Sie begleiten Stiftungen seit Jahrzehnten. Wo steht die Branche heute?
Christoph Mecking: Das Stiftungswesen ist nach wie vor von großem Selbstbewusstsein, aber zunehmend auch von Unsicherheiten geprägt. An sich sind Stiftungen für die Ewigkeit gedacht, jedenfalls für eine lange Dauer. An diesem Leitbild hat sich im Grundsatz nichts geändert; auch wenn die Verbrauchsstiftung mit dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts seit März 2013 rechtlich legitimiert wurde. Zeit gilt für Stiftungen also im Idealfall nicht als knappes Gut – anders als für die meisten Menschen und Organisationen heute, wo im Zeichen der Digitalisierung Schnelligkeit das A und O zu sein scheint und die Ungeduld regiert.
Das mag auch ein Grund dafür sein, dass Stiftung nicht ungeduldig – im positiven Sinne von „dynamisch“ – sind; vielmehr gelten sie – von Ausnahmen abgesehen – als überaus träge Organisationen, starr auf den historischen Willen eines meist nicht mehr lebenden Stifters fixiert, von vorsichtig agierenden, häufig ehrenamtlichen Organen geführt und von staatlichen Behörden umständlich beaufsichtigt.
Passivität zeichnet nicht selten insbesondere die Vermögensverwaltung von Stiftungen aus: Zwar wird mitunter ein anderer Anspruch propagiert, doch handeln Stiftungen in der Praxis oft wenig mutig und prozyklisch. Vor allem vor dem Hintergrund der derzeit kritischen Finanzmarktsituation kann dieses Verhalten aber katastrophale Auswirkungen haben, denn die meisten Stiftungen „leben“ schließlich von den Erträgen ihres Vermögens, die sie zur Verwirklichung ihrer gemeinnützigen Satzungszwecke benötigen. Doch wenn Stiftungsverantwortliche ihre Vorbehalte bezüglich einer Anlageoption überwunden und sich zu einer Entscheidung durchgerungen haben, sind wichtige Chancen nicht selten schon vertan und Erträge damit verloren oder gar Verluste realisiert.

Da wird Zeit dann doch zum knappen Gut.
Christoph Mecking: Hierzu fällt mir folgendes, ganz konkretes Beispiel ein: Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise moderierte ich eine Veranstaltung, auf der ein Teilnehmer berichtete, seine Stiftung habe kürzlich große Teile ihres Bestandes an festverzinslichen Wertpapieren in Aktien umgeschichtet. Das Auditorium reagierte mit Unverständnis, teilweise gar blankem Entsetzen. Doch der Mut dieser Stiftung dürfte sich bis heute bezahlt gemacht haben: Der DAX stand damals bei weniger als 5.000 Punkten; insofern wird das Stiftungsvermögen heute mehr als doppelt so hoch sein. Und bei einer dividendenorientierten Asset Allocation werden sicherlich auch die Erträge entsprechend hoch ausfallen.

Das ist aber schwierig zu verallgemeinern.
Christoph Mecking: Selbstverständlich lässt sich die Zukunft nicht vorhersehen; doch erfordert die anhaltende Niedrig-, ja Nullzinsphase – und deren Ende ist noch nicht in Sicht – einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Mut zum Risiko. Zumal es eine Vermögensanlage ohne Risiko ohnehin nicht mehr gibt. Oder anders: Das größte Risiko besteht heute darin, nichts zu tun. Genau das beobachte ich aber häufig: Stiftungen haben ihr Geld auf dem Festgeld- oder Girokonto liegen und beziehen dafür so gut wie keine Zinsen. Sollten die Banken in der Breite dazu übergehen, Minuszinsen zu verlangen, führt ein solches Verhalten zwangsläufig zu einem Abschmelzen des Grundstockvermögens. Schlimmstenfalls droht dann der Verlust der Gemeinnützigkeit, denn es muss der Zweck der Stiftung verwirklicht werden. Diese Gefahr wollen aber viele scheinbar nicht wahrhaben; dagegen werden mögliche Verluste etwa aufgrund von Kursschwankungen an den Aktienmärkten geradezu dämonisiert.

