages neu zu berechnen.

Strittige Zinsanpassungsklauseln von Sparkassen und Volksbanken
Seit Jahren gibt es Streit um Prämiensparverträge, die Sparkassen und Volksbanken mit Hunderttausenden Kunden in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre abschlossen. Sparer erhalten bei diesem Produkt zusätzlich zum variablen Zins eine Prämie, die meist nach Vertragslaufzeit gestaffelt ist. Je länger regelmäßige Sparbeiträge eingehen, umso höher fällt die Prämie aus. In vielen dieser Verträge gibt es Klauseln, die Geldhäusern einseitig das Recht einräumen, die zugesicherte Verzinsung zu ändern. Etwa: "Der jeweils gültige Zinssatz wird durch Aushang bekanntgegeben." Die Bank konnte den Zins so zum eigenen Vorteil anpassen.

Dass Geldhäuser in vielen Fällen die Zinssätze einseitig zu ihren Gunsten ändern konnten, hat der BGH bereits vor 20 Jahren für rechtswidrig erklärt und Sparern prinzipiell Zinsnachforderungen zugestanden. Nicht höchstrichterlich geklärt war bislang die Frage, wie die Zinsen für diese Produkte zu berechnen sind. Später bestätigte der BGH frühere Urteile, wonach viele Altverträge von Sparkassen unzulässige Klauseln enthalten, etwa bei der Sparkasse Leipzig (Az.: XI ZR 234/20; externer Link).

Dieser Referenzzins ist für Nachzahlungen maßgeblich
Im April 2022 legte das Oberlandesgericht (OLG) Dresden in einem Einzelfall erstmals einen Referenzzins fürs Prämiensparen fest: die Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere mit acht bis 15 Jahren Restlaufzeit. Es folgte 2022 ein Urteil des OLG München. Anfang 2023 gab es die beiden Urteile des OLG Naumburg und des OLG Dresden in Massenverfahren, die nun Gegenstand der BGH-Verhandlung waren. Die obersten Bundesrichter bestätigten jetzt in einer Mitteilung als Berechnungsmethode für den Referenzzins die Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere mit acht bis 15 Jahren Restlaufzeit als risikolosen Marktzins.

Gleichwohl verwarfen sie die von Verbraucherschützern favorisierte Umlaufrendite für Hypothekenpfandbriefe. Begründung: Diese Umlaufrenditen enthalten einen Risikoaufschlag, der im Vergleich zu den Umlaufrenditen von Bundesanleihen zu einer vergleichsweise höheren Verzinsung führt. Der typische Sparer, der Prämiensparverträge abschließt, "zeigt allerdings keinerlei Risikobereitschaft, so dass der im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmende Referenzzins ebenfalls keinen Risikoaufschlag enthalten darf", heißt es in der BGH-Mitteilung (externer Link).

Genaue Beträge ausrechnen und Verjährung beachten
Die genaue Höhe der Nachzahlungen steht mit dem BGH-Urteil jedoch noch nicht fest, da Prämiensparverträge im Detail unterschiedlich ausgestaltet waren, unterschiedliche Laufzeiten boten und Verjährungsfristen zu beachten sind. Apropos Verjährung: Da entschied der BGH, dass Nachzahlungsansprüche für Zinsgutschriften, die länger als drei Jahre zurückliegen, verjährt sind.

Die für die Ingangsetzung der dreijährigen Regelverjährung (gemäß Paragraf 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) erforderliche "Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Verbraucher muss sich aber nicht auf die Unwirksamkeit der in den Sparverträgen enthaltenen Zinsanpassungsklausel und auf die Parameter für die Zinsanpassung beziehen, die höchstrichterlich festgelegt worden sind", heißt es in der Mitteilung. Man darf auf die Urteilsbegründung gespannt sein, die noch nicht vorliegt. Schon früher hatte der BGH jedoch entschieden: Die Ansprüche der Verbraucher auf weitere Zinsbeträge aus den Sparverträgen werden frühestens ab dem Zeitpunkt der Vertragsbeendigung fällig.  

Wann Banken kündigen dürfen
Auch der Streit um Kündigungen von Prämiensparverträgen war bis vor den BGH gegangen. Der entschied im Mai 2019: "Der Sparvertrag darf nicht vor Erreichen der höchsten Prämienstufe gekündigt werden." Sparer müssen die maximal mögliche Prämie also mindestens einmal mitnehmen dürfen. Danach läuft der Vertrag zwar weiter, kann aber jederzeit einseitig gekündigt werden.

Doch auch wenn bei einem Prämiensparvertrag die höchste Prämienstufe erreicht ist, kann das Recht der Sparkasse zur ordentlichen Kündigung des Vertrags ausgeschlossen sein, hat der BGH im November 2023 entschieden und damit die Rechte der Sparer gestärkt (Az.: XI ZR 88/23; externer Link). (dpo)