Banken in Großbritannien investieren deutlich mehr in Digitalisierung und erzielen dadurch etwa doppelt so hohe Renditen wie ihre deutschen Wettbewerber. Zudem nutzen die Briten das Potenzial der Zusammenarbeit mit Fintechs, um Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern. Auf diesen kurzen Nenner bringt Alberto Cuccu, Chief Operating Officer beim Beratungshaus Objectway, die wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Märkten in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Marktteilnehmer. Objectway betreut nach eigenen Angaben seit mehr als 30 Jahren Banken, Vermögensverwalter und Asset Manager sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien. Zu den Kunden zählen demnach mehr als 200 führende Institute in der gesamten EMEA-Region.

Cuccu weiß um die Gründe, warum für die Finanzinstitute in Großbritannien bis 2029 eine jährliche Wachstumsrate von fast zehn Prozent prognostiziert wird, das Zehnfache der Rate, mit der deutsche Marktteilnehmer wachsen: Die britischen Institute würden europaweit die höchsten Umsätze – Tendenz sogar steigend – erzielen, weil sie zum einen Vorreiter in Bezug auf die digitale Transformation seien. Technologien wie KI, Robotic Process Automation und Cloud-Plattformen hätten sich längst etabliert. So nutze bereits die Hälfte aller britischen Banken künstliche Intelligenz, gegenüber lediglich 25 Prozent bei deutschen Vermögensverwaltern.

Die Folge: Finanzdienstleister in Großbritannien verzeichnen mit etwa elf Prozent deutlich höhere Kapitalrenditen als deutsche Banken, die auf gerade einmal rund sechs Prozent kommen. "Britische Banken haben schon früh das Potenzial erkannt, das in der Zusammenarbeit mit Fintechs und spezialisierten Finanzdienstleistern liegt", weiß Cuccu. "Viele Finanzinstitute in Deutschland hingegen haben den digitalen Aufschwung verpasst und stehen nun vor der Herausforderung, mit den wachsenden Erwartungen technikaffiner Verbraucher und dem Wettbewerbsdruck von agileren Fintechs Schritt zu halten." Um den Anschluss nicht gänzlich zu verlieren, müssen sie seiner Ansicht nach schleunigst mehr in Digitalisierung investieren, agiler werden und vor allem eine Innovationskultur fördern, bei der Wachstum im Fokus stehe.

Britische Banken lagern aus, deutsche bleiben konservativ
Eine Ursache für die Andersartigkeit des deutschen und britischen Finanzmarktes sei aber auch der unterschiedliche Regulierungsrahmen der beiden Finanzmärkte. "Deutsche Institute unterliegen einem hohen Maß an Zentralisierung mit Fokus auf langfristiger Finanzstabilität und Anlegerschutz", so Cuccu. "Britische Behörden hingegen verfolgen einen prinzipienbasierten Ansatz, der viel mehr Marktintegrität und Wettbewerb fördert." Dadurch habe sich eine vielfältige Vermögensverwaltungslandschaft in Großbritannien etabliert. Es gebe mehr unabhängige Bankinstitute mit maßgeschneiderten Finanzlösungen, die einen aggressiveren Anlageansatz verfolgen, so Cuccu. Folglich seien auch die Anleger offener für neue Finanzprodukte. So werde die Altersvorsorge zum Beispiel überwiegend privat geregelt, während in Deutschland noch das öffentliche Rentensystem dominiere.

"Viele deutsche Banken verfolgen einen konservativen Ansatz und bevorzugen Stabilität gegenüber Disruption und Expansion", ergänzt Cuccu. Das beeinträchtige jedoch ihr Wachstum und schaffe Platz für neue Konkurrenten auf dem Markt. Auf diese Weise hätten sich in Deutschland Neobroker und Banken wie N26 und Trade Republic etablieren können und Millionen neuer Kunden der Generation Y und Z angezogen. Britische Banken hätten hingegen früh das Potenzial erkannt, das in der Zusammenarbeit mit Fintechs stecke, und immer mehr einzelne Geschäftsbereiche oder Prozesse an spezialisierte Partner ausgelagert.

Umgekehrt könnten internationale Marktteilnehmer aber auch von deutschen Banken lernen. "Finanzinstitute in Deutschland sind gegenüber wirtschaftlichen Schocks sehr widerstandsfähig – das ist ein großer Wettbewerbsvorteil", betont Cuccu. Auch bei grünen Investitionen und der Ausbildung von Personal sieht er sie als Vorbild. "Dennoch muss sich schleunigst ein Mentalitätswechsel vollziehen, wenn Finanzinstitute in Deutschland den Rückstand aufholen wollen", warnt der Experte. Es müsse vor allem eine Kultur gefördert werden, die auf Innovation statt auf langfristiger Stabilität beruhe. Dazu müsse die Bereitschaft wachsen, mehr in Digitalisierungsvorhaben und die Zusammenarbeit mit Fintechs zu investieren. (hh)