Vor einem Jahr trat Christian Machts sein neues Amt als Geschäftsführer und Leiter des Wholesale-Vertriebs von Fidelity International in Deutschland an. Seither führt ihn sein täglicher Arbeitsweg nicht mehr zum Opernturm mitten in Frankfurt, wo sein alter Arbeitgeber Blackrock sitzt, sondern hoch in den Taunus nach Kronberg – zumindest in normalen Zeiten. Doch von normalen Zeiten kann wegen der Corona-Pandemie aktuell keine Rede sein, weswegen auch Machts aktuell zumeist von zuhause aus arbeitet. Im Telefoninterview stellt er sich den Fragen von FONDS professionell ONLINE.


Herr Machts, wie erreichen Sie die Anlageberater, Fondsselektoren und andere Investoren in diesen Tagen? Persönlich bei Ihnen vorbeigehen können Sie seit einigen Wochen ja nicht mehr.

Christian Machts: Wir nutzen alle verbliebenen Kanäle deutlich intensiver, seien es Telefonkonferenzen, Webinare oder Videochat. Auch die Kommunikation über Online- und Social-Media-Kanäle gehört natürlich dazu. Dabei ist gerade in diesen Zeiten Kreativität gefragt. So haben wir gemeinsam mit strategischen Vertriebspartnern auch neue Formate entwickelt. Ende März hatten wir beispielsweise eine Telefonkonferenz, bei der nicht nur unser Kapitalmarktexperte Carsten Roemheld in der Leitung war, sondern auch Ulrich Stephan und Chris-Oliver Schickentanz, die Chefanlagestrategen der Deutschen Bank und der Commerzbank. Diese Konferenz richtete sich explizit nicht nur an Berater der beiden Banken, sondern an alle Vertriebspartner. Solche Angebote, die eine breitere Markteinordnung geben, kommen bei unseren Kunden sehr gut an.

Welche Botschaft steht im Augenblick im Vordergrund, wenn Sie mit Vertriebspartnern kommunizieren?

Machts: Wir gehen schrittweise vor. Zunächst geht es darum, die aktuelle Krise und ihre Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu erklären. Wir möchten dazu beitragen, dass unsere Kunden das Marktumfeld verstehen und richtig einordnen können. Produkt-Know-how spielt da nur am Rande eine Rolle. In der zweiten Stufe geht es um die Frage, wie die Kundenportfolios mit Blick nach vorne richtig aufgestellt sein sollten. An diesem Punkt sind wir langsam angekommen: Es gilt nicht mehr nur zu beschreiben, was passiert ist, sondern auch darzulegen, wie es jetzt weitergeht. Als dritter Schritt folgt dann die tatsächliche Anpassung der Portfolios. Dann wird auch wieder mehr Kommunikation zu den einzelnen Produktlösungen gefragt sein.

Offensichtlich haben viele Kunden schon reagiert: Branchenweit wurden Milliarden abgezogen. Wie schlimm hat es Fidelity getroffen?

Machts: Der Markteinbruch war zwar heftig, dennoch erleben Sie mich guter Dinge. 2019 war für Fidelity im Drittvertrieb in Deutschland eines der besten Jahre seit den frühen 2000ern. Auch im Januar und Februar dieses Jahres lief es hervorragend. Im März mussten auch wir vereinzelt Abflüsse hinnehmen, aber diese fielen vergleichsweise gering aus. Seit Jahresbeginn ist unser Nettomittelaufkommen in Deutschland nach wie vor positiv.

Erstaunlich, dass die Abflüsse trotz des rapiden Kursverfalls recht gering ausfielen. Wie erklären Sie sich das?

Machts: Das hat meiner Meinung nach mehrere Gründe. Erstens kam der Crash sehr schnell – so schnell, dass viele Privatanleger gar nicht rechtzeitig hätten reagieren können, um den schlimmsten Absturz zu vermeiden. Außerdem sind wohl alle von der Krise auch persönlich betroffen, auch diejenigen, die nicht selbst infiziert sind oder mit erkrankten Menschen zu tun haben. Viele mussten von heute auf morgen im Homeoffice arbeiten und die Kinderbetreuung neu organisieren, andere fragen sich, wie sicher ihr Job noch ist. Der Fokus lag in den vergangenen Wochen ganz klar auf der Familie.

Das eigene Depot genießt da nicht die höchste Priorität.

