Dass eine künstliche Intelligenz mittlerweile lesbare und häufig auch inhaltlich korrekte Texte schreiben kann, ist spätestens seit ChatGPT klar. Doch wie ist es um die Fähigkeiten dieser und ähnlicher Softwarelösungen bestellt, wenn es ums Investieren geht? Udo Kersting, Deutschlandchef von Infront, einem europaweit tätigen Anbieter von Marktdaten und Finanzsoftware, stellt sich den Fragen von FONDS professionell ONLINE.


Herr Kersting, ChatGPT ist in aller Munde. Taugt das Programm auch zum Investor?

Udo Kersting: ChatGPT taugt nicht zum Investor, höchstens zur Inspirationsquelle. Auch wenn einige Tests und Pilotprojekte aufhorchen lassen, ist Realitätssinn geboten. Es ist ein Sprachmodell, die Stärken liegen daher auf anderen Gebieten. Es kann als unterstützendes Werkzeug in der Informationsbeschaffung oder bei der Erstellung von Texten durchaus hilfreich sein, aber für Finanzinvestitionen sind andere Faktoren wichtig, die das Tool nicht abdeckt. Allein das Thema der genutzten Datenqualität und -konsistenz erfordert andere Qualitäten, Standards und letztlich menschliche Entscheidungen und Verantwortlichkeiten. Die Entscheidungen wären nicht transparent und werfen Fragen der Haftung bei Verlusten auf. Ein Vermögensverwalter, der die Strategie nicht erläutern kann und auf KI als Verursacher verweisen muss, wäre sehr schnell vom Markt verschwunden.

Künstliche Intelligenz ist in der Geldanlage kein ganz neues Thema. Was ist der Status quo?

Kersting: KI wird schon heute von Investoren eingesetzt. Der Handel wird seit Jahren von Algorithmen unterstützt. Die Fähigkeit, sehr große Datenmengen zu verarbeiten und Muster zu erkennen, um Prognosen zu erstellen, wird von Händlern und Portfoliomanagern häufig genutzt.

Welche Aufgaben kann die KI bereits übernehmen?

Kersting: Die Datenanalyse durch KI kann unterstützend dabei helfen, Markttrends zu identifizieren und auch im Risikomanagement oder in der Transaktionssteuerung genutzt werden. Anlagestrategien, die KI-basiert erstellt wurden, werden schon heute eingesetzt. Dank KI ist es möglich, große Mengen an Daten zur Auswertung heranzuziehen – das erhöht, bei richtigem Einsatz, die Transparenz für den Portfoliomanager.

Wird der menschliche Fondsmanager mittelfristig ersetzt? Oder ist KI viel eher eine Ergänzung?

Kersting: KI kann menschliche Expertise, Anpassungsfähigkeit und Intuition nicht ersetzen. Auch die Pflege von Beziehungen zu Investoren, die der Wahrnehmung von Emotionen dient, kann nicht einfach durch KI ersetzt werden. Märkte werden häufig von externen, nicht daten-getriebenen Events, stark beeinflusst. Diese Volatilität ist schwer vorhersagbar. Der Mensch ist auf Basis von Erfahrung sehr schnell in der Lage zu reagieren, er kann Entwicklungen antizipieren. Modelle müssen erst auf Basis großer Datenmengen trainiert werden. KI ist eine Ergänzung, die die Produktivität unterstützt und fundiertere Entscheidungen ermöglicht. Gerade aufgrund der immer komplexeren Datenvielfalt ist KI sicher ein Ansatz, dessen Bedeutung weiter zunehmen wird. Daher sollten Wealth und Asset Manager sie beachten.

Welche Rolle kann KI beim Thema ESG spielen?

Kersting: Schon heute nutzen viele Datenanbieter KI-basierte Modelle zur Analyse von Unternehmen. Das ist nicht neu. Das Datenuniversum, das es zu screenen gilt, um ESG-orientierte Anlageentscheidungen zu treffen, ist enorm. Es bestehen komplexe Zusammenhänge, die Quantität der zu analysierenden Daten steigt. Wir werden hier in der Entwicklung und Umsetzung von Portfoliostrategien Einsatzfelder sehen.

Kann künstliche Intelligenz auch bei der Risikobewertung im Portfoliomanagement helfen?

Kersting: KI wird schon heute in der Risikobewertung eingesetzt, indem Modelle erstellt und historische Daten analysiert werden, um zukünftige Risiken abzuschätzen. Die Ebene der Portfoliodiversifikation ist nicht mehr allein eine regionale oder sektorale. KI kann helfen, sehr vielschichtige Analysen und Vorschläge zur Diversifikation zu machen, um Portfolios zu optimieren. Durch den Einsatz von KI können Anleger potenzielle Risiken besser verstehen und fundiertere Entscheidungen treffen.

Welche Herausforderungen und Risiken sind mit dem Einsatz von KI im Asset Management verbunden?

Kersting: Die Herausforderungen fangen bei den genutzten Daten an und reichen bis zur Haftungsfrage. In einem regulierten Markt sind all diese Herausforderungen sicher gut durch KI unterstützbar, doch vor einem Black-Box-Ansatz kann nur gewarnt werden. Das Verstehen der Algorithmen und ihr bewusster Einsatz sind essenziell für Asset und Wealth Manager. KI ist in der Regel dazu in der Lage, sich eigenständig weiterzuentwickeln – damit verändert sich auch die Einschätzung der KI zu Fragestellungen und Sachverhalten. Allerdings ist für den Menschen oft nicht mehr erkennbar, wie die neuen Verknüpfungen entstanden sind. Das birgt in puncto Haftung und Nachvollziehbarkeit massive Probleme. Hier ist Vorsicht geboten. Auch Risiken wie "Data Poisoning", also die Manipulation der Datengrundlage, werden sicher in Zukunft eine größere Aufmerksamkeit erfahren.

KI-gestützte Tools und Plattformen könnten in der Finanzbranche aber genutzt werden, um die Interaktion mit den Kunden zu verbessern, oder?

Kersting: Die Customer Journey ist komplex und deren Analyse kann durch KI unterstützt werden. Passende Anlagevorschläge können durch den Abgleich von Präferenzen und Restriktionen mit den Musterportfolios sicher umfassender, schneller und konsistenter erstellt werden. Das kann die Kundenerfahrung verbessern. Naheliegende Lösungen wie Chatbots können helfen, kosteneffizient bei Nutzerfragen rund um die Uhr auszuhelfen, einen Grundservice bereitzustellen. Das birgt in der Finanzwelt spannende Potenziale.

Wie steht es mit ethischen Fragen, die der Einsatz von KI im Asset Management aufwirft?

Kersting: Der Einsatz muss im Einklang mit den ethischen Grundsätzen der Gesellschaft erfolgen und die Interessen der Anleger sind stets zu berücksichtigen. Transparenz und Fairness spielen hier eine entscheidende Rolle. Die Modelle müssen diskriminierungsfrei sein, um Anleger nicht zu übervorteilen. Der gesellschaftliche Diskurs beginnt aktuell. Es wird für fast alle Branchen spannend sein, ihn zu verfolgen.

Vielen Dank für Ihre Einschätzung. (mh)