Andrew Wilson nimmt eine Doppelrolle ein: Zum einen leitet er das europäische Anleihe-Team von Goldman Sachs Asset Management (GSAM), zum anderen ist er als Europa-CEO auch verantwortlich für die Geschäfte des Fondsanbieters auf dem Kontinent. In dieser Rolle sprach FONDS professionell ONLINE mit ihm über die Pläne im Vertrieb, die Bedeutung digitaler Beratung und die Frage, ob der Markenname Goldman Sachs hilft oder hindert.


Herr Wilson, Goldman Sachs zählt zu den weltweit führenden Finanzinstituten. In Europa dagegen ist die Asset-Management-Sparte erst in den vergangenen Jahren im Publikumsfonds-Segment unter die Top-10 gerückt. Wollen Sie an die Spitze?

Andrew Wilson: Das Geschäft wollen wir natürlich noch weiter ausbauen. Eine breite Aufstellung und eine Diversifikation des Wachstums über mehrere Bereiche sind mir aber noch wichtiger. So ist zum Beispiel das Verhältnis von Retail-Geschäft zu institutionellen Kunden deutlich ausgewogener als früher, wenngleich letztere natürlich nach wie vor ein hohes Gewicht einnehmen. Was mir außerdem gut gefällt: Wir verzeichneten zuletzt Wachstum in mehreren Bereichen, etwa im Segment Absolut Return und Multi-Asset.

Aber gerade in den Trendbereich Multi-Asset sind Sie erst spät eingestiegen – zu spät?

Wilson: Nein, es ist nicht zu spät für Multi-Asset-Produkte. Das Umfeld wird schwankungsanfälliger. Die Politik der Trump-Regierung, die anstehenden Wahlen in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden – all das birgt Unsicherheiten, die zu Verwerfungen an den Märkten führen können. Die Möglichkeit, flexibel zwischen Aktien, Anleihen und anderen Anlageklassen hin und her zu schwenken, gewinnt an Bedeutung. Genau hierfür haben wir die passenden Produkte parat, mit denen wir auch bei unseren deutschen Kunden erfolgreich sind.

Ein weiteres Boom-Segment sind börsengehandelte Indexfonds (ETFs). Ihr Haus hat nur wenige Produkte im Sortiment. Braucht eine breit aufgestellte, weltweit operierende Fondsgesellschaft nicht auch eine eigene ETF-Sparte?

Wilson: Ich denke, man braucht die ganze Bandbreite an Produkten. Wir sind in der guten Position, von Geldmarkt- bis Hedgefonds alles bieten zu können. Wir haben eigene ETFs lanciert. Wir schauen uns das Feld an und werden noch weitere auflegen. So bieten wir im Anleihebereich Short-Duration-ETFs und einige quantitative Aktienstrategien. Das werden wir ausbauen. Am Ende geht es um die Bedürfnisse unserer Kunden. Wir müssen Produkte bieten, mit denen die Kunden eine Rendite erzielen. Und grundsätzlich verstehen wir uns als aktiver Manager, der eben genau das leisten soll.

Aber der ETF-Boom hat einen Druck auf die Gebühren entfacht, dem sich auch aktive Manager nicht entziehen können.

Wilson: Gewiss, der Fokus in der Branche lag sehr auf der passiven Konkurrenz und darauf, die Gebühren zu drücken. Unsere Sicht ist eher die Frage, welchen Mehrwert wir erbringen können. Unser Anspruch ist, für die Kunden konsistente Renditen zu erzielen, die auch über dem Vergleichsindex liegen. Zudem glaube ich, dass das Pendel zurückschwingt: zugunsten des aktiven Managements.

Warum?

Wilson: Seit der Finanzkrise 2009 ließen sich mit Indexprodukten durchaus gute Renditen erzielen. Aber einfach auf den breiten Markt setzen und den Gewinn mitnehmen — diese Strategie wird nicht mehr aufgehen. Die Schwankungen an den Märkten nehmen zu. Das bringt viele Verlierer hervor, aber auch einige Gewinner. Wer einfach einen Index kauft, der kauft auch all die Verlierer. Künftig muss ein Investor genau schauen, welche Anlageklassen, welche Regionen und welche einzelnen Titel er wählt.

Dennoch: Anleger schauen genauer auf die Gebühren. Die Kosten wegen der Regulierung steigen. Ihre Margen geraten unter Druck, die Gebühren können Sie aber nicht einfach erhöhen.

Wilson: Es geht wirklich darum, Investoren einen Mehrwert zu bieten. Wenn wir die Märkte übertreffen, können wir auch die Gebühren entsprechend anpassen. Dies muss aber natürlich auf einem fairen Niveau bleiben. Die Kunden sind durchaus bereit, höhere Gebühren zu bezahlen, wenn die Rendite am Ende auch höher ausfällt. Gerade Multi-Asset-Produkt weisen häufig eine erfolgsabhängige Vergütung auf. Wir Manager werden also nur bezahlt, wenn wir die angekündigte Leistung auch wirklich liefern.