Machts: Genau. Dazu kommt, dass sich die Aktienkurse sehr schnell zumindest teilweise erholt haben und die breite Erwartung herrscht, dass es eine massive Gegenbewegung geben wird, die natürlich keiner verpassen will. Viele Privatanleger haben in den vergangenen Jahren einen gewissen Durchhaltewillen entwickelt, was ich als sehr positiv erachte. Dennoch wird es in den kommenden Monaten auf breiter Front zu einer Überprüfung der Portfolios kommen. Der eine oder andere wird Liquidität aus seinem Depot benötigen, etwa weil er tatsächlich die Arbeit verloren hat. Ich erwarte allerdings keine Verkäufe auf breiter Front. Eher wird es darum gehen, bei seiner Geldanlage andere Schwerpunkte zu setzen. Die klassische Asset-Allokation nach Ländern und Regionen wird aus meiner Sicht zunehmend hinterfragt werden.

Wer kann der Gewinner einer solchen Neuausrichtung sein?

Machts: Ich denke, dass Sektoren- und Themeninvestments ein größeres Gewicht bekommen werden. Die Gesundheitsbranche wird aus naheliegenden Gründen ein Gewinner dieser Krise sein, auch der Technologiesektor dürfte profitieren. Außerdem zeichnet sich ab, dass Asien, insbesondere China, die Krise schneller hinter sich lassen kann als Europa oder die USA. Ein weiteres wichtiges Thema sind die Zinsen, die dauerhaft niedrig bleiben werden und damit den Fokus auf nachhaltige Dividenden weiter erhöhen.

Das galt auch vor der Corona-Pandemie schon.

Machts: Ja, aber wegen der nun weiter rasant steigenden Staatsverschuldung dürften auch die letzten bemerkt haben, dass auf Jahre hinaus nicht an steigende Zinsen zu denken ist. Dadurch gewinnen Dividenden eine ganz neue Bedeutung.

Im Augenblick streicht ein Konzern nach dem anderen seine Ausschüttung – das scheint keine gute Zeit für Dividendenjäger zu sein.

Machts: Jetzt setzen viele Unternehmen ihre Dividende aus, das ist richtig. Aber das wird sich wieder ändern. Darum werden die kommenden Monate und Jahre ein gutes Umfeld für Stockpicker wie uns bieten. Ein weiterer Punkt ist nicht ganz so offensichtlich: Ich bin überzeugt davon, dass die Corona-Pandemie den Trend zur nachhaltigen Geldanlage noch beschleunigen wird.

Obwohl die Menschen gerade andere Sorgen haben als den Klimawandel? Von "Fridays for Future" war seit Wochen nichts mehr zu hören.

Machts: Der Klimawandel bleibt gesellschaftlich und politisch ein Riesenthema. Er hat sich ja nicht in Luft aufgelöst, weil nun zahlreiche Flüge gestrichen wurden. Außerdem geht es bei ESG-Investments ja nicht nur um das "E", also die Umwelt, sondern auch um "S" und "G", sprich um soziale Aspekte und die gute Unternehmensführung. In der Corona-Krise zeigt sich beispielsweise sehr deutlich, wie sozial ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitern tatsächlich umgeht. Solche Aspekte sind nun nochmal deutlich besser beobachtbar als früher. Ich vermute außerdem, dass viele Anleger bei der nun fälligen Neuaufstellung ihres Portfolios auch ESG-Kriterien berücksichtigen werden. Sie hatten ohnehin vor, ihr Depot nachhaltiger auszurichten – nun ist der Zeitpunkt gekommen, diesen Plan umzusetzen.

Die Frage, wie gut ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitern umgeht, ist ein gutes Stichwort: Einige Ihrer Wettbewerber haben schon einen Einstellungsstopp verkündet. Die Asset-Management-Branche als Ganzes dürfte in den kommenden Monaten eher Stellen streichen als neue zu schaffen. Wie sieht es bei Fidelity aus?

Machts: Es gibt wohl kein Unternehmen, das Corona nicht zu spüren bekommt. Fidelity hat als Familienunternehmen eine sehr langfristige Perspektive und unterliegt nicht den gleichen Zwängen wie ein börsennotierter Asset Manager. Selbstverständlich ist, dass auch in unserem Haus Kostendisziplin herrscht, und auf diese werden wir in den kommenden Monaten besonders achten müssen. Klar ist aber auch, dass wir unsere Marktposition behaupten möchten. Die Krise gibt uns als Asset Manager meiner Meinung nach die Chance, uns klar zu positionieren. Darum verkriechen wir uns auch nicht, sondern agieren mit unseren Kunden noch zielgerichteter als ohnehin schon.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)