Accenture berät Asset Manager bei Fragen rund um Technologie, Digitalisierung und Prozessoptimierung. Diese Themen spielen auch beim aktuellen Trendthema der Branche, der Nachhaltigkeit, eine Rolle, wie Thomas Heinatz im Interview mit FONDS professionell ONLINE erläutert. Er verantwortet bei Accenture die Beratung von Fondsanbietern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.


Herr Heinatz, im Wochentakt verkünden Fondsanbieter neue Initiativen in Sachen Nachhaltigkeit, fast täglich kommen neue Produkte auf den Markt. Was ist der Hauptgrund für diesen Boom – die Nachfrage seitens der Investoren oder die Regulierung?

Thomas Heinatz: Der Trend ist in erster Linie nachfragegetrieben. Themen wie der Klimawandel und die erneuerbaren Energien sind omnipräsent – darauf stellt sich die Asset-Management-Branche ein. Die Regulierung läuft parallel, aber etwas zeitversetzt. Noch ist sie eher schwach, aber die Initiativen der EU zeigen, dass sie sich auf absehbare Zeit deutlich verschärfen wird.

Für institutionelle Investoren wie Pensionskassen und Stiftungen ist die nachhaltige Geldanlage schon länger ein Thema. Ziehen jetzt die Privatanleger nach?

Heinatz: Absolut. Noch wird der Markt von den institutionellen Investoren getrieben, sie machen aktuell rund 90 Prozent des verwalteten Vermögens aus. Die Nachfrage seitens der Privatanleger ist erst vor kurzem angesprungen, nimmt jetzt aber deutlich Fahrt auf. Auch die Bedeutung der verschiedenen Nachhaltigkeitsansätze wird sich verschieben. Aktuell liegt das mit Abstand meiste Geld in Portfolios mit Ausschlusskriterien, also in Strategien, in denen beispielsweise auf Investments in Tabak- oder Rüstungskonzerne verzichtet wird. Solche Ansätze gibt es schon seit vielen Jahren. An zweiter Stelle folgen die "Best in Class"-Konzepte – gemeint sind Fonds, die auf die nachhaltigsten Firmen jedes Sektors setzen. Noch recht jung und klein ist dagegen das Segment der Themenfonds, die gezielt in nachhaltige Branchen wie erneuerbare Energien oder die Wasserwirtschaft investieren. Diese Kategorie wird unserer Meinung nach in den kommenden Jahren das größte Wachstum erfahren.

Der Begriff Nachhaltigkeit ist dehnbar wie Gummi, jeder versteht etwas anderes darunter. Wird sich das ändern?

Heinatz: Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Eine allgemeingültige Definition ist natürlich schwierig, aber ich denke, dass sich schon bald eine Art Standard entwickeln wird. Ein großes Problem sind aktuell die Nachhaltigkeitsdaten – sowohl quantitativ als auch qualitativ. Klar ist, dass Nachhaltigkeit quantifizierbar sein muss, sonst gibt es die bekannten "Greenwashing"-Effekte. Momentan arbeiten die Branchenteilnehmer allerdings mit uneinheitlichen Daten aus verschiedensten Quellen, es wird noch viel ausprobiert und wieder verworfen. Unsere These ist, dass sich das "Investment Impact Framework" durchsetzen wird, das die Universität Cambridge vor rund einem Jahr vorgestellt hat.

Was steckt hinter diesem Ansatz?

Heinatz: Diese Systematik bricht die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf sechs Kennzahlen herunter, die jeder nachvollziehen kann. Sie zeigen beispielsweise, dass ein Investment von einer Million US-Dollar in ein konkret benanntes Anlageprodukt mit 527 Kubikmeter Wasserverbrauch einhergeht, die Emission von 39 Tonnen Kohlendioxid bedeutet und mittelbar 1,9 Arbeitsplätze schafft. Auch das Abfall- und Steueraufkommen spielen eine Rolle. Diese Systematik erlaubt es, Alternativen zu vergleichen – zum einen für einen Anleger, der zwischen mehreren Fonds wählen möchte, zum anderen für den Portfoliomanager. Er arbeitet künftig nicht mehr nur mit Finanzkennzahlen, sondern auch mit Nachhaltigkeitsdaten. Zum Teil wird es auch eine Umorientierung geben: Aktuell bewertet ein Fondsmanager eine niedrige Steuerquote in aller Regel positiv, weil das den Nettogewinn erhöht. In Zukunft wird es auch eine Rolle spielen, dass ein Unternehmen mit Steuerzahlungen einen Beitrag für die Gesellschaft leistet – Steuervermeidung wird also auch hier negativ bewertet werden.

