Wahrscheinlich ist es Ihnen schon aufgefallen: Der Großteil der Mitmenschen ist unfähig. Eine etwas harte Formulierung. Aber wissenschaftliche Untersuchungen liefern seit Jahrzehnten eben genau dieses Ergebnis – zumindest wenn man die Befragten ernst nimmt.

Schon in den 1970er Jahren zeigte eine Umfrage unter amerikanischen College-Lehrern: Fast jeder (nämlich über 90 Prozent) glaubt, mehr zu leisten als die allgemeine Kollegenschaft. Seitdem bringen Studien immer wieder Ähnliches hervor. Zum Beispiel halten sich in diversen Ländern oft um die 80 oder 90 Prozent der Befragten für überdurchschnittlich gute Autofahrer. "Solche Untersuchungen hat man auch im Gefängnis gemacht. Es kam heraus, dass sich die meisten Insassen als bessere Menschen einschätzten als der Durchschnitt der Bevölkerung – was nicht plausibel ist, sonst wären sie nicht im Gefängnis", so Manfred Frühwirth, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Für ihn ist dieses überschwappende Selbstewusstsein (Fachterminus: Overconfidence) mehr als eine amüsante Facette aus dem Repertoire der menschlichen Eitelkeiten. Frühwirth ist Spezialist in der Behavioral Finance, der verhaltensorientierten Finanzwirtschaft; sein Fachgebiet hinterfragt, wie psychologische Fehlleistungen Finanzentscheidungen beeinflussen. Aus Frühwirths Sicht sollten vor allem Anleger, Aufsichtsräte oder Regulatoren die Gefahren der Overconfidence besser kennen.

Unternehmenswert vernichtet
Verhaltensökonomen gehen davon aus, dass durch Overconfidence im Management von Unternehmen mehr Shareholder Value vernichtet wird, als den betroffenen Investoren bewusst ist. Das verdeutlicht etwa eine Spartenschätzung im Bereich der Unternehmensfusionen. So hat ein Autorenteam aus den USA im Jahr 2008 anhand einer Stichprobe von 400 großen US-Firmen ermittelt, dass Aktionäre von akquirierenden Unternehmen zwischen 1980 und 1994 einen Vermögensschaden von ungefähr 4,4 Milliarden Dollar erlitten. Fast die Hälfte des Verlustes, nämlich 2,15 Milliarden Dollar, gehe laut der Untersuchung auf das Konto übermäßiger Managerzuversicht, so Frühwirth.

Ganz generell sei die Wahrscheinlichkeit einer Fusion erhöht, wenn der CEO overconfident ist, nämlich um 65 Prozent. "Diese Entscheidungsträger sind sehr von sich überzeugt. Häufig glauben sie, sie können das andere Unternehmen besser führen als der 'schlechte' Manager, der momentan dort sitzt", so Frühwirth in einem Artikel, der in voller Länge in der Heftausgabe 3/2022 von FONDS professionell erschienen ist. Mit der Realität kann dieser Glaube natürlich nicht mithalten: In Wirklichkeit scheitern laut einer Analyse der Goethe-Universität Frankfurt rund zwei Drittel aller Übernahmen und Zusammenschlüsse.

Die Literatur sei ziemlich eindeutig, sagt auch Frühwirth. Wenn Manager übermäßig von sich selbst überzeugt sind, fusio­nieren sie nicht nur häufiger. Sie handeln auch höhere Volumina oder traden etwa im Fondsbereich öfter, weil sie sich mehr als andere zutrauen, seriell den Markt zu schlagen; sie verursachen dabei aber per­formanceschmälernde Handelskosten. Und sie bescheren den Geldgebern am Ende signifikant höhere Verluste als ihre "durchschnittlich selbstbewussten" Kollegen.

So erkennt man Overconfidence
Fragt sich, wie Anleger ein übertrieben zuversichtliches und damit renditegefährdendes Management identifizieren können. Eine Methode ist: Aufmerksam zuhören, wenn ein CEO bei der Hauptversammlung zu Jubeldarstellungen ansetzt. Genau das hat eine der zahlreichen Stu­dien gemacht, die Frühwirth im Gespräch mit der Redaktion schildert: Entscheider, die in Medienberichten häufig mit Ausdrücken wie "optimistisch" in Verbindung gebracht wurden, hatten im gewählten Zeitraum mehr Wert vernichtet als die Gruppe, in deren Umfeld eher verhaltene Formulierungen wie "bescheiden" vorkamen. In einer weiteren Analyse sahen sich die Wissenschaftler an, wie das Management mit Aktienoptionen umgeht. Die Annahme ist: Wer seine Optionen länger hält oder sogar zukauft, ist eher von seinen eigenen Führungsqualitäten überzeugt. Denn eigentlich müsste man (angesichts der goldenen Regel der Diversifikation) sofort das Geld aus den Optionen nehmen und gestreut veranlagen, um sein Einkommensrisiko vom Unternehmen zu reduzieren. Auch hier habe man gesehen, dass die Overconfidenten, die ihre Stock Op­tions lang behalten, mehr Wert vernichten als die Rationalen, so Frühwirth.

Manager machen genau dieselben Fehler wie der Durchschnitt
Zu Irrtümern wie diesen hat Frühwirth soeben zwei ineinandergreifende wissenschaftliche Bücher veröffentlicht. Sie zählen zu den ersten im deutschsprachigen Raum, die sich mit Behavioral Corporate Finance (BCF) beschäftigen, also mit der verhaltensorientierten Unternehmensfinanzierung. Diese Disziplin untersucht, wie sich Anleger- und Managerfehler auf betriebliche ­Finanzentscheidungen auswirken. Nachdem die klassische Behavioral Finance jahrzehntelang erklärt hat, was Anleger beim ­Investieren alles falsch machen, sagt die BCF: Im Management der Unternehmen geht es nicht anders zu. Emotionale Entscheidungen, Selbstüberschätzung, Überforderung mit Informationsüberfluss – solche Schwächen kommen "in den besten Kreisen" genauso vor. "Es sind überall dieselben Fehler, die der Mensch macht. Wir haben ja nur ein Hirn – und nicht ein Konsumenten- und ein Managerhirn", so Frühwirth. In vielen Fällen gehe man sogar davon aus, dass Führungskräfte stärker betroffen sind. Und die Beobachtungen zeigen, dass die Selbstüberschätzung mit der Zeit sogar zunimmt. (eml)


Der gesamte Artikel ist in der Printausgabe 3/2022 von FONDS professionell erschienen. Er kann in voller Länge auch im E-Magazin gelesen werden. Darin lesen Sie unter anderem, wie die aktuelle Gaskrise mit der unternehmerischen Selbstüberschätzung in Zusammenhang gebracht werden kann.


Buchtipp:

Frühwirth, Manfred: Behavioral Corporate Finance – Grenzen der Rationalität in der betrieblichen Finanzierung. Band I: Standard Corporate Finance. ISBN: 9783851361148.

Frühwirth, Manfred: Behavioral Corporate Finance – Grenzen der Rationalität in der betrieblichen Finanzierung. Band II: Behavioral Corporate Finance. ISBN: 9783851361155.