Die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) nutzt ChatGPT als Formulierungshilfe für E-Mails. Seit Mitte Mai können die rund 18.000 hauptberuflichen Vermögensberater die auf künstlicher Intelligenz basierende Sprachsoftware einige häufig anfallende Mitteilungen vorformulieren lassen, beispielsweise E-Mails zum Kundengeburtstag.

Das Programm nutzt unter anderem Informationen über den Beruf, Hobbys und den Familienstand, um eine personalisierte Nachricht zu verfassen. Diesen Vorschlag kann der Vermögensberater übernehmen oder abändern. Die DVAG-Vermittler verwenden dabei nicht direkt ChatGPT, sondern eine Eingabemaske, in der sie über Schieberegler beispielsweise festlegen können, ob die Nachricht eher sachlich oder eher humorvoll geschrieben sein soll. Jeder Mail-Vorschlag ist ein Unikat.

"KI ist kein Jobkiller"
"Unsere digitalen Tools sollen unseren Vermögensberatern Zeit verschaffen für das, was nicht durch Technologie ersetzt werden kann: die Beratung ihrer Kunden", sagte Christian Glanz, im DVAG-Vorstand für IT zuständig, bei einem Pressegespräch in der Frankfurter Firmenzentrale. Er zeigt sich – wie wohl alle im Unternehmen – überzeugt davon, dass am persönlichen Austausch mit dem Kunden kein Weg vorbeiführt. "Menschen brauchen Menschen", zitiert er das Credo des Finanzvertriebs.

Ihm ist daher wichtig, die KI als Hilfsmittel, nicht aber als Konkurrenten anzusehen. "Wir sind überzeugt davon, dass KI kein Jobkiller ist", so Glanz. "Es ist kein Gegeneinander, sondern ein Hand-in-Hand." Die ChatGPT-Anwendung fürs E-Mail-Formulieren sei dafür ein gutes Beispiel: "Um das Tool sinnvoll nutzen zu können, muss ich meinen Kunden kennen", meint Glanz. "Nur wenn ich weiß, dass mein Kunde ein glühender Fan von Eintracht Frankfurt ist, kann ChatGPT diese Information für die Formulierung einer persönlichen Nachricht verwenden."

"Das Abtippen von Daten ist keine wertschöpfende Tätigkeit"
Schon seit dem vergangenen Jahr unterstützt eine KI die Vermögensberater bei einer anderen Routineaufgabe: dem Erfassen der wichtigsten Daten aus bestehenden Versicherungsverträgen. Der Vermittler muss die alte Police nur abfotografieren, die KI liest dann die relevanten Angaben etwa zur Laufzeit oder der Höhe der Verzinsung aus und überträgt sie ins Beraterportal. Der Vermittler muss die Einträge nur noch kurz prüfen und gegebenenfalls korrigieren. Aus solchen Korrekturen wiederum lernt die KI, sodass ihr der Fehler künftig hoffentlich kein zweites Mal unterläuft.

"Das Abtippen von Daten ist keine wertschöpfende Tätigkeit", sagt Ralph Demtröder, Bereichsleiter IT-Produktmanagement & Support bei der DVAG. "Wir in der Servicezentrale sehen unsere Aufgabe darin, die Vermögensberater von solchen Routinetätigkeiten zu entlasten."

Robbie Williams virtuell live erleben
Während die KI schon in der Praxis der Vermögensberater angekommen ist, wird mit einer anderen Technologie bislang nur experimentiert: der virtuellen Realität (VR). Die DVAG hat sich in ihrer Firmenzentrale eigens einen Virtual-Reality-Raum eingerichtet – eigenen Angaben zufolge als derzeit einziges deutsches Unternehmen (siehe Bilderstrecke oben).

Um zu zeigen, was die Technik heute schon kann, ließ der Finanzvertrieb seinen diesjährigen Vermögensberater-Tag Ende März in Köln mit 360-Grad-Kameras aufnehmen. Wer die VR-Brille aufsetzt und die Controller in die Hand nimmt, kann nun hautnah nacherleben, wie 13.000 Vermögensberater ihren Vorstandschef Andreas Pohl bejubeln oder die Hits von Überraschungsgast Robbie Williams mitsingen.

Der virtuelle Vermögensberater-Tag kann Interessenten womöglich einen ersten Eindruck von der besonderen Firmenkultur der DVAG vermitteln. Andere Anwendungsfälle gibt es noch nicht. Der VR-Raum sei bewusst als erster Schritt zu sehen, als Experimentierfeld, betont Demtröder. Vielleicht kann die Technologie künftig für Schulungen eingesetzt werden oder wenn es darum geht, eine Rede vor einem real wirkenden Publikum zu üben. Konkrete Ideen, wie die virtuelle Realität sinnvoll in der Kundenberatung eingesetzt werden könnte, kamen Demtröder noch nicht unter. (bm)