Sie sorgte vor ihrem Inkrafttreten für Kopfzerbrechen und Stirnrunzeln in der Branche, inzwischen gehört sie schon seit über einem Jahr zur täglichen Praxis: die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage. Seit dem 2. August 2022 haben Berater bei Banken und Sparkassen zu erheben, welche ESG-Kriterien ihre Neu- und Bestandskunden bei einer Geldanlage berücksichtigt wissen möchten. So will es die überarbeitete Fassung der Delegierten Verordnung 2017/565 zur Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie Mifid II. 

Nachdem die Berater nun gut zwölf Monate Erfahrung gesammelt haben, hat sich FONDS professionell umgehört, wie die Kunden auf die neue Abfrage reagieren – und ob sie tatsächlich dazu beiträgt, mehr Geld in nachhaltige Finanzprodukte fließen zu lassen. Diesem Ziel soll die Erhebung nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers schließlich dienen.

Fokus nicht mehr auf ESG
Fabian Schäfer, Anlageberater bei der Frankfurter Sparkasse, ist zumindest mit dem technischen Tool, das ihm im Beratungssystem der Sparkassen-Gruppe für die Erhebung der ESG-Präferenzen zur Ver­fügung steht, zufrieden. "Es macht die Thematik für Kunden relativ gut greifbar", berichtet Schäfer. Allzu oft muss er die komplette Strecke für die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage allerdings nicht bemühen. "Man merkt deutlich, dass viele Anlagekunden ihren Fokus nicht mehr auf das Thema ESG legen", berichtet Schäfer. Das bedeutet zwar nicht, dass sie grundsätzlich von nachhaltigen Finanzprodukten Abstand nehmen. "Aber die meisten Kunden erklären, dass dieser Aspekt für sie keine Relevanz hat", sagt der Berater. 

"Wir hatten gerade 2022 sehr herausfordernde Kapitalmärkte", sagt Stefan Eich, Leiter Strategisches Produktmanagement bei der Deka, dem Finanzdienstleister der Sparkassen-Gruppe. "Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, der hohen Inflation und der Zinswende standen und stehen für die Anleger andere Dinge im Vordergrund als Nachhaltigkeit", erklärt er. "Aber der komplexe Abfrageprozess trägt natürlich nicht dazu bei, das Interesse der Anleger am Thema ESG zu erhöhen", sagt Eich.

Kunden winken ab
Das bemerkt Berater Schäfer in seiner täglichen Praxis. "Selbst wenn Kunden erklären, dass sie Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen möchten, winken sie ab, wenn ich erläutere, welche Wahlmöglichkeiten es gibt", erzählt er. "Das ist ihnen einfach zu viel, so tief wollen sie in die Materie nicht einsteigen", sagt Schäfer. Stattdessen verlassen sie sich darauf, dass der Berater schon die richtigen ESG-Produkte für sie wählen wird. Der Absatz nachhaltiger Fonds hat sich bei der Deka seit dem Start der vorgeschriebenen Präferenzabfrage nicht erhöht.

Auch Anja Bauermeister, Abteilungsleiterin Publikumsfonds bei Union Investment, kann nicht erkennen, dass das Interesse an nachhaltigen Sondervermögen seit dem Start der verpflichtenden Erhebung der ESG-Präferenzen zugenommen hätte. "Wir verzeichnen bereits über die vergangenen drei Jahre eine steigende Nachfrage nach Fonds dieser Art", sagt sie. Einen deutlichen Schub habe die neue Abfrage diesen Produkten aber nicht verliehen.

Keine expliziten Präferenzen festlegen
Dirk Jungheim, Senior-Anlagemanager im Wealth Management einer Commerzbank-Filiale in Frankfurt, berät eine vermögende Klientel. "Gerade in diesem Segment finden regelmäßig Beratungsgespräche statt", sagt Jungheim. Zu Beginn eines Gesprächs erläuterte Jungheim seit August 2022 die unterschiedlichen ESG-Produktkategorien und Fachbegriffe. Doch nachdem den Anlegern klar war, wie Investitionen in nachhaltige Finanzprodukte funktionieren sollen, wollten viele nicht mehr. 

"Sehr oft hieß es dann, das Thema sei wichtig, man wolle es im Auge behalten, aber vorab keine expliziten ESG-Präferenzen festlegen", so der Berater. "Das bedeutet nicht, dass am Schluss der Beratung nicht doch ein grüneres Portfolio entsteht, als die anfängliche Zurückhaltung erwarten ließ", sagt Jungheim. Aber das Gros seiner Kunden wolle die Auswahl nicht im Voraus reglementieren. (am)


Einen ausführlichen Bericht über die Erfahrungen, die Anlageberater mit der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage gemacht haben, finden Sie in der aktuellen Ausgabe 3/2023 von FONDS professionell ab Seite 430. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin lesen.