Liefert Ihr Haus immer Top-Leistungen ab?

Wilson: Man kann immer etwas besser machen, das ist wie beim Sport. Wenn ich mir unser Sortiment anschaue, stehen unsere Chancen gut. Wir haben hervorragende Produkte. Das Team ist ebenfalls ausgezeichnet. Und angesichts des Umfelds sieht es 2017 und 2018 gut aus für aktive Manager wie uns.

Dennoch spart auch Ihr Haus. Im vergangenen Sommer etwa strich das Management Dienstreisen, die nicht unmittelbar mit Kundentreffen zusammenhängen. Wie eng müssen Sie den Gürtel schnallen?

Wilson: Die Schritte damals waren kalkuliert, moderat und angemessen. Aber ja, wir mussten unsere Kostenstruktur den Einnahmen anpassen. Die hängen wiederum von der Performance der Produkte, der Anlagestrategie und dem Marktumfeld ab. Sie dürfen nicht vergessen: Vor einem Jahr grassierte die Furcht, dass Chinas Wirtschaft wegschmilzt und die USA in eine Rezession rutschen. Der Ölpreis fiel und fiel. Daher zogen aus dem Nahen Osten stammende Kunden Geld ab. Die ganze Branche erlitt Mittelabflüsse. Anleger positionierten sich konservativer und parkten ihr Vermögen in Geldmarktprodukten, die nur geringe Margen abwerfen. Jetzt sieht die Welt ganz anders aus. Der Ölpreis ist stabil, die USA stecken in einem Aufschwung und Anleger suchen riskantere Investments, die auch höhere Margen abwerfen.

Derzeit erregen Start-up-Unternehmen Aufsehen, die mit digitalen Neuerungen die Bankenwelt umkrempeln: die Fintechs. Müssen Fondsmanager auf den Trend aufspringen und eine Online-Beratung, also Robo Advice, aufbauen?

Wilson: Ja, auch als Asset Manager müssen wir hier einsteigen und den Markt genau beobachten. Wir sind mit mehreren Unternehmen im Gespräch.

Wollen Sie diese Technologie Ihren Vertriebspartnern zur Verfügung stellen oder selbst als Verkaufskanal nutzen?

Wilson: Beide Varianten sind im Gespräch. Aber es ist noch zu früh, um Details zu nennen.

Krempelt Robo Advice tatsächlich die Fondswelt um? Oder ist das nur ein Hype?

Wilson: Technologische Entwicklungen veränderten bereits andere Branchen grundlegend. Eine Lehre daraus ist: Man darf so etwas nicht einfach als Hype abtun. Fintechs können tatsächlich das Spiel von Grund auf ändern. Aber das Potenzial ist sehr schwer abzuschätzen. Das ist wie mit einem selbstfahrenden Auto. Würde ich mich in Frankfurt oder London damit umherfahren lassen? Ich denke schon. Würde ich das für einen Skiurlaub in einem Schweizer Bergdorf nutzen? Ich denke eher nicht. Für manche Bereiche füllt Robo Advice eine Lücke und das durchaus gut. Aber je wohlhabender die Kunden sind, desto eher verlangen sie eine maßgeschneiderte, individuelle Beratung, die sich nach ihren jeweiligen Bedürfnissen richtet.

Welcher Faktor entscheidet über den Erfolg eines Fondsanbieters?

Wilson: Das ganze Paket muss stimmen: die Investmentseite und die Vertriebsseite. Es bringt nichts, wenn Sie tolle Produkte haben, die keiner verkauft, oder wenn sie ein exzellentes Vertriebsteam haben, das aber nichts zum Verkaufen hat. Ich glaube, ein Asset Manager braucht eine gute, breite Produktpalette. Wir haben Schritt für Schritt gute Beziehungen zu den namhaften und großen Vertriebskanälen und zu institutionellen Anlegern aufgebaut. Wir profitieren dabei natürlich auch von der starken Marke Goldman Sachs.

Ein Markenname kann aber auch hinderlich sein, wenn er negativ besetzt ist.

Wilson: Ich arbeite seit 21 Jahren bei Goldman Sachs Asset Management. Ich erinnere mich an Zeiten, da wollte jeder bei Goldman Sachs arbeiten. Die Firma ging an die Börse und es lief lange sehr gut. Dann kam eine öffentliche Aufmerksamkeit, die nicht so positiv war. Nun scheint das Pendel wieder zurückzuschwingen. Und was in den Medien steht, entspricht nicht immer dem Eindruck, den unsere Kunden haben. In Umfragen äußerten diese stets großes Vertrauen in Goldman Sachs Asset Management, die einzelnen Mitarbeiter unseres Hauses und deren Kompetenz. Als Gesamtorganisation hatten wir nicht immer den Ruf, den wir verdienen. Aber die öffentliche Kritik ist wie Ebbe und Flut: Mal schwappt sie hoch, dann ist sie wieder weg.

Vielen Dank für das Gespräch. (ert)