Nicht von ungefähr, schließlich schreiben die Stiftungsgesetze den Kapitalerhalt vor. Bei Verstoß drohen einer Stiftung aufsichtsrechtliche Schritte.
Christoph Mecking: Bei vielen Stiftungsverantwortlichen wirkt diese Angst geradezu lähmend. Eine aktuelle Studie des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen zeigt, dass diese aber weitgehend unbegründet ist: Bei lediglich 2,9 Prozent aller befragten Stiftungen ist bislang ein Haftungsfall eingetreten. Außerdem: Verluste bei der Vermögensanlage führen nicht zwangsläufig zu einer privaten Haftung des Stiftungsvorstandes. So lange die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Investment zur aktuellen Situation und den Satzungsbestimmungen passt und das Für und Wider in angemessener Weise recherchiert, evaluiert und dokumentiert worden ist, ist den verantwortlichen Entscheidern auch bei späteren negativen Entwicklungen kein Vorwurf zu machen. Keiner kann schließlich in die Zukunft blicken. Ich hoffe, dass viele Stiftungen den mutigen, und damit den zum Teil schon heute, aber mit Sicherheit langfristig erfolgreichen, Beispielen – und die gibt es auch – in verantwortlicher Weise folgen werden.

Wenn man die deutsche Stiftungslandschaft mit der europäischen und weltweiten vergleicht: Wie positioniert sich da Deutschland?
Christoph Mecking: Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, denn selbstverständlich ist jeder Stiftungsstandort anders ausgestaltet und aufgestellt. So lassen sich niederländische Stiftungen, für die kaum Kapital bereitgestellt werden muss, kaum mit der deutschen Stiftung vergleichen. Auch Österreich mit seinen Privatstiftungen, Frankreich mit dem deutlichen lenkenden Einfluss des Staates und Liechtenstein mit seinen Selbstzweckstiftungen und Trusts haben ganz unterschiedliche Entwicklungen genommen. Doch lässt sich schon sagen, dass Deutschland gut positioniert ist: Nach den reinen Zahlen steht Deutschland mit mehr als 21.300 gemeinnützigen rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts im europäischen Vergleich unangefochten auf Platz 1. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen als Dachorganisation ist der größte und älteste Stiftungsverband in Europa.

Wie kam es dazu?
Christoph Mecking: Zu der guten Entwicklung hat der vor gut 20 Jahren einsetzende sogenannte Stiftungsboom beigetragen, angeheizt durch verschiedene Reformen in den Jahren 2000 bis 2002 und 2007. Neben den seitdem gegründeten vielen jungen und oft leider auch weniger kapitalstarken Stiftungen gibt es natürlich auch einige, die schon seit vielen hundert Jahren Gutes bewirken. Und es ist davon auszugehen, dass der deutsche Stiftungssektor weiter wachsen wird. Die demografische Situation, das hohe Wohlstandsniveau und der verlässliche Rechtsrahmen lassen diesen Schluss zumindest zu. Um an den riesigen Stiftungsmarkt in den USA heranzureichen, bedarf es aber noch einiger Anstrengungen. Dort gibt es nach den jüngsten mir vorliegenden Zahlen 86.726 Stiftungen mit einem Vermögen von umgerechnet über 800 Milliarden Euro und Ausgaben von 55 Milliarden Euro. Allein die Bill & Melinda Gates Foundation, die größte Kapitalstiftung der Welt, entspricht mit einem Vermögen von gut 40 Milliarden Euro und Ausgaben von 3 Milliarden Euro, so möchte man provokant anmerken, schon fast der Hälfte des gesamten deutschen Stiftungswesens. Das sollte die Stifter und Stiftungen hier aber nicht entmutigen, sondern motivieren.

Welche wesentlichen Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren für den Dritten Sektor? Welche Änderung halten Sie für notwendig, damit der Sektor weiter gedeiht?
Christoph Mecking: Selbstverständlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Und hier sind doch wieder stärkere Tendenzen zu einer Bürokratisierung erkennbar. Allerdings ist in den letzten Jahren eine größere Reform des Stiftungsrechts in Gang gekommen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Stiftungsrecht“ hat am 9. September 2016 einen umfangreichen Bericht an die Innenministerkonferenz gegeben. Und darin sind auch ganz wesentliche Problemfelder angesprochen. Die Möglichkeiten der Zulegung oder Zusammenlegung von Stiftungen oder der Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung in Hinblick auf ihre Förder- und damit Lebensfähigkeit etwa sollen flexibilisiert werden. Auch könnte der Stifter ein zeitweiliges Recht zur Änderung der Stiftungssatzung erhalten. Vorgeschlagen werden auch verbindliche Mindeststandards für die Satzungsgestaltung, ein Stiftungsregister mit konstitutiver Wirkung.

