Die Deutschen werden immer älter, zugleich sinkt die Zahl jüngerer Arbeitnehmer und damit der Beitragszahler in die gesetzliche Rente. Damit hat Deutschland wie viele andere Industriestaaten ein massives demografisches Zukunftsproblem, da die Rentenlasten älterer Generationen auf immer schmaleren Schultern stehen. 

Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz wagte sich daher am Wochenende mit einem Vorstoß aus der Deckung: Der SPD-Spitzenpolitiker will eine Garantie des Rentenniveaus bis 2040 noch in dieser Legislaturperiode beschließen. "Wir werden darauf bestehen, dass die Bundesregierung ein stabiles Rentenniveau auch in den 20er und 30er Jahren gewährleistet und ein plausibles Finanzierungsmodell vorlegt. Das hat für uns hohe Priorität", sagte Scholz in einem viel beachteten Interview mit der "Bild am Sonntag".

Das Ansinnen hat Kritiker auf den Plan gerufen. Die Standardrente bis 2040 bei 48 Prozent des Durchschnittslohns zu stabilisieren, sei "unfinanzierbar und unfair gegenüber den Jüngeren", sagte beispielsweise Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Der Wissenschaftler beziffert die Kosten auf langfristig drei Billionen Euro. 


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Eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent würde laut Raffelhüschen bereits 2030 mehr als 40 und 2040 sogar 100 Milliarden Euro zusätzlich kosten – pro Jahr, versteht sich! Der Wirtschaftsprofessor rechnet der SZ zufolge daher vor, dass zur Umsetzung der Pläne von Scholz der Beitrag zur Rentenkasse von derzeit 18,6 Prozent bis 2040 auf 29 Prozent des Bruttoverdienstes steigen müsste. "Die jüngeren Arbeitnehmer würden noch mehr geschröpft", kritisiert er in der Zeitung."Die Akzeptanz des Rentensystems wird schwinden. Deutsche werden massiv versuchen, den Beiträgen auszuweichen", etwa durch Selbständigkeit oder Verlegung von Arbeitsverhältnissen ins Ausland, zitiert ihn die SZ.

Mega-Aufreger Steuerhöhungen
Eine andere Möglichkeit der Finanzierung wäre nach Ansicht vieler Experten eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die jeder beim Kauf von Produkten aller Art zahlt, von heute 19 auf dann fast 26 Prozent. Ein solches Vorhaben allerdings würde anderswo soziale Ungerechtigkeiten schaffen, insbesondere bei Niedrigverdienern, Alleinerziehenden und anderen einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen, denen eine Erhöhung der Verbrauchssteuer finanziell besonders weh täte.

"Die von Olaf Scholz verlangte Garantie ist eine unverantwortliche Vorfestlegung in Zeiten des demografischen Wandels, negiert mögliche Perspektiv-Vorschläge der von der Bundesregierung selbst eingesetzten Rentenkommission und ist nur durch kräftige Steuererhöhungen zu finanzieren", schimpft Dieter Weirich, Sprecher des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA). Ihm zufolge ist die SPD der irrigen Auffassung, durch einen "hochsommerlich gedeckten Gabentisch ihre demoskopische Talfahrt stoppen" zu können. Sie löse damit ohne Rücksicht auf die finanzielle Tragfähigkeit des Landes einen "sozialpolitischen Überbietungswettbewerb" aus. Steuerzahlerpräsident Reiner Holznagel ist ebenfalls erbost: "Es ist nicht hilfreich und verunsichert die Bürger, jetzt unnötig die Pferde scheu zu machen, da kein Anlass für hektische Aktionen besteht.“ 

Missverständnis "Rentenniveau"
Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut für Sozialpolitik in München brandmarkt die von Scholz angestoßene Diskussion generell als "Panikmache". Das Rentenniveau könnte ohne weitere Maßnahmen bis 2040 von heute 48 auf etwa 40 Prozent fallen, was aber nicht bedeutet, dass die ausgezahlten Renten schrumpfen.

"Fällt das Rentenniveau wie erwartet auf knapp 42 Prozent, steigen die Renten dennoch nach Inflation um ein Prozent jährlich. Wer heute 35 ist und in etwa 30 Jahren in Rente geht, wird 30 Prozent mehr Kaufkraft haben als heutige Rentner", rechnet der Wissenschaftler vor.

Verbesserungsvorschläge
Vorschläge, wie die Renten dennoch halbwegs stabil gehalten werden könnten, haben die Experten natürlich auch im Repertoire. Raffelhüschen plädiert der SZ zufolge für ein Absinken des Rentenniveaus, eine langsame Erhöhung des Ruhestands-Eintrittsalters auf etwa 70 Jahre und eine ersatzlose Abschaffung des vorgezogenen Ruhestands mit 63. Doch das lehnt die SPD mit Scholz bislang rundweg ab. 

Solche Pläne stoßen nicht nur auf Gegenliebe. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) etwa möchte die gesetzliche Rente erhöhen und dafür bei der verhassten Riester-Rente die Axt anlegen: "Anstatt im privaten Versicherungsmarkt weiter Steuermittel zu versenken, sollte mit Hilfe von Bundesmitteln das gesetzliche Rentenniveau auf mindestens 48 Prozent stabilisiert und im weiteren Schritt dauerhaft auf 50 Prozent angehoben werden", forderte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Der Sozialverband VdK fordert ebenfalls, das Rentenniveau von 48 auf 50 Prozent zu erhöhen. Dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Linkspartei reicht selbst das nicht aus, sie forderten sogar 53 Prozent. (jb/ps)