Bislang konnten sich solche Modelle aber nicht durchsetzen, weil die Daten fehlen?

Heinatz: Genau. Noch gewinnen die Datenanbieter die nötigen Zahlen mühsam aus Nachhaltigkeitsberichten, Investorenpräsentationen und anderen Veröffentlichungen. Ersten Fintechs gelingt das automatisiert mit Crawlern, dennoch decken sie in der Regel erst 7.000 bis 10.000 Einzelwerte ab. Ein großer Asset Manager bräuchte aber Daten für 100.000 bis 500.000 Titel. Auch die Qualität der Daten ist noch ein Problem. Denn machen wir uns nichts vor: Die meisten Veröffentlichungen der Unternehmen sind marketinggetrieben. Doch das wird sich ändern, sobald der Gesetzgeber die Firmen verpflichtet, konkrete Nachhaltigkeitsdaten zu publizieren. Eine gute Datenqualität ist dann auch im Sinne der Unternehmen, beispielsweise wenn ihr Nachhaltigkeits-Score mit darüber entscheidet, welche Kreditkonditionen sie bei der Bank erhalten. Letztendlich wird also nicht das Drängen der Asset Manager für brauchbare Daten sorgen, sondern die Vorgabe des Gesetzgebers.

Wird sich mit besseren Daten auch das Problem lösen, vor dem Investoren heute stehen: So mancher Fonds wird als grün vermarktet, obwohl er es de facto gar nicht ist?

Heinatz: Es wird der Punkt kommen, an dem jedes Anlageprodukt neu bewertet werden muss. Ich denke zum Beispiel an New-Energy-Fonds, die neben Solarmodulherstellern auch Halbleiterkonzerne im Portfolio haben, in deren Produktionsprozess viele Giftstoffe anfallen. Ist das nachhaltig? Da wird sich die Branche neu sortieren müssen. Reine Lippenbekenntnisse werden nicht mehr reichen.

Aktuell arbeitet die EU an ihrer Taxonomie, welche Wirtschaftstätigkeit als nachhaltig einzustufen ist. Darauf basierend soll ein Siegel für grüne Investments entwickelt werden. Wäre es aus Sicht eines Fondsanbieters nicht clever, abzuwarten, bis die Bedingungen für ein solches Siegel feststehen? Andernfalls laufen sie Gefahr, viel Geld in die nötige Infrastruktur zu stecken, nur um dann festzustellen, dass sie ihre Fonds doch nicht mit dem EU-Siegel vermarkten dürfen, weil sie bestimmte Kriterien nicht erfüllen.

Heinatz: Diese Frage hören wir von unseren Mandanten in der Tat häufig. Wir raten in jedem Fall dazu, schon heute einen entsprechenden Prozess aufzubauen. Wer abwartet, bis die Kriterien final feststehen, wird große Probleme bekommen: Die IT muss umgerüstet werden, die Portfoliomanager müssen lernen, mit den Nachhaltigkeitsdaten zu arbeiten – das lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen. Da ist es viel einfacher, einen bestehenden ESG-Prozess an die endgültigen Kriterien anzupassen.

Wie viele Anbieter sind Ihrer Meinung nach schon für diese neue Welt gerüstet?

Heinatz: Aktuell hat etwa jeder dritte Asset Manager in Deutschland ESG-Daten bereits in seinen Investmentprozess integriert. Alle anderen haben noch viel Arbeit vor sich.

Gibt es Häuser, die Sie als Vorreiter sehen?

