Derzeit ist aus Brüssel nicht viel Neues zu hören vom Großprojekt der Europäischen Kommission mit Namen Open Finance. Doch Rudolf Siebel, Geschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI, kennt den aktuellen Stand der Dinge. "Die Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat könnten Ende 2024 oder Anfang 2025 beginnen", sagt er. "Der Gesetzestext könnte somit im kommenden Jahr vorliegen", erklärt Siebel. Angesichts der geplanten Implementierungsphase von 24 Monaten könnte das Regelwerk dann 2027 in Kraft treten. 

Bereits im Juni vergangenen Jahres hat die EU-Kommission die Vorschläge für ihre Open-Finance-Initiative präsentiert – inklusive der Verordnung mit Namen "Framework for Financial Data Access Regulation", kurz FIDA. FIDA sieht vor, dass Finanzdienstleister und Versicherungsunternehmen anderen Anbietern Einblick in sämtliche Finanzdaten ihrer Kunden gewähren müssen, sofern diese es wünschen. 

Alle Daten im Cockpit
Geplant sind sogenannte Cockpit-Apps. Vertraut etwa ein Anleger seinem Finanzberater so sehr, dass er sich dafür entscheidet, dessen App zu nutzen, werden dort all seine finanziellen Daten eingespielt. Der Vermögensprofi könnte dann mit einem Blick in die Cockpit-Anwendung erkennen, ob sich an den Einkommens- oder Vermögensverhältnissen eines Bestandskunden etwas verändert hat und daher vielleicht Beratungsbedarf besteht. Verfügt er selbst über eine breite Produktpalette oder arbeitet er mit anderen Dienstleistern, etwa mit Versicherungsmaklern, zusammen, kann er immer wieder interessante Angebote unterbreiten. 

Den Kunden ein "Financial Home" zu bieten – das bezeichnet Ulrich Juchem, Leiter der Verwahrstelle der DZ Privatbank, als das größte Ziel, auf das Finanzdienstleister hinarbeiten sollten. Gelingt dies, so sieht er in Open Finance und FIDA für Banken zunächst einmal die Chance, Prozesse deutlich schlanker zu gestalten. Das könne etwa Anlageberatern die Arbeit deutlich erleichtern. 

Effizienter arbeiten
"Wenn man künftig auf bei anderen Instituten erhobene Daten zugreifen darf, dann würde das eine erhebliche Effizienzsteigerung bedeuten", sagt Juchem. Bislang müssen Anlageberater bei jedem Neukunden bekanntlich eine Identitäts- und Geldwäscheprüfung vornehmen. "Könnte man in Zukunft auf die Prüfungen durch andere Institute referenzieren, ginge der Arbeitsprozess schneller, was auch die Produktkosten senken würde", sagt er.

Juchem kann sich auch vorstellen, dass Open Finance neue Geschäftsmodelle ermöglicht. "Wenn eine Bank über sämtliche Finanzdaten eines Kunden verfügt, Finanzierungen bei anderen Kredithäusern und Sicherheiten sieht, kann sie etwa viel leichter 'Buy now, pay later'-Modelle anbieten", sagt er. Solche Onlinestrecken würden deutlich besser und schneller funktionieren, je mehr Informationen über den Antragsteller vorliegen. Auch würde Open Finance mehr Cross-Selling erlauben.

Zusätzliche Produkte anbieten
Thorsten Schrieber, Vorstandsmitglied bei DJE Kapital aus Pullach bei München, hat Tipps für freie Finanz-Profis. "Wenn Vermittler künftig alle Finanzdaten ihrer Klientel sehen, dann sollten sie dies dafür nutzen, ganzheitlich zu beraten und ihr Produktangebot breiter aufzustellen", sagt er. "Wer bisher auf das Fondsgeschäft konzentriert war, könnte überlegen, auch Versicherungen oder Immobilienkredite anzubieten", erklärt Schrieber. Dafür könnten Vermittler Kooperationen schließen.

"Bei uns ist das auch eine Überlegung", berichtet Schrieber. Schließlich bietet DJE Kapital sowohl digitale als auch persönliche Vermögensverwaltung an. "Wir müssen uns fragen, ob wir nicht vielleicht Beteiligungen, etwa mit Versicherungsplattformen, eingehen sollten, um künftig ein ganzheitliches Produktangebot in petto zu haben", so Schrieber. "Open Finance wird für den Vertrieb im positiven Sinne einen disruptiven Charakter haben", glaubt er. (am)


Einen ausführlichen Bericht über die neuen Möglichkeiten, die Open Finance Finanzprofis eröffnet, finden Sie in der aktuellen Ausgabe 2/2024 von FONDS professionell ab Seite 342. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin lesen.