In den USA gilt Vanguard als Schrecken der etablierten Asset-Management-Industrie. Das genossenschaftlich organisierte Unternehmen muss keinen Gewinn erwirtschaften, die Skaleneffekte aus größer werdenden Fonds kann es daher über sinkende Gebühren an die Anleger weiterreichen. Die Gebührensenkungen wiederum ziehen neue Anleger an, was weitere Kostenreduzierungen erlaubt. Dieser Kreislauf schaufelt Milliarde um Milliarde in die Vanguard-Fonds. Inzwischen verwaltet das Haus mehr als fünf Billionen US-Dollar in Publikumsfonds, mehr als jeder andere Anbieter der Welt. In Europa steht Vanguard noch am Anfang, doch das Wachstum ist rasant. Europachef Sean Hagerty stand FONDS professionell ONLINE bei seinem jüngsten Besuch in Frankfurt Rede und Antwort.


Herr Hagerty, die ersten irischen Vanguard-Fonds wurden schon vor rund 20 Jahren aufgelegt, eigentlich ist Ihr Haus also schon lange auf dem europäischen Markt präsent. Dennoch nimmt Ihr Europa-Geschäft erst seit einigen Jahren richtig Fahrt auf. Oder täuscht dieser Eindruck?

Sean Hagerty: Früher war der europäische Finanzvertrieb stark von der Vermittlung auf Provisionsbasis getrieben. Darum hatten wir Europa lange Zeit nicht so im Fokus, denn wir zahlen keine Ausgabeaufschläge oder Bestandsprovisionen. Doch die Finanzkrise hat einen Umdenkprozess angestoßen: Das Vertrauen in das etablierte System wurde erschüttert. Wir haben im Jahr 2009 ein Büro in London eröffnet und dort massiv investiert. Seither wachsen wir rasant – auf Sicht von fünf Jahren um rund 25 Prozent per annum. Mittlerweile verwaltet Vanguard etwa 175 Milliarden US-Dollar in Europa. Davon entfallen knapp 40 Milliarden Dollar auf ETFs, der Rest auf nicht börsennotierte Publikumsfonds.

Seit vergangenem Herbst sind Ihre ETFs auch an der Frankfurter Börse gelistet. Außerdem haben Sie hier ein Büro eröffnet, um den deutschen und österreichischen Markt zu betreuen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Hagerty: Wir beobachten den deutschen Markt schon seit langem. Doch weil Deutschland von einigen wenigen starken Vertriebsnetzwerken mit verbundenen Asset Managern dominiert wird, hielten wir uns fern. Aber auch hier ändern sich die Dinge. Zum einen sorgen die niedrigen Zinsen dafür, dass immer mehr Privatanleger Geld von Spareinlagen in Investmentfonds umschichten. Außerdem führt Mifid II dazu, dass den Anlegern bewusst wird, wie viel sie bei ihrer Bank für die Geldanlage zahlen. Das bringt die Kosten unter Druck. Das kommt uns sehr zugute – niedrige Kosten gehören zu unserer DNA.

Bisher arbeiten zwei Vertriebskollegen in Frankfurt für Vanguard. Wie groß soll das Team werden?

Hagerty: Wir werden das Team Schritt für Schritt aufstocken, abhängig davon, wie sich das Geschäft entwickelt. Wir haben Geduld. Entscheidend ist, dass wir unsere Vertriebspartner stets gut betreuen können. Das muss immer gewährleistet sein.

Welche Zielgruppe sprechen Sie an?

Hagerty: Vermögensverwalter, Honorarberater, Online-Broker, Fintechs. Wir betreuen auch institutionelle Investoren, aber der Fokus liegt auf Beratern mit Retail-Geschäft.

Warum das?

Hagerty: Das Potenzial für eine echte Disruption ist auf diesem Markt viel größer als im institutionellen Geschäft. Und wir lieben Disruption. Wir möchten Privatanlegern einen sinnvollen, günstigen Vermögensaufbau ermöglichen. Alleine schaffen wir das nicht, darum sind wir auf Vertriebspartner angewiesen.

Planen Sie schon den Markteintritt in weiteren europäischen Ländern?

Hagerty: Im Augenblick nicht. Wir haben bereits Vertriebsbüros in Amsterdam und Zürich und einen Vertriebskollegen in Paris. Vor wenigen Wochen hat ein Mitarbeiter bei uns begonnen, der den italienischen Markt betreuen soll – vorerst von London aus. Wir wollen nichts überstürzen.

In Deutschland und Österreich stellen Sie Ihr ETF-Geschäft in den Vordergrund. Dieser Markt scheint aber längst besetzt zu sein. Wie wollen Sie sich von den großen, etablierten ETF-Häusern abgrenzen?