Heinatz: Mir fallen beispielsweise Union Investment, Allianz Global Investors und die DWS ein. Hier gibt es an den Trading-Desks häufig ESG-Beauftragte, die im Tagesgeschäft mitdiskutieren, ob ein Titel tatsächlich gekauft werden soll oder nicht. Ein großer Vorteil dieser Vorreiter ist, dass sie dem Gesetzgeber Anregungen geben können, wie die EU-Pläne konkret umgesetzt werden sollen. Der Regulator möchte ja keine Gesetze schreiben, die sich als völlig praxisfern entpuppen, darum hält er Rücksprache mit den relevanten Marktteilnehmern. Auch das ist ein Argument dafür, den Aufbau eines ESG-Prozesses nicht auf die lange Bank zu schieben.

Gefühlt gehören die großen deutschen Anbieter europaweit aber eher nicht zu den Marktführern in Sachen nachhaltiger Geldanlage…

Heinatz: Das ist richtig. Bei Fonds mit ESG-Label liegen gemessen an der Zahl und dem Volumen der Produkte Namen wie Blackrock, BNP Paribas Asset Management oder Swisscanto ganz vorne. Da haben die deutschen Anbieter noch einiges aufzuholen. Den Gesellschaften, die noch nicht den gesamten Investmentprozess umgestellt haben, empfehlen wir, zunächst einzelne Nachhaltigkeitsfonds zu lancieren. So lässt sich das Thema gewissermaßen im Kleinen erproben, bevor die ganze Investmentplattform neu ausgerichtet wird.

Momentan tauchen wie erwähnt ganz viele neue Fonds auf, die als nachhaltig vermarktet werden, bei ehrlicher Betrachtung aber höchstens als hellgrün gelten dürfen. Daneben gibt es – und das schon seit Jahren – einige "dunkelgrüne" Fonds, die ihre Sache wirklich ernst nehmen. Wird es für diese Überzeugungstäter auch in Zukunft einen Markt geben, wenn alle Asset Manager Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen?

Heinatz: Auf jeden Fall – und dieses Segment wird deutlich wachsen. Dabei geht es um Investments, die gezielt der Umweltverbesserung dienen sollen. Der Renditeaspekt steht dabei im Hintergrund. Das ist der wichtigste Unterschied zu den eben diskutierten Ansätzen, bei denen es darum geht, beim Management traditioneller Portfolios Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen.

Vor einer großen Herausforderung stehen allerdings beide Gruppen: Die Zahl der Unternehmen, die wirklich nachhaltig wirtschaften, ist relativ klein.

Heinatz: Absolut richtig. Zurzeit gibt es mehr Jäger als Hasen. Allerdings wird sich das ändern, denn der Kampf gegen den Klimawandel benötigt gigantische Investitionen. Darum wird es bald mehr spezielle Fonds geben. Hinzu kommt, dass die Asset Manager mittlerweile wirklich Druck auf die Unternehmen ausüben, ihr Geschäft nachhaltiger auszurichten. Das beste Beispiel ist Blackrock-Chef Larry Fink, der die Firmenvorstände jüngst aufforderte, deutlich mehr für den Klimaschutz zu tun – andernfalls werfen seine Portfoliomanager diese Firmen aus ihren Fonds.

Der größte Vermögensverwalter der Welt wird fortan "ökologische, ethische und soziale Belange ebenso strikt beachten wie traditionelle Kriterien wie Bonitäts- und Liquiditätsrisiken", heißt es in Finks Schreiben (FONDS professionell ONLINE berichtete).

Heinatz: Es ist völlig klar, dass Dutzende andere multimilliardenschwere Asset Manager diesem Vorbild folgen werden, mit dem Ergebnis, dass wirklich große Geldströme umgelenkt werden. Das wiederum hat natürlich Einfluss auf die Performance: Je stärker sich die Asset Manager engagieren, umso mehr wird Nachhaltigkeit ein Renditefaktor. Spätestens dann ist klar, dass Nachhaltigkeit keine Performance kostet, sondern sogar Performance bringt.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)