Und woran liegt es, dass diese Änderungen nicht schon umgesetzt wurden?
Christoph Mecking: Bei alledem ist abzuwägen zwischen dem Bedürfnis des Stifters, die Satzung nach den Erfahrungen und Erkenntnissen der praktischen Arbeit zu verbessern und der Kontinuität der Stiftung als deren Wesenselement sowie den Interessen des Rechtsverkehrs. Mit konkreten Ergebnissen rechne ich in dieser Legislaturperiode noch nicht. Aber allein die öffentliche Debatte verbessert nicht selten schon die Aufmerksamkeit der Akteure und bringt Verbesserungen im Alltag.

Gab es in den letzten 12 Monaten Veränderungen in den Fragestellungen der von Ihnen beratenen Stiftungen?
Christoph Mecking: Großer Beratungsbedarf besteht zunehmend zu Umständen der Vermögensanlage. Hier sind neue Gestaltungen nachgefragt, wie sich die Anlage flexibel und ertragreich ausgestalten und gleichzeitig das Haftungsrisiko minimieren lässt. Daneben geht es immer wieder um Fragen hinsichtlich der Gestaltung von Gremienstrukturen, um Kosten so gut es geht zu senken, aber auch um mehr Einvernehmen und Dynamik innerhalb der Organe zu erreichen.

Professionalisieren sich Stiftungen?
Christoph Mecking: Ja, das zeigt sich auch darin, dass Anfragen zur angemessenen Vergütung zunehmen. Mit dem bereits erwähnten Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts ist das Thema Vorstandsvergütung verstärkt in das Bewusstsein der Verantwortlichen gerückt. Denn nunmehr muss die Möglichkeit zur Entlohnung der Vorstandstätigkeit ausdrücklich durch eine Bestimmung in der Satzung eröffnet sein. Zwar sind die meisten Stiftungsvorstände immer noch ehrenamtlich tätig, der zunehmende Professionalisierungsdruck erfordert aber stetig mehr Hauptamtlichkeit in den Führungsgremien. Gerade vor dem Hintergrund rückläufiger Erträge stellt sich vermehrt die Frage nach der Angemessenheit entsprechender Zahlungen, die es dann etwa bei der Feststellung der Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit zu belegen gilt.

Wo treten da Probleme auf?
Christoph Mecking: Zum Beispiel nehmen Auseinandersetzungen mit der Deutschen Rentenversicherung Bund um die Sozialversicherungspflicht von Gremienmitglieder zu. Und auch das Finanzamt hat gemeinnützige Körperschaften im Visier. Das betrifft die Hürden bei der Gründung, wenn die Satzungsentwürfe mitunter in kleinlichster Art und Weise beanstandet werden bis hin zu Umsatzsteuersonderprüfungen.

Das Interesse an Stiftungsgründungen ist aber ungebrochen ...
Christoph Mecking: Stimmt, aber man muss wichtige Weichen früh stellen, wenn es etwa um die richtige Rechtsform geht. Ist eine nicht rechtsfähige Stiftung oder eine Verbrauchsstiftung der richtige Weg? Soll die Gründung schon zu Lebzeiten oder erst von Todes wegen erfolgen? Soll die Vermögensanlage neben einer finanziellen auch eine soziale oder ökologische Rendite erzielen? Und aus dem Katalog der Zwecke findet die Flüchtlingshilfe immer häufiger Berücksichtigung.

Ihr Fazit?
Christoph Mecking: Das Stiftungswesen ist, auch getrieben durch die zinspolitische Situation, im Wandel. Es muss seine Position und seine Handlungsspielräume neu bestimmen. Mit Kreativität und Mut und dem Wohlwollen der aufsichtführenden Behörden dürften aber seine Stabilisierung und ein weiteres Wachstum gelingen.

Dr. Christoph Mecking ist Rechtsanwalt und geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Stiftungsberatung (www.stiftungsberatung.de).