Hagerty: Vanguard ist der Pionier der Index-Investments. Eine gute Indexabbildung ist alles andere als einfach, ich bin überzeugt davon, dass wir in dieser Hinsicht Mehrwert liefern können. Der große Unterschied zu den anderen Marktteilnehmern ist aber ein anderer: Vanguard gehört den Kunden. Unsere US-Fonds sind Eigentümer der Vanguard-Holding. Wir reichen die Skaleneffekte, die wir durch das wachsende Fondsvolumen erreichen, in Form von Gebührensenkungen an unsere Anleger weiter. Das lässt sich mit der Dividende eines Aktionärs vergleichen.

Bei den europäischen Fonds ist es allerdings nicht möglich, dass die Anleger zugleich Vanguard-Eigner werden, oder?

Hagerty: Nein, eine Konstruktion wie in den USA ist hier rechtlich nicht möglich. Aber der Mechanismus ist genau der gleiche: Wenn wir Gebühren einnehmen, können damit theoretisch drei Dinge passieren: Das Geld landet in der Bilanz, wir investieren es in künftiges Wachstum oder wir senken die Gebühren. Die erste Option fällt aus – wir sind nicht davon getrieben, Gewinn zu erwirtschaften. Es gibt keine Vorgaben, welche Margen wir erzielen sollen. Also investieren wir, so wie jetzt hier in Frankfurt, und reduzieren die Gebühren.

In der Finanzwelt ist der Name Vanguard mittlerweile sicherlich ein Begriff. Ihre eigentliche Zielgruppe, die Privatanleger, können damit aber mutmaßlich noch wenig bis gar nichts damit anfangen. Wie wollen Sie gegen die starken, etablierten Marken Ihrer Wettbewerber ankommen?

Hagerty: Sie haben absolut Recht, gerade am Anfang wird das ein schwieriges Unterfangen. Aber das war in den USA vor 15 Jahren das Gleiche, und mittlerweile sind wir dort eine starke Marke im Retail-Geschäft. Wir sind überzeugt davon, dass man sich Reputation nicht kaufen kann – man muss sie sich verdienen. Das ist ein langwieriger Prozess. Aber ich hatte es bereits erwähnt: Wir haben Geduld. Unser Ziel muss sein, dass sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda rumspricht, dass es dort diesen Fondsanbieter namens Vanguard gibt, der die Anleger in den Mittelpunkt seines Handels stellt und sie tatsächlich fair behandelt. In den USA hat sich auch eine enge Zusammenarbeit mit den Medien und mit Finanzprofessoren bewährt. Es gilt, solche Multiplikatoren zu überzeugen.

Wenn man sich mit Ihren Wettbewerber unterhält, hört man erwartungsgemäß nicht nur Gutes über Vanguard. Ein beliebter Vorwurf lautet, Sie würden nur auf die Kosten achten – und darüber Investitionen in den Handel und andere Innovationen vernachlässigen. Können Sie das nachvollziehen?

Hagerty: Der Vorwurf stimmt nicht. Wir investieren große Summen in Technologie und eine noch effizientere Indexabbildung. Ich wage zu behaupten, dass kein Anbieter Portfolios besser managt als wir. Unsere Wettbewerber müssen deutlich höhere Gebühren verlangen, um ihre Margenanforderungen erfüllen zu können. Nur deshalb sind unsere Fonds so günstig – und nicht, weil wir nötige Investitionen unterlassen würden.

Wenn Sie die Skaleneffekte aus größer werdenden Fonds über Gebührensenkungen an die Anleger weiterreichen, muss das ja auch für den umgekehrten Fall gelten. Angenommen, die Börse stürzt ab. Muten Sie Ihren Kunden dann tatsächlich höhere Gebühren zu?

Hagerty: Den Fall gab es ja bereits: Nach dem Crash während der globalen Finanzkrise haben wir die Gebühren in den USA angehoben – und das auch offen kommuniziert. Wir konnten dennoch Zuflüsse verzeichnen, weil unsere Kunden verstanden haben, welcher Mechanismus dahinter steckt. So kam es dann auch: Unsere Verwaltungsgebühren liegen heute nur noch halb so hoch wie im Jahr 2009. Die Gebührenerhöhung während der Finanzkrise hatte übrigens einen wichtigen Nebeneffekt: Wir mussten damals keinen einzigen Kollegen entlassen.

Zum Schluss eine Frage, die ich Ihnen nicht ersparen kann: Wie bereitet sich Vanguard auf den Brexit vor? Ihre Fonds sind zwar in Irland domiziliert und dürfen daher weiterhin in der EU vertrieben werden. Aber Ihre Europazentrale mit Portfoliomanagern, Aktien- und Anleihenhändlern sitzt in London.

Hagerty: Oh ja, ein leidiges Thema. Wir haben ein Team aufgestellt, das die nötigen Fragen abarbeitet. Dazu gehört auch das Worst-Case-Szenario eines harten Brexit. Selbst in diesem Fall wäre der Brexit nicht "disruptiv" für unsere Kunden oder Fonds. Aber er würde zusätzliche Kosten produzieren – leider.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)